Roma, die schwarzen Schafe Europas

Tagesanzeiger
Von Bernhard Odehnal, Wien

Italienische Bürgerwehren machen Jagd auf rumänische Roma; die Polizei sieht zu oder hilft mit, die Hüttendörfer zu zerstören. In Ungarn werden Roma-Häuser mit Molotowcocktails in Brand gesetzt und Roma mit Schrotflinten gejagt. Ein 27-jähriger Vater und sein 5-jähriger Sohn wurden diese Woche erschossen, als sie aus ihrem brennenden Haus flüchten wollten. Und im Norden Tschechiens leben die Roma in Angst, seit Hunderte von Skinheads letzten Herbst mit einem Marsch durch eine Roma-Siedlung eine Strassenschlacht provozierten.

 

Derweil schaut Europa verzückt auf die Vereinigten Staaten und wünscht sich einen Hoffnungsträger wie Barack Obama. Einen aus einer unterdrückten Minderheit vielleicht. Mit einer richtig packenden Aufsteigergeschichte. Yes we can? Nein, wir können es nicht: Unser Kontinent gleicht in diesen Wochen eher einem «Mississippi burning».

Schöne Projekte, schlimme Folgen

Die Europäische Union hat in den letzten Jahren Hunderte Millionen Euro in Projekte gesteckt, um die Roma in den neuen Mitgliedsstaaten gesellschaftlich besser zu integrieren. Nun sieht sie ohnmächtig zu, wie alter Rassismus und neue Verteilkämpfe in Zeiten der Wirtschaftskrise diese Projekte zunichte machen. Vieles war gut gemeint, doch nicht gut genug: Es half den Roma nicht wirklich – und verstärkte die Vorurteile der Mehrheit. Die Jugendlichen, die heute in Ungarn oder Bulgarien gegen die Regierung protestieren, fühlen sich als Opfer einer Politik, «die uns alles nimmt und den Roma alles gibt».

Ungarn hat Gesetze, die Minderheiten schützen, ihnen Selbstverwaltung und eigene Schulen ermöglichen. In der Stadt Pecs gibt es eine Roma-Universität, in Budapester U-Bahn-Stationen werben Plakate für Roma im Polizeidienst. In der Praxis aber ist die Selbstverwaltung mittellos; die Schulen werden finanziell ausgehungert. Die Polizei wurde von der sozialistischen Regierung aufgerüstet, aber nur in der Hauptstadt Budapest, wo sie gegen gewalttätige Demonstrationen rechtsradikaler Regierungsgegner eingesetzt wird. Auf dem Land, wo die meisten Roma leben, wurde der Personalstand systematisch reduziert. Übrig geblieben sind ältere Beamte, die ihren Rassismus nicht verstecken.

Bei den Morden an Roma versuchten die Ermittler rassistische Hintergründe zu vertuschen: Erst sprachen sie von einem Unfall, dann von Streit im Mafiamilieu. Wollten sie die Täter decken? Oder konnte ein Roma in ihren Augen nicht Opfer sein?

Der Rassismus von Behördenvertretern ist Ausdruck der gesellschaftlichen Stimmung. Als der Polizeichef der Stadt Miskolc die «Zigeunerkriminalität» anprangerte, wurde er zuerst auf Druck der Regierung entlassen, nach Protesten der Bevölkerung aber wieder eingesetzt. Ein Politiker in Tschechien konnte sich mit der Deportation der Roma aus seiner Stadt nicht nur das Bürgermeisteramt sichern, er gewann auch einen Sitz im Oberhaus. In einer Umfrage des Eurobarometers 2008 erklärten über 40 Prozent der Tschechen, dass sie sich mit Roma als Nachbarn «sehr unwohl» fühlen würden. Ähnlich hoch ist der Prozentsatz in der Slowakei und Bulgarien.

Der Rassismus gegen Roma war nie viel geringer. Seit die Zeiten schlechter und die Arbeitsplätze weniger werden, ist er aber wieder gesellschaftsfähig. Über die «kriminelle Energie» schreiben nicht nur die Gazetten rechtsextremer Gruppen: Der Kommentator einer ungarischen Tageszeitung kann Roma als «Tiere» bezeichnen, ohne dass er eine Entlassung fürchten muss.

Das Budapester Soziologie-Institut «Political Capital» zeigt in einer Studie, wie Roma die Rolle der Juden als Sündenböcke übernehmen: Galten sie früher als faul, aber gutmütig und lebenslustig, werden sie heute als aggressiv, kriminell und parasitär beschrieben. Auch in Karikaturen werden antisemitische Stereotypen auf Roma übertragen. Die rechtsextreme Propaganda, schreibt «Political Capital», falle auch bei der neuen Mittelklasse auf fruchtbaren Boden. Marschieren in Ungarn, Tschechien oder Bulgarien neofaschistische Garden auf, um die «Bevölkerung zu beschützen», können sie mit viel Sympathie in der Bevölkerung rechnen.

Der Antisemitismus in Europa ist deshalb aber nicht geringer geworden, wie eine Umfrage der New Yorker «Anti-Defamation League» unter 3500 Bürgern aus Ungarn, Polen, Österreich, Frankreich, Deutschland und Spanien zeigt. Zu den Gründen der globalen Krise befragt, fanden 31 Prozent der Befragten, dass die Juden zu viel Einfluss in der Finanzwirtschaft hätten.

Journalisten in Ungarn bezeichnen Roma ungestraft als «Tiere».