Starke schwarze Schweiz

Schweizer Illustrierte: Vorteil schwarz! Persönlichkeiten wie NUBYA, DAVE DOLLÉ und LISA CHUMA bewegen die Schweiz. Sie verraten das Geheimnis ihres Erfolgs. Und wie sie sich gegen Negersprüche wehren.

TEXTE , , , , , FOTO KURT REICHENBACH

«Der Neger weckt so früh»

Während seiner Lehre als Krankenpfleger verletzte ihn der Spruch eines Patienten. «Jetzt kommt der Neger schon wieder so früh und weckt mich», erinnert sich Popsänger Jesse Ritch. Er konterte: «Der Neger kommt jeden Tag, um sie zu pflegen.» Viel häufiger bekomme er zu hören, was für ein anständiger junger Mann er sei, der noch dazu perfektes Bärndütsch rede.

«Ich unterrichtete Margrit Läubli»

Mit ihrem Schweizer Ehemann zog Othella Dallas 1950 nach Zürich. Probleme wegen der Hautfarbe? Nie! «They just loved me!» An ihrer Tanzschule unterrichtete die schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin mit kreolischen Wurzeln sogar Margrit Läubli und Ruedi Walter. «Meine Hautfarbe war ein Vorteil», sagt Dallas, die seit 50 Jahren in Binningen BL wohnt.

«Typisch Neger, die lügen immer»

Jahrelang wurde Michelle Halbheer gehänselt. «Wegen der Drogensucht meiner Mutter, meiner Hautfarbe und der von Mama. Beides weckte einen unsagbaren Ehrgeiz und Lebenswillen in mir.» Ihre Mutter ist halb Senegalesin, halb Schweizerin, ihr Vater Schweizer. Zum Glück sei der Rassismus nur im Kindergarten und in der Primarschule extrem gewesen. «Ich musste mehr leisten, um das gleiche Lob zu erhalten.» Einmal machte sie die Hausaufgaben nicht, «weil ich den ganzen Mittwochnachmittag Essen auftreiben musste.» Am folgenden Tag sagte sie dies dem Lehrer. Er warf ihre Sachen vor der Klasse auf den Boden, sagte: «Typisch Neger, die lügen immer.» Heute ist die Zürcherin aus Hinwil Anwaltsassistentin. Sie halte sich an Antoine de Saint-Exupéry: «Man sieht nur mit dem Herzen gut.»

«Ich bin stolz auf Thiam!»

Kürzlich erhielt der Weinkenner Aké Béda die Gault-Millau-Auszeichnung «Schweizer Sommelier 2015». Rassismus am eigenen Leib hat er noch nie erfahren. Seit 1990 lebt er in der Schweiz, geboren ist er in der Elfenbeinküste – wie der neue CS-Chef Thiam. Dessen Ernennung sei ein starkes Zeichen: «Ich bin stolz auf Thiam!»

«Hundert Prozent Schweizerin»

Die rechtsextreme Partei Pnos nannte Whitney Toyloy nach ihrer Wahl zur Miss Schweiz «ein Geschwür». «Das war heftig», sagt die Waadtländerin. Sie hat Wurzeln in China, Panama, den USA und der Schweiz. «Doch es nervt, das immer erklären zu müssen. Ich fühle mich zu hundert Prozent als Schweizerin!»

«Falsche Zeit, falscher Ort»

Hauptbahnhof Zürich: Charles Nguela wirft etwas in einen Abfalleimer, ein Passant ruft die Polizei. Wegen Verdacht auf Drogenhandel wird er kurz darauf von 13 Polizisten auseinandergenommen! «Heute lache ich darüber.» Der Komiker kam mit 13 Jahren aus dem Kongo in die Schweiz.

«Wer Dialekt spricht, gehört dazu»

Im Ausland fühle er sich schwärzer als in der Schweiz, sagt der ehemalige «Sternstunden»-Moderator Bernard Senn. «In den USA oder in Frankreich wird man als Dunkelhäutiger viel eher diskriminiert.» In der Schweiz sei eher die Sprache wichtig: «Wer Dialekt spricht, gehört automatisch dazu.» Senn wuchs als Halb-Adoptivkind mit deutschen und Ghanaer Wurzeln in Basel und im Aargau auf. Mit 16 Jahren stellte er sich dem Vater seiner damaligen Freundin vor. «Er sagte mir in aller Höflichkeit, dass eine Beziehung mit seiner Tochter wegen meiner negroiden Triebe leider nicht möglich sei.» Die Angst vor dem schwarzen Mann existiere auch heute noch, sagt Senn. Insofern sei es gar nicht mal schlecht, dass über die Hautfarbe diskutiert werde. «Aber man muss es entspannt tun, ohne Ängste.»

«Von Neonazis abgeschlagen»

Der uneheliche Sohn eines Nigerianers (er lernte seinen Vater nie kennen) und einer Schweizerin wuchs in Altdorf UR auf: «Alle trugen mich auf Händen. Die Bergler sind immer zu mir gestanden.» Doch in Zürich schlagen Neonazis 1999 Urs Althaus brutal zusammen: «Ich bin heute noch traumatisiert, leide an Angstzuständen und gehe in die Therapie.» Althaus, der in «Der Name der Rose» mitspielte, empfindet die Schweiz als bunt: «Ich habe kürzlich gewitzelt, dass ich früher der einzige Neger hier war.»

«Meine Eltern lehrten mich, offen zu sein»

Der ehemalige Judoka-Profi Sergei Aschwanden arbeitet heute als Direktor des Sportzentrums in Villarssur-Ollon VD. Er fühlt sich ausschliesslich als Schweizer, hat nur den roten Pass. Seinen Erfolg jedoch schreibt er auch seiner Herkunft zu – er ist mit einem Schweizer Vater und einer kenianischen Mutter in der Schweiz aufgewachsen: «Meine Eltern lehrten mich, für alle offen zu sein und jeden Menschen zu respektieren.» Wenn, dann habe er wegen seiner Hautfarbe eher Vorteile gehabt.

«Einige Menschen beneiden mich»

Sie hoffe, dass es den Menschen um ihre Person, nicht um ihre Hautfarbe gehe, sagt die Luzernerin Fabienne Louves. Und lacht trotzdem: «Einige Menschen beneiden mich. Sie wären gerne so braun, weil sie dann nicht sünnele müssten.» Ihre Mutter kommt aus der Schweiz, ihr Vater aus Guadeloupe. «Und ich bin Schweizerin.»

«Als Kind war ich strohblond!»

Ein schwarzer US-Präsident, ein schwarzer CS-Chef: Für den Zürcher Sänger Marc Sway alles nur eine Frage der Gewohnheit. «Das erste Telefon ohne Kabel war auch eine Sensation, heute ist es normal.» Sway ist Sohn einer Brasilianerin und eines Schweizers. «Mein Look gibt mir sicher einen Hauch von Exotik, in meinem Beruf ein Vorteil.» Dabei sei er als Kind strohblond gewesen! «Die Schweiz war schon immer ein vielfältiges Land», sagt Sway. Deshalb seien sich die Bewohner gewohnt, aus der Differenz Stärke zu ziehen – etwa im Fussball. «Sommer, Djourou, Barnetta, Shaqiri, Mehmedi: bunt gemischt, aber ein Team.»

«Egal, ob jemand schwarz, weiss, grün oder gelb ist»

Melanie Alexander ist Model, Tänzerin und Coach und wohnt im Zürcher Langstrassenquartier. Die Schweiz erlebt sie als international und tolerant. «Mir ists egal, ob ein CEO schwarz, weiss, grün, gelb oder gepunktet ist. Sein Führungsstil zählt.» Sie selber ist zweisprachig aufgewachsen. Ihr Vater stammt aus Texas, ihre Mutter aus Effretikon ZH. «So setzte ich mich von Kind auf automatisch mit Vielfalt auseinander.» Ihr exotisches Aussehen können die meisten Leute nicht einordnen. Eine Kollegin erfand für sie einen passenden Künstlernamen: Aus «Black» und «Swiss» machte sie «Miss Bliss»!

«Es herrscht viel Nachholbedarf»

Seine Eltern flüchteten in den 70er-Jahren von Uganda in die Schweiz. «Früher wollten die Mädchen immer mit meinen Locken spielen», sagt Andrew Katumba. In den Schulen sei die Schweiz bunt genug, «aber in Quartiervereinen, Verwaltung und Politik gibts erheblichen Nachholbedarf.»

«Verrückt: In New York galt ich als Rassistin!»

Dazugehören. Nicht als fremd wahrgenommen werden. Das war lange Zeit der Wunsch der Basler Sängerin Nubya. «Früher nervte es mich manchmal, ständig nach der Herkunft gefragt zu werden.» Nubyas Vater stammt aus Nigeria, sie selber kam in der Schweiz zur Welt. «Im Ausland sagt man mir oft, ich sei in meiner Art sehr schweizerisch.» Sie sei sich im Alltag bewusst, dass sie auch Unsicherheit auslösen könne. «Wer mich nicht kennt, weiss ja nicht, ob ich Deutsch spreche.» In der Schweiz habe sie aber kaum je rassistische Beleidigungen hören müssen. Anders in den USA: Als Nubya vor 20 Jahren in New York eine Jazz-Schule besuchte, war sie oft mit europäischen Mitschülern zusammen. «Daraufhin wurde mir Rassismus gegenüber den Dunkelhäutigen vorgeworfen! Verrückte Welt.»

«Nie war jemand in mich verliebt»

Als Jugendliche war sie begehrt, weil Hip-Hop und Schwarze in waren. Als Kind war das ganz anders: «Nie wollte jemand mit mir tanzen. Nie war jemand in mich verliebt.» Jennifer Mulinde-Schmid, in Mombasa, Kenia, geboren, wuchs in Kloten ZH auf. Die Mutter Schweizerin, der Vater Ugander, der Stiefvater aus Oman. «In der Schweiz wurde ich immer mit einem Lächeln begrüsst», sagt die Schauspielerin und Wirtin. Seit zehn Jahren lebt sie in Berlin, der Schweizer Botschafter Tim Guldimann ist oft zu Gast in ihrem Restaurant. In ihrem Quartier wurde sie schon angepöbelt. Und wegen ihres Äusseren hat sie TV-Rollen nicht bekommen. In der Schweiz sind die Filmangebote oft stereotyp: Flüchtling, Prostituierte oder Putzfrau – «das nervt!» Aber nicht nur: Bekannt wurde sie als quirlige Sekretärin im Schweizer Film «Die Standesbeamtin».

«Ich schickte den Lebenslauf ohne Foto»

Er brauchte einen Trick, um an Bewerbungsgespräche eingeladen zu werden. «Ich schickte den Lebenslauf ohne Foto», erzählt John Charles. 1990 kam er aus den USA in die Schweiz, inzwischen sitzt er in der Geschäftsleitung von PostMail. «Die Schweizer sind anfangs oft zurückhaltend.» Sobald man seine Kompetenz bewiesen habe, lege sich das. «Ich wünsche mir, dass solche Interviews eines Tages nicht mehr nötig sind.»

«Die Schweiz ist ein gutes Land»

Nach Sion spielte er in Manchester, Lissabon und Freiburg (D), heute ist er bei Stade Rennes (F) unter Vertrag. Gelson Fernandes: «Ich hatte es nirgends besser als in der Schweiz. Ein gutes Land mit offenen Menschen. Meine Familie und ich haben ihr alles zu verdanken.» Mit fünf Jahren kam er von den Kapverdischen Inseln in die Schweiz. Einmal wurde er von einem Gegenspieler als «Neger» beschimpft. «Das war richtig schlimm! Nach dem Spiel hat er sich entschuldigt.»

«Viele positive Erfahrungen!»

Sein Aufstieg ist märchenhaft. Als Breel Embolo sieben Jahre alt ist, kommt er mit Mutter und Bruder aus Kamerun in die Schweiz. Denn in der Heimat sieht die Familie keine Perspektiven. Heute spielt Embolo als Profi für den FC Basel, seit Kurzem ist er Schweizer. «Ich hatte wegen der Hautfarbe schon negative Erlebnisse – aber auch schon viele positive.»

«Schwarz zu sein, ist ein Vorteil»

Dieses Jahr organisiert Lisa Chuma in Zürich zum dritten Mal die Women’s Expo Switzerland, die grösste Frauenmesse der Schweiz (ab 29. März; www.womenexpo.ch). 130 Unternehmerinnen stellen ihre Produkte einem breiten Publikum vor, treffen sich zum Networken. Chuma lacht viel, sie ist offen und ehrgeizig. Und stolz: «Schwarz zu sein, ist ein Vorteil für mich. Viele Frauen sagen mir: ‹Danke, dass Sie uns mit Ihrer Art inspiriert haben.› Das gibt Power!» Geboren wurde Chuma in Simbabwe. Mit 16 zog sie mit ihrer Mutter nach England, machte den Bachelor in Betriebswirtschaft, arbeitete im Finanzministerium. Seit drei Jahren lebt sie in der Schweiz, heute mit ihrem britischen Ehemann und drei Kindern in Hagendorn ZG. In dieser Zeit hat sie gehörig gewirbelt!

«Ich gehöre zu einer Minderheit. Na und?»

Ignorieren. Ganz einfach. So reagiere man auf bösartige Sprüche. Das hätten ihm seine Eltern beigebracht, sagt Dave Dollé. Mit neun Jahren kam er von Los Angeles in die Schweiz. Geplagt wurde er in Samstagern ZH von anderen Kindern kaum. «Ich war im Sport immer stark, das half.» Und er besass zehn Jahre vor allen anderen ein BMX-Velo und ein Skateboard. «Das imponierte mächtig.» Der ehemalige Spitzen-Sprinter betreibt heute zwei Fitnesscenter in Zürich und Zumikon. Natürlich sei ihm immer bewusst, dass er in der Schweiz einer Minderheit angehöre. Aber das sei ihm egal. Lustig sei, dass er oft auf Englisch angesprochen werde. «Wenn ich dann auf Schweizerdeutsch antworte, sprechen die Leute trotzdem weiter Englisch!»

«Negative Erlebnisse? Das weiss nur Gott»

Seit 2002 arbeitet Kenneth Ekeugo als Priester in der Schweiz. Erst in Gampel VS, dann in Aadorf TG, nun im Pastoralraum Gäu SO. «Ich hatte schon unglaublich viele positive Erlebnisse hierzulande.» Möglich, dass er wegen seiner Hautfarbe bereits Nachteile gehabt habe. «Das weiss nur Gott.»

«Ich wünsche der Schweiz einen WM-Final»

Der Professor hat Humor: Elisio Macamo ist Fussballfan. Für die Schweiz wünscht er sich, dass sie mal im WM-Final gegen seine Heimat Mosambik spielt. «Und nicht allzu hoch verliert.» Schwarz zu sein, habe auch Vorteile, sagt er: Zum Beispiel von der Schweizer Illustrierten interviewt zu werden.

«Wir müssen der Schweiz Sorge tragen»

Er ist der einzige dunkelhäutige Kranzschwinger. In der Szene gilt Harald Cropt aber nicht als Exot. «Man kennt mich inzwischen.» Früher gabs noch Beleidigungen von Zuschauern. «Was solls?», sagt Cropt. Das Schwingen ist für ihn nur ein Hobby. Als Winzer kümmert er sich um das Familiengut in Ollon VD. «Unser Land ist wunderschön, wir müssen ihm Sorge tragen.»