Scheinsieg über Ignoranz

Zürichsee-Zeitung vom 02.07.2009

Kommentar

Marcello Odermatt

Es mutet seltsam an, wenn eine liberale Demokratie es für nötig erachtet, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit derart einzugrenzen, dass sie den «Schutz der Menschenwürde und des öffentlichen Friedens» gewährleisten kann. Mit Letzterem begründet der Bundesrat das neue Verbot von rassistischen Symbolen wie Hakenkreuzen in der Öffentlichkeit. Dass dies bald 70 Jahre nach dem Sieg über die rassistischen und faschistischen Regime in einem Land mit einem derart hohen Lebensstandard nötig sein muss, ist ein Armutszeugnis; ein Sieg der politisch überkorrekten Verbotsgesellschaft über die Ignoranz neo-nationalsozialistischer Gruppen. Immerhin geht der Bund nicht so weit, das Verbot im Privaten durchsetzen zu wollen. Niemand ist vor schlechten Witzen gefeit. Filmemacher haben zudem gezeigt, dass selbst über die Vernichtungspolitik gelacht werden darf.

In erster Linie richtet sich das Verbot denn auch gegen Anlässe der Neonazi-Szene. In der Tat braucht die Schweiz keine Hakenkreuzfahnen schwingenden Ansammlungen angeblich benachteiligter Jugendlicher. Der Respekt gegenüber den mit solchen Symbolen verbundenen Verbrechen an Millionen Menschen gebietet das. Nur: Das Verbot umzusetzen, wird schwierig. Zudem: Solange Menschen nach Werten suchen, werden extreme, historisch verklärte Ideologien auf Anklang stossen; rechtsextreme oder linksextreme Kundgebungen sind nie auszumerzen. Und: Wann ist ein Symbol stark genug mit Rassismus verbunden, um es zu verbieten? Wie sieht es mit Fahnen jener häufig in den Medien genannten Staaten aus, die heute tendenziell rassistische Politik betreiben? Historisch mag die Regel Sinn machen. Sie wird aber vom liberalen Rechtsstaat in Zukunft stets neue Grenzen verlangen, die mehr oder weniger fragwürdig sein können.