SVP-Zürich-Präsident Heer: «Claudio Zanetti muss das selber verantworten»

20 minuten online: SVP-Nationalrat Claudio Zanetti hat auf Twitter Neonazi-Tweets weiterverbreitet. Der Politiker muss die Rassismuskritik nun praktisch allein aushalten.

Claudio Zanetti hat zwei Tweets über eine Sexualkunde-Seite aus Deutschland weiterverbreitet. Die Website der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung klärt Flüchtlinge auf – über Sex, Verhütung, HIV, Schwangerschaft, Geburt, Rechte und Pflichten. Zanetti wollte «aufzeigen, dass es einfach krank ist, wenn ein Staat so eine Seite macht», sagte er zu 20 Minuten.

Die Tweets zeigen einen dunkelhäutigen Mann und eine hellhäutige Frau (auf der Seite gibt es alle menschenmöglichen farblichen Kombinationen). Dazu als Hashtag ein Wort aus der Neonazi-Ideologie – «WhiteGenocide». Zu 20 Minuten sagte Zanetti, er sei kein Rassist. Auch mit der Vorstellung von Sex und Fortpflanzung zwischen verschiedenfarbigen Menschen habe er «nicht das geringste Problem». Trotzdem: «Der weisse Mann ist heutzutage das Feindbild. Das ist ja offensichtlich.» Laut dem Politiker würde es die Formulierung «WhiteSuicide» besser treffen.

«Definitiv ein Rassist»

Viele sehen das offenbar anders. Auf Twitter jedenfalls wurde Zanetti bereits nach den zwei Retweets als Rassist bezeichnet – nach seinen Erklärungen gab es einen Shitstorm. Auch Experten und Politiker meldeten sich zu Wort. «Wer bewusst von ‹white suicide› spricht, ist definitiv ein Rassist», so das Urteil des Historikers Philipp Sarasin auf Twitter. Auch für die Zürcher SP-Nationalrätin Mattea Meyer sind die Tweets «eindeutig rassistisch» und von einer «Überlegenheitsrhetorik geprägt, mit der sich der weisse Mann über alles ‹Fremde› stellt».

«Die Website Zanzu.de macht, was die Gesellschaft in Bezug auf Zuwanderer fordert: nämlich diese auch über Sexualität, wie sie in unserer Gesellschaft gelebt wird, aufzuklären», sagt Doris Angst, Expertin für Menschenrechte und Rassismus, zu 20 Minuten. Die Seite zeige ein «Abbild der Gesellschaft». Angst: «Nur Anhänger der Vorherrschaft der ‹weissen Rasse› konstruieren aus einem Bild, auf dem man einen dunkelhäutigen Mann mit einer hellhäutigen Partnerin sieht, einen Angriff.» Und weiter: «Dieses Bild mit dem Hashtag ‹WhiteGenocide› oder ‹WhiteSuicide› zu versehen, ist verwerflich und dient einer rassistischen Ideologie.»

Wenig Support aus der eigenen Partei

Zanetti erhielt gestern auch aus den eigenen Reihen wenig Rückhalt, wie 20 Minuten erfahren hat. Nationalrat Alfred Heer, bis zu seinem Rücktritt am 28. April amtierender Parteipräsident der Zürcher SVP, sagt zu 20 Minuten: «Auch ich halte die Seite für einen Witz. Aber ich habe immer die Finger von dem Twitter-Zeug gelassen.» Was sagt er zum von Zanetti verwendeten Begriff «WhiteSuicide»? Heer: «Das ist seine Ansicht, die teile ich nicht. Er muss das selber verantworten.» Weiter werde die SVP nicht auf die Aussage eingehen, meint Herr, und fügt an: «Das ist übermorgen auch wieder vergessen.»

Verständnis für Zanetti zeigt der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner: «Herr Zanetti regt sich über diese staatliche Website auf, das kann ich gut verstehen», so Frehner zu 20 Minuten. Die übrigen Inhalte seien nebensächlich: «Dass Herr Zanetti Tweets verbreitet, die diese Website thematisieren, heisst doch nicht, dass er sich mit deren Urheberschaft identifiziert», so Frehner.

Urheberschaft und Rassismusstrafnorm

An dieser Frage scheiden sich die Geister erneut. Zanetti sagt, die Urheberschaft der Tweets spiele keine Rolle. Es sei nicht an ihm, auf Twitter alles zu überprüfen – «das entspricht nicht dem Wesen von Twitter», schrieb er am Mittwochabend. Die Antwort der Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti folgte umgehend: «Die Rechtfertigung macht es allerdings noch schlimmer.»

Das Retweeten von Aussagen bekannter Personen aus der rechtsextremen Szene sei nur strafbar, «wenn der Wortlaut der Tweets selber gegen Art. 261bis StGB verstösst», sagt Alma Wiecken, Juristin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Ob Aussagen wie «WhiteGenocide» oder «WhiteSuicide» in diesem Zusammenhang strafbar seien, könne die Kommission nicht abschliessend beurteilen, das könne nur ein Gericht, so Wiecken.

«An Niveaulosigkeit kaum zu übertreffen»

Den Inhalt der Aussagen beurteilen kann die EKR aber: Zanettis Retweets seien «an Geschmacklosigkeit und Niveaulosigkeit kaum zu übertreffen. Die Absicht von Zanetti ist offensichtlich, zu zeigen, dass die ‹weisse Rasse› gefährdet ist und Massnahmen (hier die deutsche Website) zu verurteilen, die zum besseren Zusammenleben zwischen Personen verschiedener Ethnien beitragen», so die Juristin. Es sei zwar nicht ausdrücklich von der Minderwertigkeit einer Rasse die Rede, doch der Begriff «WhiteGenocide» sei «in diesem Zusammenhang eindeutig als Hinweis auf eine rassistische Verschwörungstheorie zu verstehen».

EKR-Präsidentin Martine Brunschwig Graf fügt an: «Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es Äusserungen sind, die aus strafrechtlicher Perspektive nicht relevant sein mögen – rein ethisch betrachtet sind sie aber inakzeptabel, ganz besonders, wenn sie von Bundesparlamentariern kommen.»