Wehret den Anfängen

Basler Zeitung vom 28.10.2009

Georg Kreis

Der Historiker und Leiter des Europa-Instituts warnt im Kontext der Minarett-Initiative vor einem Rechtsdrall in der Schweiz.

Seit dem Ende der Nazi-Zeit ist man sich vermehrt bewusst, dass es gefährliche Anfänge gibt, gegen die man sich von Anfang an wehren muss – bevor es zu spät ist. Das Problem ist nur, dass man meistens erst nachträglich «gescheiter» ist. Die Welt ist voller Anfänge, das heisst eigentlich ziemlich gewöhnlicher, hinnehmbarer Verhältnisse, die mit der Zeit zu wuchern beginnen und dann nicht mehr hingenommen werden sollten. Mit dem Argument, man solle den Anfängen wehren, wird jetzt mit der Initiative gegen den Bau von Minaretten gegen die Muslime Stimmung gemacht. Das gleiche Argument könnte mit gleich viel und gleich wenig Berechtigung auch gegen die Stimmungsmacher selbst verwendet werden.

Feinbild

Schweizer Muslime sind heute Teil schweizerischer Normalität. Es gibt keinen Grund, sie zu verteufeln. Es sei denn, man habe das Bedürfnis nach einem Teufel. Der Vater dieser Initiative, der Zürcher SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer, kann offenbar ohne Teufel nicht leben. In den 1960/70er Jahren waren dies für ihn die Italiener, dann dienten dem Apartheidfreund Kommunisten als ideales Feindbild; jetzt, da diese unattraktiv geworden sind, muss der Islam herhalten. Wer ist nach den Muslimen dran? Doch Schlüer ist nicht das Problem. Es gab immer solche Agitatoren. Das Problem sind die Mitmacher. Erst mal die SVP, die man ja auch nicht in ihrer Gesamtheit verteufeln soll. Was aber ist von dieser Partei zu halten, wenn sie Bundesratspartei sein will, und wenn zugleich ihre Delegierten in Interlaken mit einem DDR-Ergebnis einer verfassungswidrigen Initiative zujubeln und Andersdenkende fertig gemacht werden? Und kürzlich meinte die junge SVP es öffentlich bedauern zu müssen, dass ein rechtsextremer und rassistischer Rockstar in der Schweiz nicht auftreten darf. Hier gilt nun wirklich, dass man den Anfängen wehren sollte.

Trend

Latente Anfänge sind gefährlich, wenn sie einem Trend entsprechen. Den gefährlichen Trend haben wir nicht bei den Muslimen, sondern bei der schweizerischen Rechten. Wie eine steigende Flut. Was heute in der Schweiz abgeht, hätte man noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten. Inzwischen hat man sich beinahe daran gewöhnt. Wer wehrt sich dagegen? Leider nicht die bürgerlichen Parteien, die in Basel ihren Namen mit der sehr unbürgerlichen SVP unter dasselbe Papier setzen. Diese sehen den Feind reflexartig stets auf der linken und leider nicht auf der rechten Seite. Dies, obwohl das ganze Koordinatensystem stark nach rechts gerutscht ist, die Linke stark verbürgerlicht und die Rechte weiter nach rechts gerutscht ist.

Die Anti-Minarett-Initiative ist nicht nur ein Votum über die Muslime, sondern mindestens so sehr ein Plebiszit darüber, was die SVP in der Schweiz und mit der Schweiz anrichten kann.