Tagi-Knall: Autor abgetaucht nach jüdischer Story

Inside Paradeplatz.

Talent verschwindet aus Impressum, nachdem er Religion von FDP-Frau thematisiert hat. Davor Immo- und Bank-Tycoons in Aufregung versetzt.

Kevin Brühlmann ist der Journalist der Stunde. Der junge Redaktor löste mit einem Porträt der Zürcher Freisinnigen Sonja Rueff-Frenkel vor drei Wochen einen Sturm aus.

Der Artikel sei antisemitisch, beim Tagi hätten alle Kontrollen versagt, polterten jüdische Exponenten; worauf sich der Tages-Anzeiger und sein Mitarbeiter öffentlich entschuldigten.

Weltwoche-Autor Christoph Mörgeli schäumte weiter. Solche „Jungjournalisten“ merkten „überhaupt nicht mehr, wie sie das duldsam-humanistische Zusammenleben mit Füssen treten“.

Zeigte öffentlich Reue (Twitter)

Gestern Abend ging um, dass der Tages-Anzeiger sich vom Journalisten getrennt hätte. Chefredaktor Arthur Rutishauser verwies für Fragen an die Medienstelle, dort reagierte niemand.

Der Redaktor war gestern nicht mehr im Impressum des Tages-Anzeigers aufgeführt, sein Name fehlte auf der Liste der Journalisten des einflussreichen Zürcher Blattes. Selber reagierte er nicht auf einen Anruf.

Eine Gruppe von jüdischen Professorinnen, Wissenschaftlern und eine Alt-Bundesrichterin stellte sich in einem Brief an die Tagi-Spitze hinter den Journalisten. Dieser habe sich „aufrichtig entschuldigt“.

„Wenn die Konsequenz aus einem solchen Vorfall nun darin bestehen würde, einen einzelnen jungen Journalisten aus der Redaktion zu entlassen, würde dies unseres Erachtens zeigen, dass die Dimension des Problems falsch verstanden wurde.“

Das Schreiben ging auch an Verleger Pietro Supino, den Präsidenten der börsenkotierten Tx Group, welche den Tages-Anzeiger herausgibt.

„Denn dass vor der Veröffentlichung niemandem auf der Redaktion die Problematik des Artikels aufgefallen ist, beleuchtet, wie tief verwurzelt antisemitische Klischees in unserer Gesellschaft sind.“

„Diese anzugehen erfordert daher bessere Mechanismen und Sensibilisierung auf Stufe Redaktion“, so die acht Unterzeichner des Schreibens.

Sonja Rueff-Frenkel liess gestern Abend auf Anfrage ausrichten, sie habe sich nach dem Porträt und noch vor den Zürcher Wahlen von letztem Sonntag „mit Herrn Brühlmann und seinem Vorgesetzten“ getroffen.

Brühlmanns Entschuldigung habe sie „akzeptiert“, „die Angelegenheit zwischen ihr und dem Tages-Anzeiger“ sei seither „erledigt“.

Hinter den Kulissen machten jüdische Exponenten Druck. Allen voran Ex-Blick-Chefredaktor und einstiger Gratiszeitungs-Unternehmer Sacha Wigdorovits.

„Ich habe Tages-Anzeiger-Chefredaktor Arthur Rutishauser nach dem Porträt angerufen und ihm gesagt, es sei ungeheuerlich, dass ein so antisemitischer Text an allen Kontrollen vorbei in die Zeitung gelangen konnte“, meinte Wigdorovits gestern.

„Rutishauser war über den Artikel und dass er so publiziert wurde ebenso empört und entsetzt. Ich kenne ihn lang genug, um zu wissen, dass er dies ehrlich meinte.“

Wigdorovits, der nach seiner Medienzeit als PR-Berater wiederholt mit harten Attacken zu reden gab, sieht keinen Raum für Milde gegenüber dem Tagi-Journalisten.

„Der Artikel von Kevin Brühlmann ist antisemitisch, daran gibt es null Zweifel. Dass es den Journalisten nun offenbar trifft, ist richtig.“

„In jeder anderen Branche hätte so ein gravierender Vorfall auch Konsequenzen auf der Chefebene – in diesem Fall den beiden Co-Chefredaktoren des Tagi – und die Medien wären die ersten, die laut rufen würden, dass hier Köpfe rollen müssen.“

Das Porträt über Rueff-Frenkel sei „durchwegs negativ konotiert mit altbekannten antisemitischen Stereotypen“ gewesen. „So etwas geht einfach nicht“, insbesondere nicht im wichtigen Tages-Anzeiger.

Der Bruder der Freisinnigen, der auch in diesem Medium publiziert, eilte in der Weltwoche dem Autor des Porträts zu Hilfe.

„Kevin Brühlmann, der wohl talentierteste Jungredaktor im Grossraum Zürich, hat wochenlang über Sonja Rueff-Frenkel recherchiert“, schrieb Beni Frenkel vor zwei Wochen.

„Dabei hat er unter anderem mich angerufen. Als er mich fragte, was mir zu meiner Schwester einfällt, gab ich ihm das Bild der Spinne.“

„Dem Autor und mir wird nun vorgeworfen, mit der Spinne ein antisemitisches Klischee bedient zu haben. Das ist mir neu und unangenehm. Denn ich will kein Antisemit sein.“

„Was Brühlmann hingegen schrieb, hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Was ihm gelang, war ein kritisches Porträt über eine toughe Politikerin.“

Die Zeilen erschienen eine Woche nach dem Mörgeli-Verriss des Tagi-Redaktors, der bei seinem früheren Job in Schaffhausen mit einer lesenswerten Reportage über den Steuersitz des US-Multis Walmart für Aufsehen gesorgt hatte.

Frenkels Schützenhilfe in der Weltwoche nützte wenig, der Sturm legte sich nicht. Ob der Grund für die Trennung – diese wurde erst im Verlauf des Tages offiziell bestätigt – wirklich beim Porträt liegt, ist offen.

Der Journalist hatte nämlich zuvor mit einer anderen Story mächtige Zürcher gegen sich aufgebracht. Er recherchierte rund um die Baugarten-Stiftung, die zu den grossen Immobilien-Promotoren der Limmatstadt gehört.

Dort sitzt mit Hans Syz auch ein einflussreicher Banker; dessen Maerki Baumann zählt zu den Traditionshäusern des Finanzplatzes. Syz agiert politisch hinter den Kulissen – bei der neuen Tonhalle zog er entscheidend an den Fäden.

Der Tages-Anzeiger soll sich nach der Story von Brühlmann bei den Baugarten-Leuten entschuldigt haben, sagt ein Gesprächspartner.

Gestern Abend war zu hören, dass die mögliche Trennung von Brühlmann nicht wegen des Porträts über FDP-Frau Rueff-Frenkel erfolgt sei, sondern als Folge von dessen Artikel über die verschwiegenen Baugarten-Chefs.

Im Nachgang zur Publikation schickte die Tamedia-Sprecherin im Namen von Chefredaktor Rutishauser sowie Mario Stäuble, dem Vorgesetzten des jungen Journalisten, folgende Zeilen:

„Wir bestätigen, dass Kevin Brühlmann den Tages-Anzeiger verlassen hat. Es gab wiederholt unterschiedliche Auffassungen über Qualität im Journalismus. Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu Personalfragen nicht weiter äussern können.“
„Die Qualität unseres Journalismus ist für Tamedia von höchster Priorität. Die Grundlagen dazu sind im Handbuch ‚Qualität in den Medien‘ festgehalten und den Redaktionsmitgliedern über alle Stufen hinweg bestens bekannt.“

„Wir werden die jüngsten Ereignisse zum Anlass nehmen, unsere internen Kontrollmechanismen weiter zu verbessern und die Kultur des Gegenlesens zu stärken, insbesondere im Hinblick auf sensible Sachthemen.“