«Wir leiden unter dem Kreuzfeuer»

Newsnetz / Der Bund vom 12.11.2010

Für die islamische Gemeinde in Langenthal gibt es keine Ruhe. Sie möchte ihr bewilligtes Minarett endlich bauen. Die Gegner berufen sich auf das Verdikt des Schweizer Stimmvolks – und sagen kategorisch Nein.

 

Dölf Barben

«Für uns ist es schon schwer», sagt Mutalip Karaademi, Leiter der islamischen Gemeinde Langenthal. «Wir leiden unter dem politischen Kreuzfeuer der konservativen Parteien. Wir sind Familienväter, wir tun unsere Arbeit. Manchmal fragen wir uns: Warum das alles?»

Seit das Schweizer Stimmvolk vor einem Jahr die Minarettverbots-Initiative angenommen hat, steckt die Gemeinde in einer schwierigen Situation. Seit vier Jahren möchte sie auf ihrem Zentrum an der Bützbergstrasse eine Glaskuppel und ein 6,9 Meter hohes Minarett bauen. Die Stadt Langenthal hat das Projekt schon vor dieser denkwürdigen Abstimmung bewilligt (s. Kasten). Zugespitzt hat sich die Situation diesen Herbst, als die kantonale Baudirektion das Minarett ebenfalls bewilligt hat – gerade deshalb, weil das Baugesuch lange vorher eingereicht worden war («Bund» vom 22. 9.). Seither sind die Minarett-Gegner alarmiert. Für sie gibt es nach dem Volksentscheid vom 29. November 2009 kein Wenn und Aber mehr.

«Wir sind tolerant»

Für Mutalip Karaademi aber schon. Für die «ganz grosse Mehrheit» der Gemeindemitglieder – «deren Zahl oszilliert zwischen 110 und 160» – sei klar, dass sie nicht auf das Minarett verzichten wolle. «Warum auch?», fragt der 55-Jährige, der als Albaner in Mazedonien aufgewachsen ist – wie die meisten Mitglieder der Gemeinde – und seit 28 Jahren in der Schweiz lebt. Die Bewilligung liege ja auf dem Tisch. «Wie andere religiöse Gemeinschaften wollen auch wir präsent sein. Wir wollen zeigen, dass wir nicht das sind, als das man uns bezeichnet.» Karaademi sagt, viele glaubten, hier verkehrten Islamisten und Terroristen. «Damit haben wir nichts zu tun. Wir sind tolerant. Wir sind Demokraten.» Für ihn sei die Schweiz Heimat, auch wenn er nicht eingebürgert sei, sagt Karaademi. «Ich liebe dieses Land.» Mit diesem Projekt wolle die Gemeinde auch Türen öffnen. Ein schöner Gebetsraum und ein Zentrum mit einem Minarett wären «auch eine Attraktion für Langenthal», sagt er. Überhaupt sei ein funktionierendes islamisches Zentrum «gut für die Gemeinschaft als Ganzes», weil hier viele Jugendliche integriert würden.

«Missbrauch der Volksinitiative»

Für Daniel Kettiger, der die Gemeinschaft als Anwalt vertritt, gibt es ebenfalls keinen Grund, auf das Minarett zu verzichten beziehungsweise den Rechtsweg nicht zu beschreiten. Unternehmen würden schliesslich auch nicht auf Bauprojekte verzichten, nur weil es Einsprachen dagegen gebe. Für Kettiger steht die Frage, wann das Gesuch eingereicht wurde, nicht einmal im Zentrum. In einem Aufsatz, den er nach der Minarettverbots-Abstimmung publizierte, schreibt er von einer «untauglichen Verfassungsnorm»: «Das Verbot ist der Ausdruck eines politischen Missbrauchs des Instruments der Volksinitiative zu Zwecken der Symbolpolitik.» Für ihn ist klar, dass das Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg keinen Bestand haben wird – und das Langenthaler Minarett früher oder später gebaut werden kann.

«Fatal für uns»

Seit die Baubewilligung des Kantons vorliegt, ist es unruhig in Langenthal. Am 9. Oktober marschierten die rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) und die Autopartei mit gegen 100 Demonstranten vor dem Zentrum auf. Anführer wischten mit einem Besen Minarett-Modelle aus Karton von einer Schweizer Fahne. Das Aktionskomitee Stopp Minarett kämpft anders gegen das Minarett (siehe unten).

Solche Aktionen wie jene der Pnos seien «fatal für uns, aber auch für die Schweiz», sagt Karaademi, der in Pristina Pädagogik studierte und sich als sehr geschichtsinteressiert bezeichnet. Heute arbeitet er in einem Möbelunternehmen. Beim Aktionskomitee verstehe er wiederum die Motive der Mitglieder nicht.Es seien ebenfalls Familienväter. Sie seien «auch nett und kommunikativ», aber er frage sich, «warum sie derart stark auf ihre Idee fixiert sind». Karaademi bezeichnet das Aktionskomitee als «ideologisch und in dem Sinn stur». Zur Enthüllung des Mahnmals sei er auch eingeladen worden. «Aber was will ich dort», fragt er. Das Mahnmal sei als Provokation gedacht. «Sie erfinden immer Neues und wollen zeigen, dass das Komitee lebt.»

 

Das Langenthaler Minarett

Die Stadt Langenthal hat der islamischen Gemeinschaft Xhamia e Langenthalit am 20. Dezember 2006 die Bewilligung für den Ausbau ihres Kultus- und Begegnungszentrums erteilt. Sie umfasste die Vergrösserung des Vereins- und Gebetsraums sowie den Aufbau einer Kuppel und eines Minaretts.Die kantonale Baudirektion wies die Akten nach einer Beschwerde von Nachbarn im April 2007 an Langenthal zurück. Die Stadt klärte Zonenkonformität und Lärmsituation weiter ab und erteilte am 30. Juni 2009 erneut die Baubewilligung. Mehrere Parteien führten Beschwerde. Am 29. November 2009 hat das Schweizer Stimmvolk der Minarettverbots-Initiativemit 57,5 Prozent zugestimmt (Ja-Anteil in Langenthal: 60,4 Prozent). Am 20. September 2010erteilte die kantonale Baudirektion die Baubewilligung für Kuppel und Minarett. Die Minarett-Gegner haben Einsprache erhoben. (db)

 

Aktionskomitee Stopp Minarett

Minarettähnliches Mahnmal für Langenthaler Kreisel

Die Minarettgegner haben gestern ein Mahnmal enthüllt – und betont, sie wollten damit nicht provozieren.

Geht es nach den Minarettgegnern, soll in einem Langenthaler Kreisel bald schon ein rund sieben Meter hohes Mahnmal aufgestellt werden. Gestern hat das Aktionskomitee Stopp Minarett ein mannshohes Modell enthüllt. Tags zuvor war das «Gesuch für die Errichtung des Minarett-Mahnmales» Stadtpräsident Thomas Rufener übergeben worden. Dieser habe auch schon glücklicher ausgesehen, sagte Komiteesprecher Daniel Zingg gestern Abend im Parkhotel zu rund 60 Anwesenden.

Die Skulptur, die an einen auf dem Kopf stehenden Zapfenzieher erinnert, trage mit ihrer gewundenen Form «auch dem Image der Designer-Stadt Langenthal Rechnung», sagte Zingg. Das Mahnmal hat drei Aufgaben: Es soll an die Abstimmung vom 29. November 2009 erinnern, es soll ein Zeichen sein für die unter dem Islam verfolgten Christen, Nichtmuslime und Konvertiten und es soll islamische Organisationen dazu auffordern, die in der Schweiz geltenden Grundrechte und daher auch das Minarettverbot zu akzeptieren, sagte Zingg.

Die Veranstaltung sei keineswegs als Provokation gedacht, beteuerte Komiteemitglied Hans Lieberherr, «sondern als Reaktion auf die Provokation der islamischen Gemeinschaft, die trotz Volks-Nein ein Minarett wolle. Sie sei auch eine Reaktion auf den «sehr umstrittenen» Entscheid der Baudirektion, die im September das Minarett bewilligt hat.

Am Abend des 29. November 2009 habe er geglaubt,die Sacheseierledigt, sagte der Solothurner SVP-Nationalrat und Gastredner Walter Wobmann, der an vorderster Front für die Minarettverbots-Initiative gekämpft hatte. Klarer könne ein Initiativtext gar nicht formuliert sein: «Der Bau von Minaretten ist verboten.» Das Verbot sei sofort in Kraft getreten. Deshalb sei die Bewilligung der bernischen Behörden «inakzeptabel»: «Da wird der Volkswille auf krasse Weise mit Füssen getreten.» Es sei eine Zwängerei, dass die islamische Gemeinschaft am Minarett festhalte. Wobmann vermutete, es stünden «gewisse Kreise» hinter der Gemeinschaft, die einen negativen Entscheid des Bundesgerichts nach Strassburg weiterziehen wollten. Dieser Entwicklung schaue er sehr gelassen entgegen. Sollte das Minarettverbot als Menschenrechtsverletzung angeschaut werden, «müsste man sich überlegen, den Koran als Ganzes einzuklagen», in Bezug etwa auf Steinigungen oder Züchtigungen von Frauen.(db)

 

Ein Jahr danach

Wohl erneut eine Ja-Mehrheit

Die Minarettverbots-Initiative würde wohl auch heute, ein Jahr nach der Abstimmung vom 29. November 2009, eine Mehrheit finden. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Isopublic, die im Auftrag der Zeitung «reformiert» durchgeführt wurde: 46,4 Prozent der Befragten würden die Initiative ablehnen, 43 Prozent annehmen, gut 10 Prozent sind unentschlossen. Letztere würden wie 2009 der Initiative erneut zum Durchbruch verhelfen. Knapp die Hälfte der Befragten findet – allen voran die Landbevölkerung –, seit dem Ja habe sich nichts geändert. Nur 5,4 Prozent sehen positive Auswirkungen des Entscheids (fällige Diskussion sei in Gang gekommen). Über 40 Prozent – viele Junge und Gutsituierte – erkennen vor allem negative Auswirkungen (zunehmende Polarisierung).(db)