Viel Lärm um alte Mauern

Tages-Anzeiger: Österreich Die Regierung will Hitlers Geburtshaus unbedingt abreissen oder umbauen lassen. Für die heutigen Extremisten im Land aber interessiert sie sich zu wenig.

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Das Haus in der Altstadt der oberösterreichischen Kleinstadt Braunau hat bessere Zeiten gesehen. Die gelb getünchten Wände sind feucht, die Fensterstöcke morsch. Aber das ist nicht der Grund, warum es nach dem Willen des österreichischen Innenministers nun so weit umgebaut werden soll, dass es einem Neubau gleichkommt. Nichts soll mehr an das Haus erinnern, in dem 1889 Adolf Hitler zur Welt kam. Der Ort dürfe nicht zum Versammlungs- oder Gedenkort für Neonazis werden, so Innenminister Wolfgang Sobotka. Hitlers Geburtshaus wird also abgerissen?

So einfach ist es nicht. Denn das Haus gehört weder dem forschen Minister persönlich noch der Republik. Die muss erst ein eigenes Gesetz beschliessen, um die derzeitige Besitzerin zu enteignen. Ausserdem steht das alte Haus unter Denkmalschutz. Nicht wegen Hitler, sondern der über 200 Jahre alten Hausmauern. Vermutlich wird das Hitler-Haus also noch länger stehen.

Eines aber hat die Debatte um den Abriss schon bewirkt: Das Haus macht Schlagzeilen, im In- und Ausland. Es regt auf, es fordert auf, eine Meinung zu haben. Es tut so, als wäre es ein immens wichtiges Problem, und lenkt doch nur von den wirklichen Problemen ab. Das alles erinnert sehr an die Burka-Debatte: viel Lärm um nichts.

Nazis ohne Hakenkreuze

Sicher kommen alte und junge Nazis nach Braunau. Eine Pilgerstätte der rechtsextremen Szene ist die Stadt aber nicht. Die nächste Generation der Rechtsextremisten braucht keine Hitler-Bilder und keine Hakenkreuze mehr. Sie hat sich eigene Symbole, eine eigene Identität geschaffen. Sie wird scheinbar legitimiert von etablierten rechtspopulistischen Parteien in Europa. Die Übergänge sind fliessend.

Während sich Österreich über das Hitler-Haus erregt, wird in zehn Tagen 120 Kilometer östlich von Braunau in der Landeshauptstadt Linz ein Kongress der «Verteidiger Europas» stattfinden. Dort werden bekannte Rechtsextreme auftreten, die mühelos den Bogen zwischen Deutschnationalismus und Putin-Verehrung schlagen. Das Bundesland Oberösterreich stellt ihnen dafür einen Prunksaal zur Verfügung. Das stört die österreichische Regierung und ihren Innenminister viel weniger als das Haus in Braunau.

Hitlers Geburtshaus solle nach dem Umbau «nicht mehr erkennbar sein», verlangt der Minister. Er zeigt damit eine Geisteshaltung, die das Österreich der Nachkriegszeit und die damals regierende Grosse Koalition prägte: die Vergangenheit bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Alles zuschütten, was an den Nationalsozialismus erinnert. Auf diesem Fundament des Vergessens konnte die neue Republik gebaut werden. Naziverbrecher waren die deutschen Nachbarn. Österreich räkelte sich in der Opferrolle.

Historiker, Politiker und Journalisten haben in den vergangenen Jahrzehnten hartnäckig daran gearbeitet, dieses Bild zu ändern. Leicht war das nicht, aber heute ist die Beteiligung vieler Österreicher an Hitlers Verbrechen unumstritten. Der Abbruch des Hauses, das Zuschütten der Geschichte, würde wie ein Versuch wirken, den alten Opfermythos wiederzubeleben. Es wirkt wie ein Versuch, sich vor der Geschichte zu drücken.

Mit oder ohne Geburtshaus: Braunau wird mit dem Namen Hitler verbunden bleiben. Und bevor sich die Spitzhacken an einem Haus zu schaffen machen, in dem Hitler lediglich als Baby lebte, könnte man andere österreichische Städte fragen, wie sie mit ihrem architektonischen Erbe des Bösen umgehen. Warum stehen in jedem Dorf Kriegerdenkmäler, in denen unter eisernen Kreuzen der toten Wehrmachtssoldaten als «Helden» gedacht wird? Warum steht in Wien noch immer das riesige Denkmal von Karl Lueger? Das war jener Bürgermeister, bei dem Hitler den Antisemitismus und die Kunst, die Massen zu begeistern, erlernte, wie das die kürzlich verstorbene Historikerin Brigitte Hamann in ihrem brillanten Buch «Hitler in Wien» beschreibt. Oder warum gibt es in Wien noch immer ein Relief mit dem Kopf von Josef Stalin?

Der Abbruch des Hitler-Geburtshauses würde nichts lösen und würde keine Antworten geben. Deshalb wäre es besser, wenn die Republik das Haus erwirbt und es so, wie es ist, erhält. Dann könnten alle gemeinsam über den Umgang mit Denkmälern nachdenken.

«Die Republik steht auf Fundamenten des Vergessens.»

Bernhard Odehnal Korrespondent in Wien