«Da gits nur eis: a dwand stelle u verschiesse»

Es waren politisch aufgeheizte Tage im Sommer 2014. Auch in der Schweiz. Israelische Bomben zerstörten – als Vergeltung für Raketenbeschuss palästinensischer Radikalengruppen – Hunderte von Häusern und töteten über Tausend Palästinenser, meist Zivilisten. Ein 18-jähriger Serbe, wohnhaft in einer Luzerner Vorortsgemeinde, haut in die Tasten und postet auf Facebook: «Free Palestina!!; ha sho emmrr gseit Jude das sind Böse! #HH» (HH steht für Heil Hitler). Schuldig der Rassendiskriminierung, befand die Luzerner Staatsanwaltschaft. Der junge Mann wird bestraft mit 20 Tagessätzen à 30 Franken, bedingt, und einer Busse von 300 Franken, dazu muss er Kosten von 410 Franken bezahlen.

Die Rassismus-Strafnorm ist nun schon seit 20 Jahren in Kraft. 2014 sind im Kanton Luzern acht Verfahren angestrengt worden. Insgesamt sind in den letzten 20 Jahre 50 Fälle bekannt. Die Strafnorm war schon bei der Einführung nicht unbestritten (siehe Box). Es ist Zeit für eine Zusammenfassung.

Rassismus in den sozialen Medien ist häufig, wird aber selten geahndet. Beim verurteilten Serben ist nicht ersichtlich, wer den Anstoss für das Strafverfahren gab: Polizei? Die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität KOBIK? Private Personen oder Organisationen? Anders bei einem Schweizer, der in der Facebook-Gruppe «Stoppt den Asylwahnsinn in der Schweiz» schrieb «Da gits nur eis: a dwand stelle u verschiesse oder ufhänke denn chli lasi als mahnmal für die andere».

Er kommentierte eine Medienmitteilung der Kantonspolizei Zürich über einen marokkanischen und einen gambischen Staatsangehörigen, denen eine Straftat vorgeworfen wurde. Eine Privatperson ersuchte die Staatsanwaltschaft Sursee um Prüfung. Bei seiner Einvernahme berief sich der Schreiber darauf, dass in der Schweiz Meinungsfreiheit bestehe und er seine Äusserung nicht so gemeint habe. Konkret: Sie hätten sich nicht gegen Marokkaner oder Gambier generell gerichtet. Der zuständige Staatsanwalt glaubte ihm. Freispruch.

Fünf Entscheide von 2014 rechtskräftig

Acht Verfahren wegen Rassendiskriminierung führte die  Luzerner Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr 2014. zentral+ hatte Einsicht in jene fünf Entscheide, die bereits rechtskräftig sind. Neben dem Schuldspruch sind es drei Freisprüche und eine Einstellung, da der Beschuldigte dem rassistisch beschimpften Privatkläger («Ond du huere Scheiss Neger, was luegsch mi ah») eine Wiedergutmachung von 1’500 Franken bezahlt hatte. Teure Folgekosten einer tätlichen Auseinandersetzung in einem Luzerner Nachtclub Anfang Februar 2014, da schuldig des Raufhandels.

Ebenfalls eine teure Nacht leistete sich ein Libyer aus dem Kanton Zürich, trotz Freispruch wegen Rassendiskriminierung, da es keine Hinweise gäbe, dass die Beleidigung «Drecksneger» von unbestimmt vielen Personen oder von einem grösseren, nicht durch persönliche Beziehung zusammenhängenden Personenkreis gehört worden sei. [box]

Vorwürfen gegen Polizistin nicht nachgegangen

Nicht näher auf die Anzeige eingegangen ist der Staatsanwalt auf eine Anzeige gegen eine Polizistin, die aber eigentlich auf ihren Kollegen zielte. Der Vorwurf: Die beiden hatten im Januar 2014 auf der Autobahn bei Dagmersellen eine Kontrolle gemacht und einen rumänischen Autofahrer angehalten. Der Angehaltene schrieb später eine Anzeige, der Polizist habe zu ihm gesagt: «Viele Rumänen sind Kriminelle.»

Seine «Nichtanhandnahme» begründet der Staatsanwalt damit, dass der Begriff Rumänen die Zugehörigkeit zum Staat Rumänien bezeichne und damit für eine Nation oder eine Nationalität stehe. Die Rassismus-Strafnorm schützt aber «Ethnien, Rassen oder Religionen». Damit musste der Staatsanwalt nicht untersuchen, ob der Polizist die Aussage tatsächlich gemacht hat.

Luzern weit über Landesdurchschnitt

Acht Luzerner Rassendiskriminierung-Fälle in einem Jahr: Dies liegt weit über dem Durchschnitt, dokumentiert die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR auf ihrer Homepage. Für die Jahre 1995 bis 2013 listet sie für den Kanton 45 Entscheide auf, darunter die landesweite erste Verurteilung, verfügt durch das Amtstatthalteramt Sursee (3 Wochen Gefängnis bedingt, Busse von 500 Franken). Der Verurteilte hatte Fahrenden gedroht, ihre Wohnungen anzuzünden und sie alle mit einem Bagger niederzufahren, wenn sie nicht verschwänden. Auch wollte er «das Saupack» vernichten. Später fuhr er mit seinem Auto in hohem Tempo an den Wohnwagen und den dazwischen spielenden Kindern vorbei.

Sechs Entscheide enthalten keine Angaben über den Sachverhalt. Über ein Dutzend Entscheide richteten sich gegen Rechtsextreme. Wie gegen die vier Musiker der Neonazi Band «Amok». Unter anderem hatten die Musiker dem Autor dieses Textes mit dem Tod gedroht, wie auch den Holocaust geleugnet und gegen Menschen schwarzer Hautfarbe gehetzt. Eine längere juristische Auseinandersetzung bis zum Bundesgericht folgte der Beschlagnahmung von rassistischen Tonträgern bei einem Luzerner Rechtsextremisten.

Zu dunkel für eine Verurteilung

Ein anderer Luzerner Fall führte zu einem landesweit diskutierten Entscheid des Bundesgerichtes. Zwei Rechtsextreme hatten im Mai 2002 innert wenigen Tagen dreimal Ausländer (zwei Tamilen, einen Bosnier) niedergeschlagen und dann mit Schuhen traktiert. Sie hatten dabei Bomberjacken mit rechtsextremen Abzeichen getragen. Die Luzerner Gerichte hatten die Täter deshalb auch wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Das Bundesgericht befand, in der Dunkelheit seien die rechtsextremen Zeichen nur aus der Nähe erkennbar gewesen, so dass das Straftatbestandsmerkmal «Öffentlichkeit» nicht erfüllt sei.

Andere Verfahren sind Folgen von Alltagskonflikten. Eine Kopftuchträgerin holt ihr Kind vom Kindergarten ab. Ein Mann beschimpft die Frau islamfeindlich. Ihr Ehemann kommt auch dazu. Eine weitere Frau beobachtet den Streit.

«Nicht öffentlich» sei dies, da nur drei Personen die bösen Worte hätten hören können, folglich Freispruch für den Belästiger. In einem Grundsatzentscheid befand das Bundesgericht, öffentlich sei alles, was nicht privat sei und privat sei, wenn die Beteiligten durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden seien. Das gelte auch, befand die Luzerner Staatanwaltschaft, wenn die Beteiligten im gleichen Wohnblock wohnen würden und die Angeschuldigte Hauswartin sei.

Beweisprobleme

Einlassverweigerungen aus rassistischen Motiven kommen gemäss Zeugenberichten immer wieder vor, meist jedoch unter einem Vorwand (zentral+ machte den Test). Die Opfer haben daher schwer überwindbare Beweisprobleme. Mit einem nur beschränkt nachvollziehbaren Freispruch endete ein Verfahren gegen ein Luzerner Restaurant, das 2001 Schwarzen den Ausschank von Alkohol verweigerte.

Drei Fälle betreffen politische Auseinandersetzungen, alle endeten mit Freisprüchen. So die Initianten jenes Begehens, die Anfang März 1999 die sofortige Trennung von Schulklassen forderten, die einen Anteil an fremdsprachigen Kindern von mehr als 15% aufweisen.

Oder ein islamfeindliches Inserat, verfasst 2003 von SVP-Exponenten aus Protest gegen ein Pilotprojekt, das in Kriens und Ebikon islamischen Religionsunterricht an der öffentlichen Schule ermöglichte: «Schluss mit der Unterwanderung unserer Kultur und Tradition! Unsere abendländische Kultur auf der Basis des Christentums hat sich bewährt, also halten wir daran fest!». Straftatbestand nicht erfüllt, urteilte die Luzerner Staatsanwaltschaft.

Freispruch auch für Anian Liebrand. Er hatte im Sommer 2008 einen «Musterbrief» gegen Einbürgerungsgesuche publiziert, der gegen Einbürgerungswillige «aus dem Balkan» zielte. Liebrand erreichte einen Freispruch, der Straftatbestand sei nicht erfüllt.

Die Strafklage hatte dennoch Folgen. Der RS-Schulkommdant stoppte Liebrands Militärkarriere und folgte damit einer Weisung des früheren Armeechefs Christophe Keckeis, wonach Armeeangehörige nicht weiterbefördert werden dürften, wenn gegen sie ein Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm läuft, ausser es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung zu erwarten.

Umstrittene Rassismus-Strafnorm

Die Rassismus-Strafnorm ist seit Einführung politisch umstritten, aber durch Volksabstimmung legitimiert. Zwei Komitees, eines rechtsbürgerlich, eines rechtsextrem, erreichten 1994 eine Referendumsabstimmung, doch 54,6 Prozent stimmten dem neuen Straftatbestand zu. Die Luzerner Stimmenden lehnten sie ab, mit rund 51 Prozent NEIN. Die neue Regelung war Voraussetzung für den helvetischen Beitritt zur Antirassismus-Konvention der UNO, die bereits seit 1964 in Kraft ist. Die Schweiz gehörte damit weltweit zu den letzten unterzeichnenden Staaten.

Auch bei der SVP war die Rassismus-Strafnorm damals umstritten. Die SVP Schweiz beschloss die JA-Parole, acht kantonale Sektionen, darunter Luzern, die Nein-Parole. In den vergangenen zwanzig Jahren scheiterten alle Anläufe, die Strafnorm abzuschaffen oder ihren Geltungsbereich einzuschränken, sowohl im National- wie auch im Ständerat. Zwei gestartete Volksinitiativen, erreichten die notwendige Unterschriftenzahl nicht.