Provinzposse im Logo-Dschungel

Der Bund

Die angeblich «antifaschistischen» Anschläge auf eine Thuner Kleiderboutique werfen ein grelles Licht auf die enorme Bedeutung von Modelabels in der Identitätsbildung von Jugendlichen. Welche Labels nun gerade «hip» sind, ist auch von lokalen Faktoren abhängig.

Eine Thuner Kleiderboutique als Ort einer gewalttätigen, jugendkulturellen Auseinandersetzung – das verlangt nach einer Erklärung. Expression Store, der umstrittene Laden (siehe Artikel unten), sei ein Treffpunkt von «namentlich bekannten Rechtsextremen», begründete die «antifaschistische Widerstandsgruppe» ihren Anschlag in einem Bekennerschreiben. Als möglicher Beleg für die Nähe zu rechtsextremer Gesinnung wird in den Medien die britische Modemarke Lonsdale gewertet, die im Laden Expression Store offenbar sehr erfolgreich verkauft wird. Der Name Lonsdale enthält die Buchstabenreihe nsda und soll darum für NSDAP, Hitlers Nazipartei, stehen.

Ein genauerer Blick auf die Geschichte des Modelabels Lonsdale zeigt aber, dass die Auseinandersetzungen in Thun eher als Provinzposse zu werten sind. Die Marke geht auf einen britischen Lord namens Earl Lonsdale zurück, der 1909, als Präsident des National Sporting Club of Britain, einen Boxwettkampf ins Leben rief. Dem Sieger winkte ein Gürtel mit dem Schriftzug Lonsdale. Erst 50 Jahre später wurde Lonsdale als Marke eingeführt, zunächst ausschliesslich als Ausrüstung für Boxer (Shorts, Handschuhe und Stiefel). Muhammad Ali, einer der ersten wirklichen Superstars des modernen Sportgeschäftes, kämpfte in Lonsdale-Boxershorts und verlieh dem Label die spezifische Aura des tänzerischen, selbstbewussten afroamerikanischen Auftretens. Auch jüngere Boxstars wie Lennox Lewsi oder Mike Tyson trugen Lonsdale.

Den Schritt vom Boxer- zum Modelabel hat Lonsdale Paul Wellter zu verdanken. Der Sänger der (sich als links verstehenden) Band The Jam liess sich in den frühen 80er-Jahren in Lonsdale-T-Shirts ablichten und brachte das Label in den Rezeptionskatalog der Popkultur ein. Doch nicht nur britische Popstars fanden an der schlichten, proletarischen Ästhetik von Lonsdale ihren Gefallen. Ab Mitte der 80er-Jahre entwickelten auch Skinheads und Neonazis eine Affinität zu Lonsdale. Getragen unter einer offenen Bomberjacke, konnten Lonsdale-T-Shirts als öffentlich getragenes, aber verklausuliertes Bekenntnis zur NSDAP verstanden werden.

Lonsdale geriet unter Druck antirassistischer Organisationen. Der Ruf, eine rechtsextreme Modelinie zu verkaufen, belastete die Geschäftsbeziehungen, vor allem auch nach Deutschland. Die Modefirma trat in den 90er-Jahren die Flucht nach vorne an und distanzierte sich unmissverständlich von rechtsextremer Gesinnung. Mit Erfolg: Skinheads in England und Deutschland mussten sich nach einer anderen Modemarke umschauen. In Deutschland gründeten rechtsextreme Kreise gar ein eigenes Label, das den Bezug zur NSDAP zweifelsfrei unter Beweis stellt: Consdaple. Diese Kleidermarke wird von so genannt patriotischen Versandfirmen vertrieben, die etwa auch Sturmriemen, wie sie Hitlers SS-Schergen trugen, im Angebot haben.

Es gibt weitere Beispiele, wie die rechte Szene es zustande brachte, Modemarken für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Fred Perry ist eine Marke, die in Anlehnung an einen britischen Tennisspieler benannt wurde, der, aus einfachen Verhältnissen kommend, in den 30er-Jahren mehrmals in Wimbledon gewann. Den Skinheads gefiel der Lorbeerkranz im Perry-Logo.

International gesehen ist Lonsdale seit Jahren politisch ein Neutrum. Möglicherweise aber nicht in Thun. Auch in anderen provinziell geprägten Regionalzentren hat sich das Label jüngst stark verbreitet. Es wird in Szenen getragen, die Berührungspunkte mit rechtsextremer Gesinnung zumindest nicht meiden. Im Fussballfankreisen etwa kleiden sich die Ultras, die besonders harten Fans, gerne in Lonsdale. Und in der Jugendpopkultur sind die so genannten Hardcore-Technos besonders scharf auf den britischen Retrolook à la Lonsdale. Die Anhänger knüppelharter, dumpfer Techno-Musik pflegen eine Faszination für Maschinenmusik – man kann darin durchaus eine ästhetische Verwandtschaft zum Faschismus sehen.

Francis Pauchard, der Besitzer der Berner Modeboutique Olmo, hatte Lonsdale auch im Angebot. Heute führt er das Label wegen einem Rechtsstreit mit einem Lieferanten nicht mehr. Auch wenn er bei den Lonsdale-Einkäufern im Olmo nie einen eindeutigen Hinweis auf rechtsextreme Gesinnung erkennen konnte, ist Pauchard nicht besonders unglücklich darüber, dass er die Marke nicht mehr im Programm führt respektive dass die Hard-Technos sich woanders eindecken: «Lonsdale hat diesen komischen Beigeschmack.»

Die Bedeutungszuteilung an Logos und Labels ist eine sehr komplexe und fluide, mitunter verwirrliche Angelegenheit. Man muss sie vor dem Hintergrund der Popkultur verstehen, die in den letzten 50 Jahren in die hintersten Gesellschaftsdomänen vorgedrungen ist und eine zentrale Rolle im jugendlichen Alltag spielt. Das Verhältnis von Jugendkultur und Mode verändert sich immer rasanter. In den 60er- und 70er-Jahren richteten sich die Hippies und Nonkonformen zunächst nach einem Anti-Mode-Konzept aus. Je schlampiger die Kleidung, desto grösser die provokative Wirkung. Gleichzeitig führten Mods und Rocker vor, dass Abgrenzung auch elegant zu haben ist. Die Anti-Anti-Mode des Punks läutete eine weitere Steigerung ein – um sich von der Gesellschaft allgemein, aber auch spezifisch von den vorherigen Subkulturen abzugrenzen, griffen Punks zu Hakenkreuzen und Selbstverstümmelungen mit Sicherheitsnadeln.

Selbstverständlich wurde die subkulturelle Hippie- und Punk-Mode von der Modeindustrie als Mainstreamkultur kommerzialisiert. Die Antwort des Hip-Hops führte ein neues Phänomen ein: die subversiv verstandene Bedeutungsbesetzung von Labels. Die Band Run DMC, die sich auf freche, spielerische Weise mit der weissen (Hardrock-)Kultur anlegte, trug Turnschuhe mit drei weissen Streifen. Die schwarzen Hip-Hopper eigneten sich die deutsche, also weisse Sportmarke Adidas an, die noch in den 80er-Jahren als hoffnungslos bieder galt – ein genialer Marketing-Schachzug. Nicht nur für Run DMC: Heute hat sich Adidas als angesagte, erfolgreiche Weltmarke etabliert. Das Beispiel machte Schule: Seit den 90er-Jahren ist es modern, Logos zweckentfremdet zu tragen – als Variante kam später die leichte Modifikation von Labels dazu: T-Shirts mit dem Schriftzug «Adihasch» statt Adidas suggerierten ein subtiles Spiel zwischen Mainstream und Subkultur.

Adidas, Nike und Co. haben einen globalen Siegeszug hinter sich. Durch diesen sind sie aber auch angreifbar geworden. Da der Mehrwert von Modekleidern fast ausschliesslich in der Verbindung mit dem Logo entsteht, kann sich ein Imageschaden verheerend auswirken. Weltweit orchestrierte Kampagnen von Entwicklungsorganisationen haben die grössten Weltmarken zu Konzessionen gezwungen. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die in Drittweltländern für die grossen Labels Nike, Adidas und Reebok produzieren, konnten so zumindest in die Nähe der Normen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gebracht werden. In der Schweiz kämpft die Clean Clothes Campaign (CCC) der Erklärung von Bern (EvB) jetzt mit so genannten «B-Brands», jenen ebenfalls bekannten, aber global nicht so umfassend erfolgreichen Firmen. Die öffentliche Kritik habe bei den ganz grossen Firmen «relativ viel erreicht», bilanziert Stefan Indermühle, CCC-Kampagnen-Leiter bei der EvB. Kleinere Firmen aber wie Fila, Kappa und Umbro «sind noch nicht einmal gestartet zum Marathon für menschenwürdigere Produktionsbedingungen».