Christoph Blocher

ZüriZeitung

Ein Jahr nach der Blocher/Roschacher-Affäre spricht der Alt-Bundesrat und SVP-Chefstratege über die Bundesanwaltschaft, seine Zeit als Bundesrat und die bürgerliche Zusammenarbeit

«Kürzlich sagte ich meiner Frau: Alles – selbst eine Abwahl – hat auch Vorteile»

Christoph Blocher bleibt seiner Kritik am Bund treu, gibt sich aber auch versöhnlich. Eine Rückkehr in den Bundesrat liegt nicht in seiner Intention. Er geniesse nun auch die neu gewonnene freie Zeit.

Interview Marcello Odermatt und Michael Schoenenberger

Christoph Blocher, am 5. September 2007 brach die Blocher/Roschacher-Affäre aus. Der Bundesrat setzte einen Berater ein, um den GPK-Bericht, der hart mit Ihnen ins Gericht ging, zu überprüfen. Danach ging die Landesregierung ohne Sie Mittag essen. Wie war das?

(lacht) Nein, umgekehrt. Ich war alleine beim Essen. Die anderen sind erst gegen Ende gekommen. Bundesrat Couchepin informierte die Presse und machte Anspielungen über den GPK-Bericht, der mich in Bedrängnis bringen werde. Weil ich von nichts wusste, habe ich nicht realisiert, was sich abspielt. Als im Laufe des Tages CVP-Präsident Darbellay übers Radio von bevorstehender Staatskrise und einem Komplott, in das ich verwickelt sein soll, faselte, wurde mir klar: Da wird etwas gespielt. Heute weiss man, dass die Bundesanwaltschaft, die GPK – mit Nationalrätin Meier-Schatz an der Spitze -, einzelne Bundesräte und Parlamentarier einen Geheimplan schmiedeten, um mir eine Verschwörung gegen die Bundesanwaltschaft anzudichten. Ein Jahr danach ist klar, dass nichts an der Sache war. Es handelte sich um eine Rufmordkampagne. Die verantwortlichen Politiker und die Bundesanwaltschaft müssen juristisch zur Rechenschaft gezogen werden.

Warum konnte es so weit kommen, dass Sie derart unter Beschuss gerieten?

Schon meine Wahl in den Bundesrat wurde von der SP, den Grünen, und der CVP bekämpft. Da ich im Bundesrat wirkungsvoll gearbeitet habe, wollten Linke und andere Parteien, die an die SVP Stimmen verloren hatten, mich wieder rausbringen. Das Schlimme für meine Gegner war, dass meine Arbeit im Bundesrat von der Bevölkerung geschätzt wurde, was der SVP im Jahr 2007 einen erneuten Sieg brachte.

Sie haben also keine Fehler begangen?

Ich frage Sie, haben Sie im letzten Jahr auch mal Fehler gemacht?

Schon möglich.

Sehen Sie. Aber das kann doch Ihre Gesamtleistung nicht schmälern.

Warum gehen Sie zivilrechtlich und strafrechtlich gerade jetzt gegen die angeblichen Drahtzieher vor?

Erst seit Juli kenne ich die entscheidenden Beweise, die den Geheimplan belegen. Es zeigt, dass der Rechtsstaat zum Nachteil der Bürger missbraucht wird von denen, die ihn schützen sollten. Auch Politiker dürfen nicht willkürlich die Rechte der Bürger verletzen.

Geht es Ihnen darum, die derzeit schwache und nicht ganz einheitliche SVP mit einem äusseren Feind zu einen?

Die SVP ist stark. Aber das wird nicht die einzige Unterstellung bleiben.

War die Affäre Grund für die Abwahl?

Sie wollten mich mit dem Geheimplan schon vor den Wahlen aus dem Amt werfen, was nicht gelungen ist. Aber diese Aktion, die die Bevölkerung durchschaute, war ein Grund, warum die SVP die Wahlen 2007 so hoch gewonnen hat. Weil aber die anderen Parteien verloren haben, galt es am 12.12.07 die SVP zu schwächen. Die Jahre nach 2003 haben vieles zum Guten gewendet – zum Beispiel mit dem Asyl- und Ausländergesetz.

Sie polarisierten im Bundesrat. Die eine Seite liebte Sie, die andere hasste Sie. Sie haben das Land quasi gespalten.

Leute, die etwas leisten, haben stets Freunde und Gegner…

Nicht alle Bundesräte, etwa Hans-Rudolf Merz, sind derart umstritten.

Wenn sie eine Veränderung grundsätzlicher Natur herbeiführen – und das musste und wollte Herr Merz ja nicht -, dann sind sie umstritten. Schauen wir die Geschichte an…

Aber als Schweizer Bundesrat…

…bin ich gar nicht so herausgeragt.

Als versierter Stratege und Taktiker…

…übertreiben Sie nicht…

…doch, sicher. Sie mussten damit rechnen, dass Sie mit dem Konfrontationskurs Gegenreaktionen auslösen.

In den vier Amtsjahren wurde mehr erreicht, als ich je gedacht hätte. Das gibt Neider und Gegner im Politbetrieb. Ich wollte das Land verbessern und nicht auf Kosten der Sache Freunde sammeln. Hätte ich alles getan, um im Amt zu bleiben, hätte ich besser nichts getan. Das war aber nicht mein Ziel.

Ist Ihr Versuch, Ihren Auftrag zu erfüllen, nun also gescheitert?

Nein, warum? Die Ausgaben im Staat senken, weniger Belastungen für Bürger und Wirtschaft, die Unabhängigkeit der Schweiz wahren, die Sicherheit der Bürger erhöhen, Asylmissbrauch unterbinden – in all diesen Bereichen wurde eine Wende erreicht. Nun kopiert die SP in der Kriminalitätsbekämpfung gar die SVP und eine EU-Beitritts-Abstimmung ergäbe heute ein Fiasko. Viele Jungen wenden sich dem Liberal-konservativen Gedankengut zu. Von jenen 13000, die nach der Abwahl spontan der SVP beigetreten sind, sind die Hälfte unter 30!

Nun gut, dann können Sie ja sagen: Auftrag erfüllt, ich ziehe mich zurück.

Politik ist Dauerarbeit: In Bern wird versucht, das Rad zurückzudrehen. Schauen Sie den Politbetrieb zurzeit an! Wir müssen dran bleiben. Zum Glück wirft die Öffentlichkeit endlich den Blick auf die schlechten Zustände im Verteidigungsdepartement.

Fehlt es Ihnen, nicht mehr an den Schalthebeln der Politik zu sein?

Nicht dass Sie meinen, ich hätte Freude gehabt an der Abwahl. Ich habe das bedauert. Aber ich arbeite weiter – ausserhalb des Bundesrates. Das hat Vorteile: frisch und frei wieder sagen können, wie es ist und was man denkt.

Der Verlust von Macht und Würde beschäftigt Sie nicht?

(Lacht) Von Würde habe ich nie viel gemerkt. Macht, d.h. das «Vermögen», etwas zu tun, ist im Bundesrat eine andere als ausserhalb. Welches die wichtigere ist, weiss ich nicht genau. Man kämpft mit anderen Mitteln.

Können Sie sich die Rückkehr in den Bundesrat vorstellen?

Meine Intention ist es nicht. Aber die Frage stellt sich derzeit nicht.

Wäre es überhaupt gut für die Partei, wenn Sie antreten würden, oder braucht die Partei nicht endlich neue Leute?

Das beantworten wir zu gegebener Zeit. Keine Partei hat so viele gute neue Leute wie die SVP.

Streben Sie weiterhin den Wechsel zu einer Mitte-rechts-Regierung an?

Das habe ich nie angestrebt. Die SVP setzt sich für die Konkordanz ein. Aber wenn man dies nicht will, dann besser Mitte-rechts als Mitte-links. Aber für die Schweiz erachte ich die echte Konkordanz als das Beste.

Warum?

Ausländische Staaten kennen das System der Mehrheit, die regiert, und die Opposition. Diese hat dann institutionelle Rechte. Bei der Konkordanz-Regierung suchen unterschiedlich denkende Leute eine Lösung, und das Volk kann darüber befinden. Das ersetzt die Opposition. Zudem, das System hat sich bewährt. Die Schweiz ist gerade wegen der Konkordanz ein stabiles Land, darum kann ich SP und CVP nicht begreifen, dass sie mit Bürgerlichen die SVP aus der Regierung geworfen haben.

Könnte heute die SVP ausser Ihnen quasi jeden portieren – er würde gewählt?

Kann sein. Das heisst, dass man die Taten des 12. Dezember bereits bereut.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der neuen Justizministerin?

Lassen Sie dieses Qualifikationsgespräch. In der Sache haben wir Differenzen. Von der Asylpolitik bis zur Regelung der Sterbehilfe.

Wie beurteilen Sie die Arbeit des Verteidigungsministers?

Nur so viel: Die Armee ist in schlechtem Zustand. Die Führung muss verbessert werden, und die Konzeption ist zu ändern. Für den schlechten Zustand trägt Herr Schmid die Verantwortung.

Wann wird Herr Schmid zurücktreten?

Sicher nicht vor 2011, weil ihn SP, CVP und FDP stützen. Er hat ein politisches Ziel: im Amt bleiben.

Im Fall Nef schob Ihnen Bundespräsident Couchepin implizit die Schuld zu, dass Schmid den Bundesrat nicht über das hängige Strafverfahren informiert hatte. Es seien Indiskretionen aus Ihrem Umfeld zu befürchten gewesen.

Man findet immer eine Ausrede. Wen er genau meinte, sagte er zwar nicht.

Es war klar, dass er Sie gemeint hat.

Jeder Journalist weiss: Es gab kein Departement, in dem derart viele Indiskretionen begangen wurden wie in Couchepins Departement. Lassen wir faule Ausreden: Herr Schmid hat die Strafuntersuchung verschwiegen, weil er wusste, dass dies die Wahl Nefs verzögert oder gar verunmöglicht hätte.

Dann hatte Herr Schmid also mit Recht Furcht vor Ihnen im Bundesrat?

Wenn jemand Angst hat, weil ein anderer noch eine Frage oder einen Gegenantrag stellen könnte, dann fehlt es nicht am Fragesteller. Wenn ich einem Gremium von sieben Leuten etwas zur Entscheidung vorlege, muss man mit Einwänden rechnen. Wenn es um die Sache geht, darf es keine wohlige Harmonie geben. Zu den Indiskretionen: In Bern wird viel zu viel geheimgehalten. Oft nur um Unkorrektheiten und Unsauberkeiten zuzudecken und Diskussionen zu verhindern. Die Bundesratssitzungen könnten grösstenteils öffentlich sein. Verschlossene Türen verdecken zu viel, was für die Bürger wichtig ist.

Zur SVP: Wie beurteilen Sie das bisherige Jahr der Opposition?

Die SVP musste sich von zwei Bundesräten trennen und leider sogar eine Kantonalpartei ausschliessen. Das ist schmerzlich und braucht Mut und Kraft. In der Sache wird uns dies stärken. Der Führungswechsel und die Neuorganisation scheinen gut zu gelingen.

Noch erscheint die neue Führung nicht besonders sattelfest.

Wir haben einen Jungpolitiker als Präsident. Toni Brunner machts hervorragend. Er ist ein Sympathieträger und steht mit beiden Beinen im Leben. Im Gegensatz zu anderen Jungpräsidenten ist er kein Schaumschläger! Die SVP hat ein anderes Problem: Sie hat die Wahlen gewonnen. Es besteht die Gefahr, dass die Partei sich ausruht und dass sich einige, kaum sind sie gewählt, sofort von der Partei etwas distanzieren, um jemand zu sein in den Medien. Vor den Wahlen distanziert sich niemand, sonst wird er nicht gewählt. Danach distanziert er sich, sonst ist er bei anderen Parteien und Medien nicht beliebt. Vor allem schwache Charaktere tun dies. In solchen Situationen bringen sich Parlamentarier ins Gespräch, um als Bundesräte und in anderen Pöstchen im Gespräch zu sein. Neu ist dies nicht. In Grundsatzfragen ist die SVP sehr geschlossen.

Warum muss jetzt Ueli Maurer Präsident der Zürcher SVP werden? Ist er Brunners Versicherung?

Nein. Ueli Maurer macht es mit Freude. Wenn es eine junge Kraft gegeben hätte, die dies ebenso gut gemacht und gewollt hätte, wärs vielleicht ein anderer geworden. Alfred Heer wird in der Stadt Zürich gebraucht. Bei der SVP arbeiten die Leute dort, wo sie benötigt werden. Vergessen Sie nicht, die SVP hat seit meiner Abwahl fünf sehr erfolgreiche kantonale Wahlgänge bestritten. In den Kantonen St. Gallen, Schwyz oder Nidwalden zudem auch erfolgreiche Majorzwahlen. Es waren zum Teil erdrutschartige Wahlerfolge. Das zählt.

Das hängt wohl in erster Linie mit der Abwahl zusammen.

Vielleicht. Die Kunst ist, gute Politiker für die Parlamente aufzustellen. Die müssen sich parteipolitisch exponieren können. Für Exekutivwahlen braucht es etwas harmonischere Typen, denn die brauchen eine Mehrheit. Regierungsräte müssen das SVP-Gedankengut in der Regierung und auch hinter verschlossenen Türen gut vertreten. Nach aussen aber die Regierung. Und die Partei muss die Grosszügigkeit haben, eine von der Partei abweichende Haltung der im Namen der Regierung sprechenden Regierungsräte zu ertragen. Und umgekehrt.

Warum hat die SVP dann bei den Ständeratswahlen auf Ueli Maurer gesetzt?

Das müssen Sie die Zürcher SVP fragen. Im Kanton Zürich sind die Bürgerlichen immer gewählt worden, weil sie zusammengehalten haben. Ein Teil der Freisinnigen hat heute Mühe mit bürgerlichen Positionen. Bei jedem wichtigen Entscheid ist die eine Hälfte dagegen und die andere dafür. Viele traditionelle Freisinnige sind der FDP abhanden gekommen und sind bei der SVP. Die SVP hat bei Majorzwahlen stets die FDP gestützt. Ich bin der Meinung, dass man im Interesse einer gemeinsamen bürgerlichen Politik über den Schatten springen sollte.

Das tönt versöhnlich. Maurer sagt eher das Gegenteil: Man müsse noch schauen, ob die SVP die FDP unterstütze.

Die SVP fühlte sich von der FDP verschaukelt. Die SVP unterstützte den freisinnigen Kandidaten Gutzwiller. Und Ueli Maurer war recht, um die freisinnige Kandidatin in die Regierung zu bringen, die sich dann später zu schön war, um ihn zu unterstützen. Doch lassen wir dies – auch in der Politik muss oft der Schwamm darüber.

Plädieren Sie also dafür, kantonal und national mit der FDP eine gemeinsame bürgerliche Politik zu verstärken?

Ja, mit allen Bürgerlichen. Es geht darum, die Schweizer Werte zu erhalten. In vielen Kantonen könnte es auch die CVP sein. In Zürich und national ist diese aber eine Linkspartei geworden.

Dann sollte die SVP aber mit der FDP kooperieren statt sie nur zu attackieren.

Kritik an der politischen Arbeit ist keine Attacke. Mimosen sind in der Politik nicht gefragt. Das weiss niemand besser als die SVP. Wer Missstände aufdeckt, ist nicht unanständig. Unanständig ist es, mit allzu viel Anstand eine schlechte Politik gewähren zu lassen.

Aber wenn sich die SVP in der Wortwahl zurückhaltender geben würde, dann wären Sie heute noch Bundesrat.

Vielleicht. Aber dann hätten wir die Schweiz nicht vorwärts gebracht. Jahrelang haben wir gefordert, gegen die Missbräuche in der Invalidenversicherung müsse etwas getan werden. Nichts ist passiert. Also habe ich für die Missbräuche das Wort «Scheininvalide» geprägt, da gab es einen Aufschrei unter Politikern, aber die Leute im Alltag haben es verstanden, und die Politik fing an zu handeln. Endlich!

Mit ihrer Thematisierung zeichnet die SVP ein Bild von der Schweiz, in der quasi alles schlecht ist und fast alle böse sind. Selten hört man Positives.

Was? Was Sie da sagen: Wir setzen uns für die Unabhängigkeit des Landes mit den meisten Freiheitsrechten, der besten Demokratie und hoher Wohlfahrt, also für den Sonderfall Schweiz ein. Wir lieben das Land. Aber wir sind gegen Politiker, die die Schweiz kaputt machen. Nicht das Land kritisieren wir, sondern diejenigen, die die Schweiz auf Abwege führen. Weil hochnäsige Politiker sich mit dem Land gleichsetzen, behandeln sie Kritiker wie Staatsfeinde!

Bei der Personenfreizügigkeit vollzogen Sie eine Pirouette, wollten zuerst das Referendum gegen das Paket, jetzt verzichten Sie darauf. Ist dieser unklare Standpunkt zum Nachteil geworden?

Wir haben die Situation neu beurteilt. Wir sind gegen die Personenfreizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien, nicht aber gegen die Personenfreizügigkeit mit den alten EU-Staaten. In grösster Respektlosigkeit vor den Bürgern hat das Parlament – gegen den Willen der SVP – die beiden Fragen zusammengebunden, so dass die Bürger die Fragen nicht mehr differenziert beantworten können. Darum mussten wir leider auf das Referendum verzichten! Vor solchen Totengräbern der Demokratie können nur die Wahlen schützen!

Signalisiert die SVP damit, dass sie in bestimmten, für die Wirtschaft wichtigen Fragen kompromissbereit ist?

Das war kein Kompromiss, sondern ein Zwang der Antidemokraten. Zudem: Die Wirtschaft braucht die Personenfreizügigkeit nicht. Sie braucht Kräfte, die arbeiten. Diese erhalten wir mit oder ohne Personenfreizügigkeit. Aber etwas Eingeführtes wieder rückgängig zu machen, ist nicht das Gleiche, wie etwas nicht einzuführen.

Das tönt jetzt sehr technokratisch.

Opposition bedeutet nicht, stur und gedankenlos zu allem Nein zu sagen. Die Freizügigkeitsfrage war bei der SVP immer umstritten. Es gibt Fragen, wo eine Partei verschiedener Meinung sein kann. Bei der CVP und der FDP ist es die Regel – bei der SVP die Ausnahme.

Nun ergreifen Junge SVP sowie Schweizer Demokraten und Lega das Referendum. Letztere beiden denken gar über eine neue Rechtspartei nach, um sich von der SVP abzugrenzen.

Wenn es Rechtsextreme gibt, die eine neue Partei wollen, sollen sie es tun. Die SVP ist keine Partei der Rechtsextremen.

Aber droht künftig nicht eine grössere Zerreissprobe, wenn sich die Partei entscheiden muss, für die Wirtschaft zu kämpfen oder sich weiterhin protektionistisch vom Ausland abzuschirmen?

Die SVP ist eine Wirtschaftspartei, die für die Selbständigkeit der Schweiz eintritt. Das ist – ich sage dies als internationaler Unternehmer – kein Widerspruch. Viele unserer Politiker sind Gewerbetreibende. Wir müssen nicht beweisen, dass wir wirtschaftsfreundlich sind. Die Wirtschaft besteht nicht aus den Verbänden, die jetzt das Aktienrecht bekämpfen, damit Verwaltungsräte weiter ihren Lohn selber bestimmen können. Jene, die sagen, Migration sei gut, damit beliebig viele Arbeiter einreisen können, ohne sich um die Folgen in der Sozial- und Migrationspolitik zu kümmern, sind keine Leute, die Wirtschaftspolitik machen, sondern solche, die kurzsichtig eigene wirtschaftliche Interessen vertreten.

Sie haben die SVP gross gemacht. Nun droht die Partei Ihretwegen rechts und links abzubrechen. Bedauern Sie es nicht, quasi Führer und Spalter zu sein?

Nein. Solche Bereinigungen gibt es immer. Wir haben eine klare Politik. Diese Linie muss bleiben. Sorgen Sie sich nicht, die SVP kommt weiter.

Viele ältere Leute fallen in ein Loch, wenn sie plötzlich aus dem Arbeitsprozess fallen. Wie war das bei Ihnen?

Ich bin nicht aus dem Arbeitsprozess, sondern nur aus dem Bundesrat gefallen. Ich arbeite im Hintergrund.

Und die restliche Zeit?

Seit einiger Zeit lese ich wieder viel. Es gibt keinen Sitzungszwang mehr. Zudem gehe ich gerne in die Natur, ich mache auch Bergtouren. Jeden Morgen gehe ich laufen und schwimmen. Aber nicht verbissen, aus Freude.

Sind Sie auch ein Genussmensch? Gehen Sie essen, trinken Sie mal Wein?

Ja natürlich. Gerade kürzlich sagte ich meiner Frau: Jetzt wohnen wir schon so lange am See, und erst jetzt hatte ich richtig Gelegenheit, die schönen Abende beim Essen im Freien zu geniessen. Das konnte ich früher nicht. Alles – selbst eine Abwahl – hat immer auch Vorteile. Auch an Konzerte gehe ich sehr gern – und wieder etwas mehr.

Schlafen Sie jetzt wieder mehr?

Ein wenig. Ich brauche nicht viel Schlaf. Früher waren es vier bis fünf Stunden, jetzt sinds manchmal bis sechs. Am schönsten sind die frühen, stillen Morgenstunden: «Morgenstund hat Gold im Mund.»

Wie sieht es aus mit der Gesundheit?

Ach, diese Frage. Ich höre schon wieder meine Gegner: Schau, der ist krank; er mag nicht mehr. Ein anderer frohlockt: Das Gedächtnis nehme ab; psychisch stimme es nicht mehr (lacht). Für diese ist die psychiatrische Klinik nicht mehr weit.

Dann stellen Sie doch klar.

Immer das Gleiche sagen? Ich bin gesund und habe keine Krankheiten.

Werden Sie noch ein Buch schreiben?

Nein, nein. Ich schreibe nie ein Buch. Ich bin kein guter Schreiber. Es schreiben ja andere Bücher über mich.

Churchill hat auch Bücher geschrieben.

Ja und auch immer gesagt, er schreibe nie ein Buch (lacht). Und dann hat er doch die besten Memoiren geschrieben.