Mehr als nur «Soldatenlieder»

Newsnet: Heute soll es in Zürich zum grossen Rechtsrock-Treffen kommen. Unter den Musikern befinden sich prägende Figuren der europäischen Neonazi-Szene.

Bei Mark F. ist die Vorfreude auf den 1. August gross: «Es ist unser erstes Konzert in der Schweiz. Und wir hoffen, dass noch viele weitere in diesem tollen Land folgen werden», sagt der Brite gegenüber . Mit seiner Band Flathead FH:33 tritt er am Nationalfeiertag an einem Rechtsrock-Konzert irgendwo im Raum Zürich auf: «Rock fürs Vaterland» steht auf dem Flyer, der seit Wochen im Internet kursiert. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist alarmiert und steht mit den lokalen Polizeikorps in Kontakt. Auf Anfrage gibt die Stadtpolizei Zürich bekannt, dass sie zurzeit zwar nicht wisse, wo der Anlass stattfinde, aber die Lage selbstverständlich beobachte.

Gemäss der Berner Antifa soll es sich um «einen der grössten Anlässe der extremen Rechten seit Jahren» handeln. Ein genauer Blick auf die angekündigten Bands bestätigt die Aussage. Darunter befinden sich einige prägende Namen der europäischen Rechtsrockszene. Angefangen bei den Briten von Flathead FH:33. Sänger Mark F. war früher Bassist bei Skrewdriver. Die Band etablierte sich in den 80er-Jahren als eine der bekanntesten neonazistischen Bands. Ihr 1993 verstorbener Sänger Ian Stuart gilt bis heute als grosse Ikone der Szene. Zu seinen Ehren werden regelmässig Gedenkanlässe organisiert.

«Wir hoffen auf viele weitere Auftritte in diesem tollen Land.»Mark F., Sänger von Flathead FH:33

Äusserst zweifelhaft auch der Ruf der deutschen Band Die Lunikoff Verschwörung: Der Frontmann Michael R. war Sänger der inzwischen aufgelösten Gruppe Landser, die in Deutschland als «kriminelle Vereinigung» eingestuft wird. 2003 wurde Michael R. zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Er ist heute aktives Mitglied der rechtsextremen deutschen Partei NPD und gilt in der Neonazi-Szene als Galionsfigur.

International etwas weniger bekannt, dafür aus Schweizer Sicht umso bemerkenswerter ist die Band Amok. Drei der vier Mitglieder sind in der Region Hombrechtikon ZH aufgewachsen. In den vergangenen Jahren verstiess die Gruppe mehrfach gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm und schreckt auch vor physischer Gewalt nicht zurück. Der letzte Vorfall liegt nicht weit zurück. Ein Mob von rund 20 Männern attackierte am 4. Juli in Zürich-Wiedikon auf offener Strasse einen orthodoxen Juden. Sie spuckten ihm ins Gesicht, schrien «Heil Hitler» und bezeichneten den Mann als «Scheiss-Juden» – er solle doch nach Auschwitz gehen. Anführer der Gruppe war – wie die Recherche der «SonntagsZeitung» ergab – der 27-jährige Kevin G. Seines Zeichens Frontmann von Amok.

Diese Gruppe attackierte im Kreis 3 einen orthodoxen Juden. (Screenshot: TeleZüri)

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) ist beunruhigt. In diesem Jahr verzeichne man im Vergleich zum Vorjahr zwar verhältnismässig weniger antisemitische Vorfälle, allerdings habe deren Qualität ein anderes Ausmass angenommen. «Der Vorfall zeigt exemplarisch, dass es nicht nur bei Worten bleiben kann», sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner gegenüber . Er erwarte von der Polizei, dass sie kommende Konzerte genau im Auge behalte.

«Der Vorfall zeigt exemplarisch, dass es nicht nur bei Worten bleiben kann.»Jonathan Kreutner, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund

Dem Zürcher Rechtsanwalt Valentin Landmann ist die Gruppe Amok bestens bekannt. 2008 vertrat er Mitglieder vor Gericht, als sie aufgrund einer Morddrohung am Luzerner Journalisten Hans Stutz angeklagt und später zu Geldstrafen verurteilt wurden. Er charakterisierte sie damals als Menschen, die «Freude an einer neokonservativen Haltung und soldatischen Liedern» hätten, bisweilen in ihrer Einschätzung «üppig daneben» lägen. Landmann teilt diese Einschätzung auch heute noch: «Wir dürfen auf keinen Fall vorverurteilen. Wenn jemand Soldatenlieder singt, ist das noch keine Straftat.»

Auf ihrer neuen CD äussern sich Amok jedoch wieder explizit. «Hier lässt sich keiner den Mund verbieten, daher geht es textlich an die Grenzen des absolut Machbaren!», preist das Label die Aufnahme an. So ist unter anderem ein Aufruf zur Kristallnacht enthalten.

Strikte Verbote solcher Konzerte hält Landmann dennoch für den falschen Weg: «Hass lässt sich in unserer Gesellschaft nicht durch Unterdrückung bekämpfen.» Wenn es zu expliziten antisemitischen Aufrufen käme, so dürfe man dies natürlich nicht tolerieren, so Landmann. «Sind die Parolen nicht eindeutig, so bin ich im Zweifelsfall immer für die Meinungsfreiheit.»

Landmanns damalige Verteidigung für die Gruppe ist bemerkenswert, zumal der Anwalt selbst jüdischer Abstammung ist. Gegenüber sagte er 2008: «Jedermann hat das Recht auf Verteidigung. Ein junger Mensch, der mal auf dem falschen Weg sucht, sollte nicht gleich verdammt werden.»

Geschickte Verwirrungstaktiken

Tatsächlich war es nach der Verurteilung länger ruhig um die Band. Offiziell galt sie als aufgelöst. 2013 gab Sänger Kevin G. mit neuen Mitmusikern ein Comeback. Ihr Auftritt in Ebnat-Kappel SG gab Einblick, wie Rechtsrock-Bands vorgehen, um der Aufsicht der Justiz zu entkommen. Ursprünglich kündigte man den Auftritt im zürcherischen Gossau an. Nur um die Teilnehmer am Konzerttag kurzfristig und per SMS ins abgeschiedene Toggenburg zu lotsen. Dort konnten sie in einem Berghaus ungestört ihre Party feiern.

«Im Zweifelsfall immer für die Meinungsfreiheit.»Valentin Landmann, Rechtsanwalt

Auf ähnliche Weise scheinen nun auch die Organisatoren von «Rock fürs Vaterland» vorzugehen. Der Auftrittsort bleibt bis zuletzt unbekannt. Nicht einmal die britische Teilnehmerband Flathead FH:33 scheint Genaueres zu wissen, gibt sie auf Anfrage bekannt. «Wir und die Zuschauer werden erst am Durchführungstag informiert», sagt der Sänger.

Blood and Honour: In der Schweiz geduldet

Selbst wenn die Polizei vom Auftrittsort wüsste, hiesse das nicht, dass das Konzert sogleich verhindert würde. «Unter dem Gesichtspunkt der Gewährung von Ruhe und Ordnung und mit Fokus auf allfälliges strafrechtliches Verhalten würden wir allfällige Massnahmen treffen», sagt Judith Hödl, Sprecherin der Stadtpolizei. Dass die Behörden keinen leichten Job haben, zeigt etwa die geschickte Vorgehensweise der Lunikoff-Verschwörung. Die Band liess ihre Texte vor Veröffentlichung juristisch prüfen. Auf diese Weise praktiziert sie eine Gratwanderung am Rande der Legalität.

Als Organisator des Konzertes agiert übrigens die Organisation Blood and Honour (Anm. d. Red.: Blut und Ehre). Das rechtsextreme Netzwerk koordiniert neonazistische Bands und ist bekannt für das Verbreiten nationalsozialistischer Ideologien. In Deutschland oder Russland gilt die Organisation als verboten – im Gegensatz zur Schweiz. Seit Beginn des Jahrtausends existieren mehrere Sektionen. Diejenige in Zürich gilt zurzeit als die aktivste.