«Rütli-Bomber» sitzt in Haft

SonntagsZeitung: Der Mann, den die Justiz einst als Sprengstoffattentäter der 1.-August-Feier verdächtigt hatte, soll Beamte mit dem Tod bedroht haben

Lausanne/Zürich Die rätselhafte Geschichte von N.* beginnt am 1. August 2007 auf dem Rütli, als kurz nach der Rede von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey auf der Wiese ein Sprengsatz detonierte. Der Mann beschäftigt die Justiz bis heute: Die Zürcher Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen mehrfacher Nötigung und mehrfacher Drohung. Er soll zwischen dem 12. November und dem 2. Dezember 2012 seine ehemalige Partnerin wiederholt bedroht und gestalkt haben. In der Anklage heisst es, dass er ihr «aufge­lauert, sie an ihrem Arbeitsort aufgesucht und ihr anonyme E-Mails geschrieben» habe. Die Frau soll dadurch Panikattacken erlitten und befürchtet haben, er könnte sie «wie Freiwild» fertigmachen, sie verletzen oder gar erschiessen.

Die Staatsanwältin und den Gutachter im Visier

N. habe ausserdem «aus einer Deckung heraus mit einem Zielfernrohr die Lebensumstände von Angehörigen eines Polizeibeamten ausgekundschaftet», um die gewonnenen Details in einem anonymen E-Mail an einen Jour­nalisten weiterzuleiten, «quasi zum Beweis, dass ein Scharf­schütze im Tarnanzug die Frau und das Kind leicht unerkannt ­erschiessen könnte», wie die Staatsanwaltschaft ausführt.

Weiter soll er sowohl die involvierte Staatsanwältin als auch einen psychiatrischen Gutachter in anonymen E-Mails «unverhohlen mit dem Tod bedroht» haben. Die Strafverfolger reagierten: Sie beantragten die Inhaftierung von N., worauf er vom 6. bis zum 28. Dezember 2012 und am 9. Mai 2013 erneut in Haft genommen wurde. Mit der Anklageerhebung beantragte die Staatsanwaltschaft am 14. Januar 2014 überdies ­Sicherheitshaft für N. Das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich trat darauf ein und versetzte ihn am 28. Januar 2014 in Sicherheitshaft. Dort sollte er bis zum Prozessbeginn bleiben. Die Anklage fordert eine Freiheitsstrafe von 26 Monaten.

Gegen die Sicherheitshaft hat N. Beschwerde eingereicht. Das Obergericht hat diese am 27. Februar 2014 jedoch abgewiesen. Die Richter begründeten, dass der Tatverdacht unbestritten sei und Flucht- und Ausführungsgefahr bestehe. Am 9. April wies auch das Bundesgericht die Beschwerde ab. Gemäss des am 22. April publizierten Urteils verfasste N. die Beschwerde eigenhändig.

Nach dem 1. August 2007 häuften sich die Spekulationen

Nach dem Anschlag auf dem Rütli, war die Schweiz geschockt. Die Ermittler arbeiteten schnell. Die These, dass der Täter aus der Neonazi-Szene stammt, wurde rasch wieder verworfen. Bald darauf präsentierte die Bundesanwaltschaft einen Verdächtigen. Doch der japanisch-irisch-kanadische Mehrfachbürger, der am 29. Januar 2008 verhaftet worden war, brachte keineswegs eine ­Klärung der Angelegenheit, im Gegenteil: Es häuften sich wilde Spekulationen. Dass N. ein Agent Provocateur des Geheimdienstes war, wurde später widerlegt. Auch eine Verschwörung konnte nicht erhärtet werden. Erschwert wurden die Ermittlungen, weil die Bundesanwaltschaft die Identität eines V-Mannes nicht preisgeben wollte, der N. belastet hatte. N., den die Justiz auch mehrerer Anschlagsversuche im Kanton Zürich bezichtigte, kam schliesslich wieder frei. Im Oktober 2011 stellten die Strafverfolger das Verfahren gegen ihn ein. Am 11. November 2011 wurde er von der Bundesanwaltschaft per Strafbefehl wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Herstellens, Ver­bergens, Weiterschaffens von Sprengstoffen und giftigen Gasen zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt.

Sowohl die Zürcher Staatsanwaltschaft als auch das Gericht in Lausanne wollen den jetzigen Fall öffentlich nicht kommentieren. N. war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.