Strafrechtliches Verfahren gegen Jürg Scherrer

Der Bund

BIEL / Äusserungen des Bieler Polizeidirektors beschäftigen das Gericht. Er selber ist kleinlaut und sieht sich als Opfer.

bel. Die Aussage, «der Holocaust ist ein Detail der Geschichte», die der Bieler Sicherheits-, Energie- und Verkehrsdirektor und Präsident der Freiheitspartei Schweiz Jürg Scherrer in einer Sendung des Westschweizer Radios gemacht hat, veranlasste den Bieler Untersuchungsrichter Patrick Robert-Nicoud, ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Scherrer zu eröffnen. Einmal mehr steht er unter dem Verdacht, die Rassismus-Strafnorm verletzt zu haben. Anders als in früheren Fällen, wo sich Scherrer erklärtermassen absichtlich «hart am Rand des Straftatbestands» geäussert hat, behauptet er diesmal, er sei vom Journalisten in eine Falle gelockt worden. Er habe «in einer chaotischen Sendung» nur wiederholt und bestätigt, was der Journalist gesagt habe.

Als «extrem unglücklich» bezeichnet der Freiburger Rechtsprofessor Marcel Niggli Scherrers Äusserungen, denn ein Völkermord können nie ein Detail sein. Niggli und der Präsident der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Georg Kreis, plädieren vehement dafür, dass zu solchen Äusserungen von Politikern nicht verschämt geschwiegen werde, sondern dass eine öffentliche Diskussion und eine Verurteilung durch die Gesellschaft stattfinde.

Jürg Scherrer einmal mehr im Zwielicht

BIEL / Äusserungen von Polizeidirektor Jürg Scherrer zum Holocaust im Westschweizer Radio sorgen für Aufregung: Ein polizeiliches Ermittlungsverfahren läuft. Auf die Frage, ob die Medien Politikern trotz Aussagen, die möglicherweise unter die Rassismus-Strafnorm fallen, eine Plattform bieten dürfen, sagen die Experten Ja.

? BARBARA ENGEL

Einmal mehr wird gegen Jürg Scherrer ermittelt. (Vch) Knapp zweieinhalb Monate sind vergangen, seit Jürg Scherrer wegen des Vorwurfs, die Antirassismus-Strafnorm verletzt zu haben, vor Gericht stand. Nun haben die Bieler Gerichtsbehörden erneut ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet. Scherrer, Bieler Sicherheits-, Energie und Verkehrsdirektor sowie Präsident der Freiheitspartei Schweiz (FPS), wurden diesmal seine Äusserungen in der Diskussionssendung «Forum» von Radio Suisse Romande am Dienstagabend zum Verhängnis.

Thema der Sendung waren die Wahlen in Frankreich und das Phänomen Le Pen. Scherrer, der in die Sendung telefonisch zugeschaltet wurde, hat, wie verschiedene Medien berichteten, die Gaskammern im zweiten Weltkrieg als «ein Detail in der Geschichte» bezeichnet. Diese Äusserung veranlasste den Bieler Untersuchungsrichter Patrick Robert-Nicoud zu prüfen, ob hier ein Straftatbestand vorliegt.

Mehrmals verklagt

Die eingangs erwähnte Klage gegen Scherrer er wurde im Februar freigesprochen war nicht das erste Gerichtsverfahren wegen Widerhandlungen gegen das Antirassismus-Gesetz, das gegen ihn während seiner politischen Karriere eingeleitet wurde. Im Anschluss an eine Diskussion in der «Arena» von SFDRS wurde Scherrer 1995, damals noch Nationalrat, schon einmal eingeklagt, weil er erklärte, Tamilen und Jugoslawen könnten nicht mit Bielern oder Zürchern verglichen werden, denn sie seien bedeutend krimineller. Zu einem Urteil kam es damals nicht, weil die Rechtskommission des Nationalrats die Aufhebung der parlamentarischen Immunität ablehnte.

In der «Chronologie der rassistischen Vorfälle in der Schweiz» wird auch Scherrers Äusserung bezüglich einer Gruppe französischer Roma erwähnt. Er weigerte sich im September 2000, den Fahrenden in Biel einen Platz zur Verfügung zu stellen, und erklärte gegenüber den Medien: «Die sollen zur Stadt raus, denn wir wissen ja, wie sich Zigeuner verhalten», und er, so Scherrer weiter, wolle «die Zigeuner nicht in Biel haben».

Anders als im Februar, als Scherrer vor Gericht erklärte, «die Anzeige lässt mich kalt, und ich habe mich absichtlich so ausgedrückt, dass meine Äusserungen haarscharf an der Grenze zur rassistischen Hetze liegen», stellt sich Scherrer diesmal als Medienopfer dar. Nicht er, sondern der Moderator der Sendung habe von einem Detail in der Geschichte geredet, und er habe diese Aussage nur wiederholt. Während der Sendung habe ein Riesendurcheinander geherrscht, so dass er nie gewusst habe, ob er nun dran sei oder nicht, erklärte er gegenüber dem «Bund». Zudem sei Französisch nicht seine Muttersprache, «und der Holocaust, da gibt es Beweise, war in der Politik nie mein Thema», sagte Scherrer.

Anprangern oder totschweigen?

Jürg Scherrer steht einmal mehr im Verdacht, die Rassismus-Strafnorm verletzt zu haben. (Valérie Chételat)bel. Angesichts provokativer, laut Antirassismus-Gesetz möglicherweise strafrechtlich relevanter Äusserungen von Politikern wie Jürg Scherrer werden die Medien regelmässig mit dem Vorwurf konfrontiert, durch ihre Berichterstattung böten sie diesen Politikern eine Plattform zur Verbreitung ihrer Ideen. Dies hat gestern auch die Bieler FDP in einem Communiqué kritisiert.

Solche Kritik sei nicht berechtigt, sagt Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. «Die Demarkationslinie zwischen dem, was wir dulden und dem, was wir verurteilen, muss immer wieder öffentlich gezogen werden», sagt Kreis. Dies könne jedoch nicht auf einer theoretischen Ebene, sondern nur an konkreten Beispielen geschehen. Zudem müsse die Öffentlichkeit bei Politikern wissen, «wofür sie sind».

Solche Äusserungen dürfe man sicher nicht totschweigen, denn sie seien ein wichtiger Teil des politischen Diskurses, sagt auch Peter Studer, Präsident des Presserates. «Insbesondere die Wählerschaft in der engeren Umgebung muss wissen, was Politiker denken. Also gehört es zur Pflicht der Journalisten, solche Äusserungen öffentlich zu machen und den gesellschaftlich notwendigen Diskurs zu ermöglichen.» Dies gelte auch für Äusserungen, die strafrechtlich nicht relevant seien.

Vehement für die Veröffentlichung solcher Äusserung plädiert auch Marcel Niggli, Rechtsprofessor an der Universität Freiburg. Dabei verweist er auf die Art und Weise, wie das Strafrecht funktioniere. «Es sind nicht in erster Linie strafrechtliche Sanktionen, welche die Täter von ihrem Tun abhalten, sondern die informelle Sozialkontrolle», sagt Niggli. Das Strafrecht sei eine Symbolisierung der allgemeinen Werte und deshalb müsse die Gesellschaft sagen: «Das wollen wir nicht.» Dies könne sie aber nur, wenn sie über das strafrechtliche Vorgehen informiert sei. Gerade bei der Rassismus-Strafnorm zeige sich dies deutlich. «Durch dieses Gesetz ist etwas als strafbar erklärt worden, was einst nur unanständig war, und seither wird viel intensiver über solche Vorfälle diskutiert», sagt Niggli.

Scherrers Äusserungen bezeichnet Niggli als «extrem unglücklich, denn kein Völkermord ist ein Detail». Der Untersuchungsrichter habe hier sicher ein Verfahren eröffnen müssen «und er wird den Fall besser auch überweisen». Immerhin zeige sich in diesem Fall nun, «dass sich die Gerichte verantwortlich fühlen und funktionieren».