«Nazi-Gesten haben die Botschaft: Haut ab, sonst holen wir euch!»

Sonntagszeitung.

Interview mit Extremismus-Experte. Der Bundesrat lehnt es ab, Nazi-Symbole wie das Hakenkreuz oder den Hitlergruss zu verbieten. Der forensische Psychologe Jérôme Endrass kritisiert den Entscheid. 

Herr Endrass, hat Sie der Entscheid des Bundesrats überrascht?

Überrascht hat mich vor allem die Nonchalance des Entscheids. Gleichzeitig passt sie zur  Haltung, dass man jahrelang der Meinung war, Juden sollten für den Schutz ihrer Einrichtungen keine Staatsgelder erhalten, sondern selbst dafür aufkommen. Das war so grotesk, wie wenn Frauen in Frauenhäusern gesagt würde, sie müssten für die Sicherheitsvorkehrungen selbst bezahlen.

Was halten Sie als Extremismus-Experte von diesem Entscheid?

Aus forensischer Sicht ist er äusserst unklug. Das Zurschaustellen von Nazi-Symbolen hat etwas Bedrohliches. Es hat einen eindeutigen Ankündigungscharakter.

Wie meinen Sie das?

Nazi-Gesten und Symbole haben die unmissverständliche Botschaft: Haut ab, sonst holen wir euch! Wer vor einer Synagoge den Hitlergruss macht oder mit einem Hakenkreuz auf der Jacke herumläuft, teilt genau das mit. Und die Botschaft kommt bei den Betroffenen an. Wer vor einer älteren jüdischen Dame steht und den Hitlergruss macht, weiss, dass sie dadurch terrorisiert wird. Weshalb bei uns bis zum Güselsack alles reglementiert ist, aber ausgerechnet das nicht, ist schlicht nicht nachvollziehbar.

Müsste man dann konsequenterweise nicht auch linksextreme Symbole verbieten? Kommunistische Schreckensherrschaften sorgten ebenfalls für Terror.

Das stimmt, aber alles, was mit Nazis zu tun hat, beinhaltet eine besondere Schärfe. Ihre Symbolik steht für den Tod von über 6 Millionen Juden und den Plan, alles jüdische Leben in Europa auszulöschen.

Der Bundesrat schlägt statt Strafe Prävention vor. Hilft das?

Wie soll das konkret funktionieren? Indem Plakate an Rechts-Rock-Konzerten aufgehängt werden? Natürlich soll Prävention ihren Platz haben, und zwar, wenn es darum geht, die Entstehung von Antisemitismus zu vermeiden. In der Schule etwa. Aber ab einem gewissen Punkt reicht gutes Zureden allein nicht mehr aus. Prävention ist kein Argument gegen Verbote. Hier macht der Bundesrat einen Überlegungsfehler.

Welchen?

Grenzen aufzuzeigen, ist die Voraussetzung für präventive Arbeit. Man erreicht Extremisten erst dann, wenn man sie für ihre Einstellung belangen kann.

Könnte eine Bestrafung nicht den gegenteiligen Effekt haben, weil man dadurch in der Szene zu einer Art Ruhm kommt?

Erfahrungen in anderen Ländern, welche die Symbolik verbieten, geben keinen Hinweis darauf.

Wie gross ist die Gruppe von Menschen, die öffentlich Nazi-Symbole tragen?

Der harte Kern ist klein. Das Problem ist, dass die antisemitische Ideologie weit verbreitet ist: Das reicht von den Islamisten über die Verschwörungstheoretiker von Qanon bis hin zu der immer wieder zu hörenden Behauptung, die Juden steckten hinter 9/11. Antisemitismus ist zudem im arabischen Raum allgegenwärtig: «Sohn einer Jüdin» ist ein Fluchwort auf Arabisch, da steckt die ganze Verachtung drin. Mit der Immigration aus muslimischen Ländern haben wir einen Antisemitismus der übelsten Sorte importiert.

Nimmt der Antisemitismus zu?

Er ist eines der ältesten Vorurteile der Welt und nimmt gerade im Kontext von Krisen markant zu. Aber die Auseinandersetzung damit wird oft als lästig empfunden. Und wenn man ihn als Problem anerkennt, dann sicher nicht bei sich selber – sondern immer nur bei anderen. Dabei wissen wir, dass Vorurteile und Hass nicht vor Parteigrenzen haltmachen.

Wie meinen Sie das?

Das Phänomen lässt sich bei Linken wie Rechten, Religiösen wie Nicht-Religiösen beobachten: Alle tun so, als ob die anderen das Problem wären. Das haben ja alle Verschwörungstheorien gemeinsam: Am Ende ist dieser antisemitische Topos drin. Sogar ein Rechter und ein Linker haben da einen gemeinsamen Nenner.