«Mit Rechtsextremen auf Augenhöhe sprechen»

Basellandschaftliche Zeitung vom 19.04.2011

Jubiläum Seit 20 Jahren hilft der Streetworker Samuel Althof von der «Aktion Kinder des Holocaust» rechtsextremen Jugendlichen beim Ausstieg aus der Szene.

Seit 20 Jahren gibt es nun die «Aktion Kinder des Holocaust». Ihre Arbeit geht von Extremismusprävention über Aufklärung bis hin zur psychologischen Betreuung von Rassismusopfern. Sie setzen vor allem auf das Internet-Streetworking. Was ist das?

Samuel Althof: Das Streetworking steht grundsätzlich für unsere Extremismusprävention. Sie betrifft sowohl Rechts- als auch Linksextremismus. Die Basis des Streetworking ist das Internet-Monitoring. Dabei beobachten wir einschlägige Internetseiten und deren Nutzer. Heute konzentriert sich vieles auf Facebook und Twitter. Um mit jugendlichen Extremisten ins Gespräch zu kommen, gehen wir, je nach Fall, unterschiedliche Wege: über das Gericht, über die Schule, über die Eltern oder über andere Präventionsstellen. Ich freue mich jedes Mal auf den persönlichen Kontakt mit den Jugendlichen. Grundsätzlich sehe ich sie als kreative junge Leute, die nicht wissen, wohin sie mit sich hin sollen. Ursache ihrer Symptomatik ist meist ein Beziehungsdefizit zu den Eltern oder die unbewusste Aufnahme einer rassistischen Gesinnung.

Aber nicht jeder Rechtsextreme lässt sich umstimmen?

Ich unterscheide zwischen programmatischen und symptomatischen Rechtsextremen. Symptomatisch heisst, die meist apolitischen Jugendlichen haben irgendein persönliches Problem und bilden aus dem Leidensdruck ein Symptom wie Rassismus. Das ist bei programmatischen Rechtsextremen zwar auch so, doch da greifen psychosoziale Massnahmen leider meist nicht mehr. Die konnten nicht rechtzeitig aus der Szene aussteigen oder hatten wohl nie eine tolle Freundin, die ihnen sagte: «Spinnst du eigentlich! Wenn Du mich willst, dann hör damit auf.»

Sie sagen also, dass der rechtsextreme Jugendliche krank ist. Kommt dieser nun zur psychologischen Beratung in Ihre Praxis?

Nein, ich arbeite immer im öffentlichen Raum und gehe individuell und an deren Bedürfnis orientiert auf die Jugendlichen ein. Es ist wichtig, dass der Jugendliche und ich auf gleicher Augenhöhe kommunizieren. Ich spreche grundsätzlich nicht über Politik, sondern über das, was mein Gegenüber aus seinem Leben machen will. Belehrungen gibt es keine. Ich spreche den «gesunden» Teil an, eben beispielsweise seine Interessen. Gelingt es, diese zu fördern, verlagert sich das Interesse von der appellativen Provokation hin zu eigenen Inhalten fast von selbst.

Wieso wollen Sie kein Foto von sich in der Zeitung?

Bei der Präventionsarbeit im extremistischen Umfeld muss man wachsam sein. Das heisst nicht, dass ich Angst habe. Ich will meine Familie damit möglichst nicht belasten.

Wie finanziert sich die Aktion?

Sie wird von einer Stiftung und vom Gönnerverein finanziert.

Wenn sie auf die letzten 20 Jahre zurückblicken: Was bleibt Ihnen speziell in Erinnerung?

Da gibt es einiges. Ein Highlight war sicher die Möglichkeit, 750 rechts- extreme Internetseiten auf einen Schlag vom Netz zu verbannen.

Apropos Abschalten: Wo laden Sie Ihre Batterien wieder auf?

Obwohl mich der Kontakt mit den Jugendlichen motiviert, ist die Arbeit auch ermüdend. Abschalten kann ich bei meiner künstlerischen Tätigkeit, dem Fotografieren. Im Moment organisiere ich eine Ausstellung.