Was darf Satire?

Newsnet: Güzin Kar weiss, warum der Aroser Auftritt von Serdar Somuncu nicht zum Party-Brüller avancierte.

Die Auftritte des deutsch-­türkischen Satirikers Serdar Somuncu verfolge ich seit vielen Jahren. Und ich war nicht erstaunt, als ich hörte, dass während seines Auftrittes am Arosa Humorfestival ein Teil des Publikums ­empört den Saal verlassen haben soll. Dabei waren sich doch eben noch alle einig, dass Satire alles dürfe und dass sie vor allem Tabus zu brechen habe. Was ist geschehen?

Seit Jahren hält der Trend an, dass in der Humordebatte der vermeintliche Tabubruch, das Beschimpfen von Schwächeren, als einziges Qualitätskriterium gehandelt wird. Dabei ist nichts leichter als diese Art des billigen Tabubruchs, der keiner ist. Sie erfordert keinerlei künstlerische Fertigkeiten, sondern eine Emotion: Rücksichtslosigkeit. Es ist dasselbe Phänomen, wie wenn ein Chef einen Mitarbeiter vor versammelter Belegschaft einen Flachwichser schimpfen würde, etwas, das keiner gutheisst, wenn es ihn selbst trifft, das aber alle amüsant finden, solange sie es aus sicherer Beobachterwarte konsumieren und abends als Party-Brüller zweitverwerten können. Man delegiert die Verwaltung der Schadenfreude an den Mächtigen im Raum, im einen Fall an den Chef, im anderen an den Künstler, dessen Machtinstrument die Bühne ist.

Ein echter Tabubruch sähe aber so aus, dass der Chef keinen Mitarbeiter, sondern den Verwaltungsratspräsidenten blossstellte. Oder die gesamte Belegschaft gegen sich aufbrächte. Genau dies muss am Arosa Humorfestival passiert sein, wo Serdar Somuncu die Schweiz vor einem Schweizer Publikum beschimpfte. Davor hatte er schon Behinderte, Muslime, Juden, Schwule und natürlich Deutsche vor den Kopf gestossen. Er las aus «Mein Kampf» vor, um zu zeigen, wie unfassbar schlecht das Buch geschrieben ist. Jahrelang trat er wegen Drohungen aus rechtsextremen Kreisen mit kugelsicherer Weste auf.

Das Gerülpse aus dem Stammhirn

Nach Arosa wurden die alten Fragen wieder laut: Wie weit darf Satire gehen? Ist Publikumsbeschimpfung lustig? Muss man sich das gefallen lassen? Diese Fragen sind absolut berechtigt, aber dann ermüdend, wenn sie jeweils nur von den direkt Angegriffenen gestellt werden. Humor ist nicht das Gerülpse aus dem Stammhirn, nicht das Gegenstück zur Intellektualität, sondern eine hochentwickelte Kulturtechnik, die ohne Intellekt nicht anwendbar ist. Es leuchtet daher nicht ein, weshalb alle anderen sprachlich-künstlerischen Ausdrucksformen einer differenzierten Qualitätsprüfung standhalten, Humor hingegen allein an seinem Inhalt, seiner Aussage, gemessen werden soll.

Einfach gesagt: Liegt der Satiriker auf meiner politischen Linie und beleidigt er meine Feinde, ist er gut, beschimpft er mich und meines­gleichen, ist er schlecht. Natürlich würde kaum jemand zugeben, dass er Satire nach diesen simplen Kriterien beurteilt, aber die öffentliche Debatte lässt keinen anderen Schluss zu. Der Satiriker wird als eine Mischung aus Tanzbär und Politiker angesehen, der entweder so gut dressiert ist, dass er auf Befehl humanoid herumtapst, oder im anderen Fall vom Teilvolk gewählt wurde und deshalb in dessen Auftrag zu agieren hat.

Nun ist ein Satiriker nicht dazu da, Aufträge zu erfüllen. Zumindest ein guter Satiriker nicht. Hätte Serdar Somuncu in Arosa in politisch korrekter Manier Muslime, Lesben oder Feministinnen beschimpft, hätte man sich diebisch gefreut und die Gags am Abend als Party-Brüller weitergegeben.