Neonazi: Obergericht hebt Verwahrung auf

Tages-Anzeiger: Der Mann, der im Frühling 2012 einem Kontrahenten im Niederdorf in die Brust geschossen hat, erhält vom Obergericht eine längere Freiheitsstrafe.

Am 5. Mai 2012 hatte der damals 25-jährige Sebastien N. einen Kontrahenten vor dem McDonald’s im Niederdorf niedergeschossen und schwer verletzt. Der Rechtsextreme mit grossen Hitler- und Hakenkreuz-Tattoos auf der Brust floh daraufhin nach Hamburg, wo er zwei Tage später und immer noch im Besitz der Tatwaffe verhaftet wurde. Das Bezirksgericht hatte ihn vor knapp zwei Jahren wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren mit anschliessender Verwahrung verurteilt. Das Obergericht erhöhte gestern zwar die Freiheitsstrafe auf vierzehn Jahre, verzichtete aber auf die anschliessende Verwahrung.

Die Staatsanwältin hatte eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren mit anschliessender Verwahrung gefordert. Für sie lag die Tat bereits im «Grenzbereich zum versuchten Mord». Der Verteidiger plädierte für eine vierjährige Freiheitsstrafe wegen eventualvorsätzlicher Körperverletzung und forderte eine ambulante Massnahme. Gegen das Urteil können beide Seiten Beschwerde beim Bundesgericht einreichen.

Kleiner Schritt zur Verwahrung

Sebastien N. muss sich in Haft einer ambulanten Behandlung unterziehen, die so intensiv wie nur möglich sein soll. «Wir bauen Ihnen damit eine Brücke und geben Ihnen die Chance, mit gegen 40 Jahren als normaler Bürger in Freiheit zu leben», sagte der Gerichtsvorsitzende Christoph Spiess bei der Urteilseröffnung. Das Gremium habe noch «eine Resthoffnung», dass es bei ihm ein Potenzial zur Besserung gebe. Er warnte Sebastien N. aber auch, dass es bis zur Verwahrung nur ein kleiner Schritt sei, wenn er bei den Therapien nicht mitmache. «Ein Wunschkonzert ist das nicht.»

Bei der Befragung am Morgen hatte sich der Angeklagte strikte geweigert, eine stationäre Massnahme auch nur in Betracht zu ziehen. Der Gang in die Psychiatrie verglich er mit einem auf den Scheiterhaufen – mit solchen Institutionen habe er bereits in seiner Kindheit Erfahrung gemacht. Werde er dazu gezwungen, «bin ich in zwei Wochen schon wieder hier».

Auch bei einem ersten psychiatrischen Gutachten vor der Verhandlung vor dem Bezirksgericht hatte er jegliche Zusammenarbeit verweigert. Dieses kam klar zum Schluss, dass Sebastien N. an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet. Inzwischen hat Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons, auf Wunsch von Sebastien N. ein weiteres Gutachten erarbeitet. Urbaniok sei der Einzige, der die Grösse habe, ihn beurteilen zu dürfen, hat Sebastien N. laut Oberrichter gesagt. Urbaniok kam zum gleichen Schluss wie der erste Gutachter. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sebastien N. wieder zu Gewalttaten neigt, betrachten beide als hoch. Eine stationäre Massnahme ohne die Einwilligung des Beschuldigten mache keinen Sinn.

«Wer so schiesst, will töten»

Für das Obergericht ist erwiesen, dass Sebastien N. nicht aus Notwehr handelte. Er hatte sich mit dem späteren Opfer, das auch zur rechtsextremen Szene gehört hatte, zuerst in einer Bar getroffen, wo sich bereits Spannungen aufbauten. Vor dem McDonald’s kam es später zu einer Schubserei, bei der Sebastien N. die geladene Waffe zog, entsicherte und aus 40 bis 80 Zentimeter Entfernung schoss. «Wer aus so naher Distanz auf den Oberkörper eines anderen schiesst, will ihn töten», sagte Oberrichter Spiess.

Sebastien N. sagte in seinem Schlusswort, er würde sich beim Opfer – das er mit Nachnamen nannte – entschuldigen, wenn dieses hier wäre. Vor Gericht war er komplett in Schwarz gekleidet, ein Rollkragenpullover verdeckte seine auffälligen Tattoos am Hals. Im Gegensatz zur Verhandlung vor Bezirksgericht erschienen gestern keine befreundeten Mitglieder der Hells Angels mehr.

Klar ist im weiteren, dass Sebastien N. nicht Anführer einer rechtsextremen Terrorgruppe mit Namen Werwolf-Kommando war, wie ihn die deutschen Behörden aufgrund von Aussagen einer Freundin verdächtigten. Die deutsche Generalbundesanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt, berichtete die NZZ gestern online.