Prügelbuben kämpfen um ihren Ruf

TagesAnzeiger

Sie heissen Hooligans, prügeln ist ihr Hobby. Für die Gewalt in den Stadien wollen sie aber nicht verantwortlich sein.

Von Marc Zollinger

Krieg in Rom. Verfeindete Fans gehen aufeinander los, liefern sich lebensgefährliche Schlachten. Es brennt in Zürich. Fans schiessen Unmengen an Feuerwerk ab, gefährden Zuschauer und Spieler. Krawalle hier, Krawalle dort. Die Frage stellt sich: Was für Fans sind das?

Zum Beispiel er: 28-jährig, arbeitet in einem Büro, hat einen guten Lohn, trägt Designerkleider, ist sozial bestens integriert – ein Hooligan[90]. Nennen wir ihn Felix. Seit acht Jahren gehört er zur Hardturm-Front der Grasshoppers. Felix besucht regelmässig Fussballspiele, im Winter auch Partien des ZSC, um dort zu prügeln. Warum? «Es ist halt ein Hobby, meine Passion. Andere rasen mit Autos durch die Gegend oderboarden Lawinenhänge hinunter.» Bei den Prügeleien erhält er den «Kick», das Adrenalin, das ihm in seinem sonst bestens geregelten Leben fehlt. Das ist die eine Erklärung, eine andere lautet: «Man muss halt einen Dachschaden haben, um Hooligan[90] zu sein.» Dennoch sei ein «Hool» nicht einfach ein Gesetzloser, der alles kurz und klein schlage, wahllos auf Leute einprügle und ein Feuerwerk abschiesse. Ein Hooligan[90] unterwerfe sich Regeln, habe einen «Kodex»: keine Waffen, keine Sachbeschädigungen, nur gegen gleich Gesinnte kämpfen, und wenn einer am Boden liegt, nicht weiter draufhauen.

Der Bänkler als Schläger

«Die Hooligans werden zu Unrecht verteufelt», sagt Peter Landolt, einer der besten Kenner der Szene. Er ist Stadion- und Eventmanager bei GC und kümmert sich direkt um die rund 80 Mann starke Gruppe. «Wir dürfen ihnen keine Plattform geben, müssen sie aber respektieren.» Mit den Hooligans, im Polizeijargon C-Fans genannt, könne man nämlich reden. Es habe viele intelligente Typen darunter, die meisten hätten einen Job, auch Kaderstellen. Sie arbeiten für die Credit Suisse, die Versicherung oder die Börse. Der Sicherheitschef hat schon öfters beobachtet, wie Hooligans randalierende Fans zu besänftigen versuchten.

Auch die Konkurrenten ennet der Gleise, die City Boys des FCZ, entsprechen nicht dem Bild, das man gemeinhin von Hooligans hat. Ihre Zahl wird auf rund 100 geschätzt. In den letzten Jahren haben sich ihnen vermehrt so genannte Secondos angeschlossen oder K4, wie sie sich auch nennen – die Abkürzung für Kreis 4.

Als ZSC und GC fusionierten, rückten auch die beiden Schlägertruppen näher zusammen. Gemeinsam besuchten die City Boys und die Hardturm-Front die Spiele der Lions im Hallenstadion. Seit rund einem Jahr hat sich allerdings der Graben wieder vertieft. Seither sind an den Fussballderbys wieder vermehrt Strassenschlachten zu beobachten.

C-Fans, E-Fans: Die Unberechenbaren

Die C-Fans lieben Schlägereien, für wirklich gefährlich aber hält Landolt die B-Fans: Diese sind jung, jederzeit zu Gewalt und Sachbeschädigungen bereit, schlecht in die Gesellschaft integriert und nur in der Menge stark. Bei GC sind es rund 200 Personen. Sie gelten nicht als Hooligans. Und die Hardturm-Front geht zu den «Mitläufern» auf Distanz.

Vor rund einem Jahr ist mit den E-Fans eine neue Kategorie hinzugekommen – ein Grund, weshalb es in den letzten Monaten zu solch vielen Auseinandersetzungen gekommen ist. Landolt nennt sie Erlebnisfans: Sport ist ihnen egal, mit dem Klub haben sie nichts am Hut, sie gehen an Spiele, weil dort etwas läuft. «Die machen mir grosse Sorgen.»

Als gänzlich unproblematisch gelten die A-Fans, die grosse Masse. Sie beteiligen sich nicht an Krawallen.

Das ABC der Fangruppen hilft den Ordnungshütern, das Chaos zu strukturieren. Gibt es Randale, verfliessen die Grenzen. B schliesst sich C an, E schlägt sich mit C, und sogar A gerät in die Schusslinie der Gummigeschosse oder Wasserwerfer, was ihn fuchsteufelswild macht. Am Schluss heissen sie alle Hooligans.

Letzte Woche hat in Basel ein Prozess gegen 32 Fans begonnen. Es geht um Krawalle und Sachbeschädigungen vom Sommer 2002 nach dem Spiel gegen Luzern. «Hooligans!», schreiben die Zeitungen – was Felix sehr ärgert. Auf seine Kollegen von der «Bande Basel» hält er grosse Stücke. «Das ist die Crème de la Crème der Schweiz.» Sie sind zugleich Gegner und Verbündete. Und einige von ihnen zählt er zu seinen Freunden. Für Felix ist klar: «Es waren keine Hooligans. Das, was damals in Basel vorgefallen ist, entspricht nicht unserer Philosophie.»

Vorfälle wie dieser haben dazu geführt, dass sich die C-Männer zusehends andere Schauplätze suchen, um zu ihrem Kick zu kommen. Ein anderer Grund ist die in letzter Zeit massiv verstärkte Polizeipräsenz – was die Gefahr, verhaftet oder in ein Gerichtsverfahren verwickelt zu werden, vergrössert. «Ich will meinen Job nicht aufs Spiel setzen», sagt der Hardturm-Fröntler.

Hooligans kämpfen deshalb vermehrt weitab der Stadien, irgendwo in der Stadt. Dort können sie unter sich bleiben. Sie schicken Späher aus, versuchen den Gegner zu überrumpeln oder fordern ihn per SMS heraus. Kurz: Räuber und Poli.

Seit kurzem hat auch eine neue Spielart Einzug gehalten, die vor allem in Deutschland stark in Mode ist. Die Hooligans nennen es «Feld, Wald, Wiese». Zum Beispiel an jenem Tag im Januar auf einem verschneiten Fussballplatz der Sportanlage Hardhof in Zürich-West: 30 Vertreter der Bande Basel gingen auf 30 Hardturm-Fröntler los. Mann gegen Mann. Ohne Waffen, Blut floss dennoch reichlich. Am Schluss schüttelten sich alle die Hände. Die Bilder davon kann man auf der Homepage der Bande Basel anschauen. Sie ist eineArt Familienalbum aller Hooligans der Schweiz, ihr Name: Gepflegt & Arrogant. Neben der Fotogalerie gibt es Beiträge zur Geschichte des Hooliganismus, Berichte über befreundete «Firms» im Ausland, ein Forum oder einen Shop, in dem sich der Schläger Burberry-Pullover, Stone-Island-Jacken oder Lacoste-Turnschuhe für den nächsten Ortstermin bestellen kann. Bomberjacken stehen nicht im Angebot.

Wer kommt besser angezogen an den Kampf? «Den Hooligans, vor allem den Baslern und den Grasshoppers, ist gepflegtes Erscheinen wichtig», sagt Felix. Der Grund: Man bleibt unauffällig – und wirkt unpolitisch. Denn mit Rechtsradikalismus, der lange Zeit die Szene geprägt hat, wollen die Hooligans nichts zu tun haben. «Politik gehört nicht ins Stadion», erklärt der 28-jährige SVP-Wähler.

Wie von der Sucht wegkommen?

Felix hat bisher Glück gehabt. Er wurde noch nie verhaftet (für den Fall hätte er einen Anwalt zur Hand), und auch schwere Verletzungen blieben aus. Einmal brach ihm ein Gegner den Finger. Der schlanke 28-Jährige mit den eleganten Fingern ist nicht der wildeste Schläger der Truppe. Auch wegen seines Berufs: «Im Geschäft nehmen sie mir ein blaues Auge ab, aber beim zweiten wirds schon schwierig.» Eine Ausrede für Blessuren zu finden, fällt ihm nicht schwer. Er spielt im Verein Fussball.

Felix braucht den Kick, es ist wie eine Sucht. Selbst in den drei Jahren, als er eine glückliche Beziehung hatte, blieb er ihr erlegen. Diesen Januar aber dachte er erstmals ernsthaft an den Ausstieg. Es war an jenem 30-gegen-30 auf dem Hardhof: Sein Gegner hatte ihn zu Boden geschlagen, da trat ihm einer hart an den Hinterkopf. Die Erschütterung wirkte noch lange nach. Felix weiss: Trotz Kodex – die selbst ernannten Ehrenmänner haben sich und ihr Adrenalin nicht immer unter Kontrolle. Beim nächsten Schlag an den Kopf, denkt er, könnte es ganz dumm herauskommen. Seither träumt Felix: Er besucht ein Spiel, nach dem Abpfiff gibts Krawalle, doch er geht nach Hause, einfach so.

100 Festnahmen nach ZSC – Lugano

Vor und nach dem Eishockeyspiel ZSC Lions – HC Lugano vom Samstagabend ist es beim Hallenstadion zwischen Fans der beiden Klubs zu Ausschreitungen gekommen. Vier Personen wurden verletzt. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Gummischrot ein und nahm gegen 100 Hooligans vorübergehend fest. Drei Fans wurden mit Kopfverletzungen hospitalisiert. Ein Polizist musste im Spital behandelt werden, weil ihn eine Frau bei der Festnahme in den Arm gebissen hatte. (mth)

Taskforce gegen Stadionkrawalle

Der Fussballverband sucht nach Lösungen, um die Gewaltspirale zu stoppen.

Der Sicherheitsexperte der Grasshoppers ist besorgt: «Wenn es so weitergeht in den Stadien, gibt es früher oder später noch Tote», sagt Peter Landolt. Es müsse rasch etwas geschehen, sonst drohten hier Zustände wie in Italien. Hoffnungen setzt er in die Taskforce, die der Schweizerische Fussballverband neu gebildet hat. Rund zehn Leute, Vertreter des Verbands, der Vereine und von Fangruppen arbeiten an einem Massnahmenpapier. Lösungen sind allerdings erst auf Anfang nächster Saison zu erwarten.

Landolt, selber Mitglied der Taskforce, hat ein zentrales Anliegen: Das Verursacherprinzip, das im November 2002 ausser Kraft gesetzt wurde, muss unbedingt wieder eingeführt werden. Denn exakt seitdem die Heimklubs für die Kosten aller Randale aufkommen müssten, sei die Gewalt eskaliert, habe das Abfeuern von Feuerwerkskörpern zugenommen. Der Grund: Ohne Verursacherprinzip fühlen sich die Vereine nicht mehr verpflichtet, ihre Fans an Auswärtsspiele zu begleiten, um sie dort zu mässigen. Die Folgen: Im Heimstadion verhalten sich die Fans ruhig – und auswärts, so Landolt, «tun sie wie die Sau». Schliesslich kostet es den Klub ja nichts.

Es war der FCZ, der mit seinem Rekurs vor eineinhalb Jahren das Verursacherprinzip ausser Kraft setzen liess. Es sei kaum nachzuweisen, wer der Urheber der Gewalt sei, lautete die Begründung. Der FCZ ist nach Basel der Klub, der am meisten für die Verfehlungen seiner Fans bezahlen muss. (zo)