Titel für die Lions – Sperre für Lugano?

Der Bund

EISHOCKEY / Die ZSC Lions sind erneut Schweizer Meister: Die Zürcher siegten in Lugano in der attraktivstenPartie der längst nicht immer packenden, von vielen Scharmützeln geprägten Finalserie mit 2:1 nach Verlängerung. Weil Lugano-«Fans» nach Spielende das Eis stürmten, hat die Nationalliga gestern eine Untersuchung eingeleitet.

st/siz. In extremis haben die ZSC Lions den Titel in der Eishockey-Meisterschaft verteidigt. Nach einem Rückstand von 1:3 Siegen gewannen sie die Serie mit drei Erfolgen hintereinander, wovon zwei auswärts in der Resega, noch mit 4:3 – eine solche Wende ist in der Schweizer Play-off-Geschichte einmalig.

Die ZSC Lions sind zweifellos ein verdienter Meister – obwohl sie erst in den drei letzten Spielen der Saison richtig meisterlich auftraten. Zuvor hatten sie sich zu oft mit minimalistischen Auftritten begnügt, was Sportchef Simon Schenk veranlasste, Kritik an der Arbeit Trainer Larry Huras‘ zu üben. Andernorts stiess vor allem dessen Hang zur Selbstdarstellung auf Abneigung. Doch am Ende hat ein Meistertrainer immer Recht – der frühere Ambri-Coach darf nun darauf hoffen, seinen weiterlaufenden Vertrag im Hallenstadion auch zu erfüllen. Als die Meisterschaft nach dem 0:4 im Hallenstadion und dem 1:3-Rückstand in der Serie praktisch verloren schien, vermochten die ZSC Lions ihre Stärken doch noch auszuspielen. Mit 6:3 und 5:1 überrannten sie den HC Lugano zweimal, in der «Finalissima» vom Samstag war das 2:1 nach Verlängerung nur aufgrund des späten Siegestors glückhaft.

Samuelssons Rolle

Nach dem Ausgleichstor Michel Zeiters (49. Minute), der in den letzten Wochen zum uneingeschränkten «Lion King» avanciert ist, bis hin zum Siegestreffer Morgan Samuelssons (71.) besassen die Zürcher neun gute Torchancen gegenüber bloss drei von Lugano, das in der Verlängerung einen überaus passiven Eindruck machte. Der schwedische Ersatzausländer Samuelsson besetzte auf dem Weg zum fünften Titelgewinn (1936, 1949, 1961, 2000 und 2001) der ZSC Lions eine Schlüsselrolle: Dank seiner Spielintelligenz fanden seine Nebenleute Zeiter und Claudio Michel zur späten Bestform. Bloss vier Jahre nach der Fusion des Zürcher SC mit GC (Schweizer Meister 1966) hat für die Lions eine neue Epoche begonnen. Nach Jahren als Liftklub und Saisons der Stagnation mit dem unerwarteten Viertelfinal-Erfolg über Lugano als einzigem Höhepunkt (1992) stand der ZSC vor vier Jahren vor dem finanziellen Kollaps. Dank dem Einstieg des SVP-Nationalrats Walter Frey haben die ZSC Lions mittlerweile ein sorgenloses Dasein. Ausserdem hat Frey mit Simon Schenk einen Manager angestellt, der viel zur Stabilität des Klubs beigetragen hat. Die Konsequenz daraus: Die letzten zwei Saisons wurden geprägt von Triumphen, nachdem die ZSC-Klubchronik zuvor vier Jahrzehnte lang vor allem Niederlagen und andere Enttäuschungen aufgewiesen hatte. Der Erfolg dieser Saison liess sich am Ende mit Namen verknüpfen. Torhüter Ari Sulander spielte erstmals seit seinem Wechsel in die Schweiz auch in den Play-offs überzeugend, ohne freilich von gelegentlichen Aussetzern verschont zu bleiben. In den entscheidenden Finalspielen 6 und 7 kassierte er bloss noch je ein Gegentor. Flügel Samuelsson war erst kurz vor den Play-offs und dank herausragenden Leistungen am Spenglercup zu den Lions gestossen. In der Finalserie war er bis hin zum fünften Spiel stets überzählig, in den letzten drei Partien mit jeweils einem Tor und einem Assist jedoch der Goalgetter par excellence.

Ausschreitungen in Lugano

Am Samstag kehrten die Akteure – mit Ausnahme einer rüden Attacke Gaëtan Voisards ins Gesicht von Rolf Schrepfer – zu vernünftigen Spielweisen zurück, nachdem die Partien zuvor gleich reihenweise Fouls der bösartigsten Sorte aufgewiesen hatten. Zu einem höchst betrüblichen Ende kam es dennoch: Die berüchtigten «Fans» in der curva nord feuerten vor und während der Pokalübergabe Petarden ab, ehe einige Chaoten aufs Spielfeld stürmten. Die Spieler des alten und neuen Meisters mussten fluchtartig die Kabinen aufsuchen. Der private Sicherheitsdienst in der Resega hatte grösste Mühe, für Ordnung zu sorgen. Gemäss Auskunft der Tessiner Kantonspolizei gab es keine Verhaftungen. Auch seien bisher keine Anzeigen eingereicht worden. Eine Person sei verletzt worden. Die Nationalliga hat gestern eine «umfassende Untersuchung durch den Einzelrichter» eingeleitet. In rund zwei Wochen sollen die Sanktionen bekannt gegeben werden, wobei eine oder mehrere Stadionsperren – Lugano-Heimspiel(e) auf neutralem Eis oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit – zu erwarten sind.

Meisterfeier in Zürich

Richtig zum Feiern kamen die ZSC-Spieler erst gegen drei Uhr morgens nach der Rückkehr ins heimische Hallenstadion. Dort hatten 9600 Zuschauer das Spiel auf Grossleinwand verfolgt. Die meisten von ihnen warteten, bis die Mannschaft aus dem Tessin zurückgekehrt war.

Lugano – ZSC Lions 1:2(1:0, 0:0, 0:1) n. Verl. Resega. – 7900 Zuschauer (ausverkauft). – SR Bertolotti, Simmen/Stricker. – Tore: 7. Dubé (Fuchs, Voisard) 1:0. 49. Zeiter (Samuelsson, Salis/Ausschluss Voisard) 1:1. 71. (70:07) Samuelsson 1:2. – Strafen: Lugano 2-mal 2 plus 5 Minuten und Spieldauerdisziplinarstrafe für Voisard (Crosscheck), ZSC Lions 3-mal 2 Minuten. Bemerkungen: Lugano ohne Julien Vauclair (Ersatz), Antisin, Bozon und Tschumi, ZSC Lions ohne Hodgson (alle gesperrt), Stirnimann (verletzt) und Lebeau (überzählig). 59:43 Time-out Lugano. Lugano: Huet; Andersson, Bertaggia; Keller, Voisard; Jeannin, Astley; Näser, Aeschlimann, Fair; Cadieux, Dubé, Fuchs; Lindberg, Conne, Geoffrey Vauclair; Savage, Meier. ZSC Lions: Sulander; Kout, Streit; Salis, Plavsic; Seger; Samuelsson, Zeiter, Micheli; Della Rossa, Weber, Schrepfer; Jaks, Crameri, Müller; Baldi, Ouimet, Schnyder.

Grosses Interesse

bsp. Die Play-offs stiessen in den Stadien und auf SF 1 und SF 2 auf grosses Interesse: 13 Spiele fanden in ausverkauften Arenen (sechs im Zürcher Hallenstadion, drei in der Berner Allmendhalle) statt, durchschnittlich 444 000 Fernsehzuschauer (Marktanteil 26 Prozent) haben am Samstag verfolgt, wie die ZSC Lions den Titel verteidigten. In der Verlängerung schalteten sich gar 815 000 Personen zu.

In den sechs von SF DRS direkt übertragenen Finalpartien betrug die Sehbeteiligung durchschnittlich 289 000 Personen (Marktanteil 16,8 Prozent). Im letzten Jahr war das Interesse noch grösser gewesen, als im Durchschnitt 350 000 Personen die sechs Spiele der Finalserie zwischen Lugano und den ZSC Lions verfolgten; die Entscheidung sahen damals 532 000.

SCHLAG AUF SCHLAG * ALBERT STAUDENMANN

Es ist das schwere Los grosser Sportveranstaltungen, dass Chaoten die Ereignisse immer wieder missbrauchen, um Gewalt anzuwenden – wie am Samstag im Anschluss an das Fussballspiel Basel – Sion und an den letzten Play-off-Final zwischen Lugano und den ZSC Lions. Die tumultartigen Vorfälle nach Morgan Samuelssons Tor in der Verlängerung, als erboste Lugano-Hooligans das Eis stürmten und selbst Dinge warfen, die zuvor niet- und nagelfest waren, haben ein Bild des Schreckens vermittelt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wären ZSC-Fans im Stadion gewesen, um den Meistertitel vor Ort zu feiern. Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint die zuvor längst nicht überall verstandene Massnahme, den Zürcher Anhang in der Resega praktisch auszuschliessen, nun in einem ganz andern Licht. Wie aber sind die Ereignisse jetzt aufzuarbeiten?

Die Liga-Führung hat während der Finalserie, die auf und neben dem Spielfeld phasenweise von unkontrollierter Aggressivität geprägt wurde, einen hilflosen Eindruck hinterlassen – es ging, im wahrsten Sinn der Worte, Schlag auf Schlag, und es bestand kein Spielraum, wirkungsvoll auf das Geschehen Einfluss zu nehmen. Mit dem Appell an die Vernunft der Beteiligten liessen sich die Wildwest-Szenen nicht unterbinden. Dennoch kann man der Nationalliga einen Vorwurf nicht ersparen: Sie hätte mit klaren Worten auf allfällige Strafen verweisen sollen. Nach dem Motto: Wehe, wenn noch einmal etwas zu beanstanden ist! Die Nationalliga hat es verpasst, unmissverständliche Präsenz zu markieren. Nun sind nicht mehr Worte, sondern Taten gefragt. Nach den jüngsten Vorkommnissen in der Resega ist der HC Lugano als Verantwortlicher seiner Anhänger zur Rechenschaft zu ziehen – mit Strafen, die das Mass einer Busse klar übersteigen. Den Sommer einfach ins Land ziehen zu lassen und in der nächsten Saison normal zur Tagesordnung überzugehen, würde den jüngsten Vorfällen in keiner Weise gerecht. Das Ende der Gewalt im Umfeld von Sportstadien ist keinesfalls in Sicht.