Nach Razzia gegen mutmassliche Neonazis: Rechtsextreme «Junge Tat»-Mitglieder sind geständig

Neue Zürcher Zeitung. Am Mittwoch nahm die Zürcher Kantonspolizei mehrere mutmassliche Neonazis fest. In der rechtsextremen Szene ist die Aufregung gross.

Die Polizeiaktion gegen mehrere mutmassliche Neonazis im Kanton Zürich hat in der rechtsextremen Szene einigen Wirbel verursacht. Am frühen Mittwochmorgen klopfte die Zürcher Kantonspolizei an die Türen von fünf jungen Männern, verhaftete sie und beschlagnahmte Beweismaterial – und mehrere Waffen. Dasselbe Schicksal ereilte einen Gesinnungsgenossen in Luzern.

Unter den Festgenommenen befinden sich Exponenten der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat». In ihrem Kanal auf dem Messenger-Dienst Telegram ist die Aufregung gross. «Betroffen sind sowohl Aktivisten, aber auch Freunde und Bekannte», heisst es in einem Post. Man mache dennoch weiter und stehe «hinter den verhafteten Kameraden».

Mittlerweile seien alle sechs Männer wieder aus der Haft entlassen worden, wie Erich Wenzinger, der Sprecher der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft, am Donnerstag auf Anfrage sagt. Sie seien grundsätzlich geständig. Die Staatsanwaltschaft führt gegen die Beschuldigten ein Strafverfahren wegen Diskriminierung und Aufrufs zu Hass. «Bei einzelnen Personen kommen zudem Waffen- und weitere Delikte hinzu», ergänzt Wenzinger.

Die Gruppierung «Junge Tat», der mehrere der Beschuldigten angehören, besteht aus mehrheitlich sehr jungen Männern. Sie bedienen sich der neuen Medien, stellen professionell gefertigte Videos ins Netz oder posten Bilder von sich mit Sturmhauben. In ihrer Vorgehensweise ähnelt die «Junge Tat» der Identitären Bewegung, einem rechtsextremen Bündnis, das vor allem in Deutschland und Österreich aktiv ist. Dass die Gruppierung mit ihrer extremen Ideologie eine nicht gerade kleine Zahl von Sympathisanten anspricht, zeigt ihr offener Telegram-Kanal. Er zählt aktuell über 3800 Mitglieder.

Rechtsextremer Sabotageakt während jüdischer Veranstaltung

Ihr prominentester Agitator ist ein 20-jähriger Kunststudent aus Winterthur. Wegen seiner extremistischen Gesinnung hat ihn die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ausgeschlossen. Dies, nachdem die Polizei im August bei einer Razzia mehrere Waffen bei ihm beschlagnahmt hatte.

Laut den Tamedia-Zeitungen soll der Schlag gegen das Neonazi-Milieu mit einem Sabotageakt zusammenhängen. Am vergangenen Sonntag störten Rechtsextreme eine Online-Veranstaltung der Jüdischen Liberalen Gemeinschaft der Stadt Zürich (JLG). Der Anlass über spätmittelalterliche Wandmalereien einer jüdischen Familie musste abgebrochen werden. Gemäss Bericht hat der Verein mittlerweile Strafanzeige eingereicht.

Während der Störaktion infiltrierten vermummte antisemitische Agitatoren laut einem Artikel des jüdischen Wochenmagazins «Tachles» die Veranstaltung. Sie liessen obszöne Skizzen, pornografische Szenen oder ein Hitler-Foto in die Online-Sitzung einfliessen.

Beim Interreligiösen Runden Tisch des Kantons Zürich löst die Aktion Bestürzung aus. Das Gremium, das sich die Vermittlungsarbeit zwischen Religionsgemeinschaften und Behörden zur Aufgabe gemacht hat, fordert am Donnerstag in einer Mitteilung die Strafverfolgungsbehörden auf, alles zu unternehmen, um «die Hass-Täter ausfindig zu machen». «Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, auch nicht im Internet», heisst es im Schreiben weiter.

Anfrage im Kantonsrat

Fast gleichzeitig mit der Aktion gegen das Neonazi-Milieu beantwortete der Regierungsrat eine Anfrage betreffend Rechtsextremismus bei der Zürcher Kantonspolizei. In der letzten Zeit wurden in Deutschland und Österreich mehrere rechtsextreme Netzwerke innerhalb von Polizei, Militär und Geheimdiensten enttarnt. Dies führte im Zürcher Kantonsrat zu einer Anfrage von drei linken Parlamentarier. Sie wollten wissen, ob es bei der Kantonspolizei zu ähnlichen Vorfällen gekommen sei.

Die Antwort des Regierungsrates: Nein. Rechtsextremismus habe im Korps keinen Platz, heisst es in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage. Es gebe auch keine Hinweise auf rassistische Strukturen oder entsprechende Tendenzen. Ohnehin müssten angehende Ordnungshüter eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen.

Die Parlamentarier führen ihrerseits zwei fragwürdige Beispiele an: So soll die Sondereinheit Diamant an einem Workshop der Firma Baltic Shooters in Deutschland teilgenommen haben. Der Betreiber dieses privaten Schiessplatzes habe enge Kontakte unterhalten zu einer rechtsgerichteten Gruppe, gegen die wegen Terrorverdachts ermittelt werde.

Und in einem anderen Fall sei eine Person in leitender Funktion bei der Kantonspolizei Mitglied einer Whatsapp-Chatgruppe mit dem Namen «Grenadiertreff» gewesen. Darin seien fragwürdige Inhalte geteilt worden – nebst verbotener Pornografie und Gewaltdarstellungen Bilder mit rechtsextremem Inhalt. Ein weiterer Polizist sei Teil dieser Gruppe gewesen.

Umstrittene Chatgruppe

Zum Fall mit der Shooting Ranch relativiert der Regierungsrat. Im Jahr 2011 hätten zwei Instruktoren der Kantonspolizei an dem Workshop teilgenommen und nicht die ganze Einheit. Das Gedankengut der Betreiber sei bei der Ausschreibung des Kurses nicht erkennbar gewesen. Ohnehin habe die Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Ministers für Inneres und Sport des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern gestanden.

Und die umstrittene Chatgruppe? Die erwähnte Person arbeite bei der Kantonspolizei auf Stufe Teamchef, sei aber nicht Angehörige des Korps. Zudem sei sie in erster Instanz «von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen» worden. Ein Strafverfahren gegen den zweiten beteiligten Kantonspolizisten sei noch pendent. Eine interne Administrativuntersuchung habe man aufgrund des Verfahrens sistiert.