«Die sind immer ganz anständig mitgegangen»

Die Wochenzeitung vom 02.07.2009

Unheimlicher Patriotismus, was auf den Strassen von Sempach zu hören war, als sich 200 Rechtsextreme zur alljährlichen Feier der Schlacht von 1386 einfanden.

Dinu Gautier

Samstag frühmorgens in Sempach, dem idyllischen Städtchen am See: Ein Luzerner Kantonspolizist hat einer Gruppe Rechtsextremer aus dem Kanton Bern soeben einen Parkplatz zugewiesen. Sie sind frisch rasiert, ihre Hemden sind gebügelt. In militärischem Ton grüssen sie alles, was sich bewegt. Der Polizist lächelt und sagt: «Einfach friedlich bleiben, dann wird es ein schöner Tag.

Auf einem Tischchen am Strassenrand haben AnwohnerInnen den Beamten frischen Kaffee in Porzellantässchen serviert. In der Hauptgasse zwängen sich Männer in altertümliche Uniformen, Hellenbarden und Morgensterne stehen bereit. Frauen tragen keine Waffen, dafür haben sich ein paar Mädchen mit Sonnenblumen geschmückt. Auf dem Platz vor der Kirche schüttelt ein Staatsschutzbeamter die Hände von rechten Skinheads aus der Region.

Es ist «Schlachtjahrzeit» in Sempach, jener alljährliche Termin, an dem rund Tausend Personen einer längst vergangenen Schlacht gegen die Habsburger vor den Toren des Städtchens gedenken. Eine folkloristische Fasnacht für eingefleischte PatriotInnen.

Ein Teil davon

Nun würde man eigentlich, wie jedes Jahr, zum Winkelrieddenkmal in den Hügeln oberhalb der Stadt ziehen, dort Kränze niederlegen, Militärkäseschnitten essen und Weisswein trinken, gemeinsam der Toten von vor 623 Jahren und der Heldentat des «Märtyrers» Arnold von Winkelried gedenken. Der soll sich ja, man glaubt fest daran, mit seinem Körper in die Speere der Habsburger geworfen und so eine «Gasse der Freiheit» geschlagen haben.

Man würde eigentlich. Doch dieses Jahr ist alles anders: Gleich ausserhalb der Altstadt haben sich Mitglieder der Juso und autonome AntifaschistInnen versammelt. Die knapp Hundert Personen demonstrieren auf dem Schulhausplatz bewilligt gegen den alljährlichen behördlich tolerierten Aufmarsch von bis zu 250 Rechtsextremen. «Bunt statt braun», heisst es auf einem grossen Transparent. Einige Jusos tragen farbige Gesichtsmasken. Von gegen über filmt ein Patriot die Kundgebung. Als er das zweite Transparent entziffert, bestürmt er fuchtelnd den anwesenden Polizeikommandanten Beat Hensler: «Das Plakat kommt sofort herunter, oder ich gehe es selber herunterholen.» Der Grund für den plötzlichen Verlust der Contenance? Auf dem Transparent steht eine Variante des Zitates von Arnold von Winkelried: «Welcher Sauhund hat mich gestossen?»

Den Eingang zur Altstadt, gleich gegenüber dem Schulhausplatz, versperren Gitterfahrzeuge der Polizei. Sempach wird zu einer Festung. Die Linken draussen, etwas verloren wirkend, fernab vom Geschehen. Drinnen die Rechten. Sie sind Teil des Anlasses.

Aus sicherer Entfernung schauen sich von einer Anhöhe aus Schaulustige die linke Platzkundgebung an. Ein alter Mann zu seinen Kollegen: «Jetzt brauchte ich ein Maschinengewehr.» Wäre er dreissig, vierzig Jahre jünger, er würde sich mit Gebrüll auf das «Pack» stürzen, bekräftigt er. Ein paar Jugendliche daneben: «Das sind eh alles Zürcher.» Eine Frau mittleren Alters ist hier die Einzige, welcher der rechte Aufmarsch Sorgen bereitet: «Hoffentlich kommen die jetzt nicht jedes Jahr.» Ihre Tochter interveniert: «Die sind doch jedes Jahr gekommen – und immer ganz anständig mitgegangen.»

Auch ein paar Kids, fünfzehn-, sechzehnjährig, ihre Eltern sind aus dem Kosovo eingewandert, diskutieren die Lage: «Sind die Nazis die Linken?» – «Nein die Rechten!» Man einigt sich auf «die Unanständigen» und «die Anständi gen». Da weiss man, wovon man spricht. Überhaupt kenne er Nazis, sagt einer der jungen Männer. Wenn man nett zu denen sei, würden die einem nichts machen. Und oben im Wald, da sei er mit seinen Kollegen auch schon gleichzeitig mit den Nazis am Feiern gewesen.

Seit zehn Jahren rufen rechtsextreme Organisationen offiziell zur Teilnahme an der «Schlachtjahrzeit» auf. Die Behörden haben die Aufmärsche bisher herunterzuspielen versucht. Rückblickend nennen sie das eine «Strategie des Ignorierens». Auch die Luzerner Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli (SP) hat vor zwei Jahren, als sie die offizielle Ansprache hielt, die damals rund 160 Rechtsextremen mit keinem Wort erwähnt. Später bezeichnete sie vor laufender Kamera deren Präsenz als Zeichen «der Vielfalt der Schweiz». Die Appeasementstrategie, so wird vor Ort deutlich, sie ist gescheitert. Heuer wird sie wohl zum letzten Mal angewandt.

«Meteorologische Gründe»

Allein schon die Ankündigung von Widerstand seitens der Juso hat das behördliche Schweigen gebrochen. Vor der Kirche hält Franz Schwegler, der Stadtpräsident von Sempach, die Begrüssungsansprache: «Politische Gruppierungen sollen die Feier nicht instrumentalisieren oder gar missbrauchen. Diese Leute sind hier nicht willkommen.» Eine deutliche Mehrheit der Anwesenden applaudiert. Von den JournalistInnen wünscht sich Schwegler keine Fokussierung auf die «extremen Pole», sondern auf das «Kernanliegen» der Feier. Unklar bleibt, was dieses sein soll.

Lust, mit den Neonazis unter Beob achtung der Medien zum Winkelrieddenkmal zu marschieren, scheint der CVP-Mann jedenfalls keine mehr zu verspüren. Die Feier wird in die Kirche verlegt, «wegen meteorologischen, nicht wegen politischen Gewitters». So recht glauben mag das kaum jemand.

So marschieren die rund 200 Rechtsextremen schliesslich allein und unbewilligt durch das Städtchen. Einige Bürger applaudieren. Eine junge Frau, eine der Töchter des Stadtpräsidenten, steht einsam am Strassenrand und buht die marschierenden Neonazis aus. Dann sind die «Anständigen» weg, marschieren den Hügel hinauf. Über ihnen kreist ein Polizeihelikopter. Wenig später sind auch die «Unanständigen» auf dem Heimweg, Sempach hat seine Idylle wieder. An einem Laternenpfos ten bleibt ein Aufkleber kleben: «Sempach: Seit 1386 Kommunisten frei!!!»

Nachtrag: Auf Urs Hangartner, Regierungssprecher des Kantons Luzern, scheint der Samstag Eindruck gemacht zu haben. Der WOZ sagte er: «Wir können nicht mehr darüber hinwegschauen, dass wir einen Anlass mitorganisieren, den rechstextreme Kreise zur Profilierung missbrauchen.» Die Art der Feier werde überdacht, noch befinde man sich aber am Anfang dieses Prozesses.

David Roth von der Juso Luzern bilanziert: «Wir haben uns nicht nur Freunde gemacht – aber das war auch nicht das Ziel.» Er ist «zufrieden», dass diskutiert wurde; von einem Erfolg wolle er aber erst sprechen, wenn die mittlerweile «grösste Neonazidemonstration der Schweiz» im nächsten Jahr tatsächlich nicht mehr stattfinde.

Hinterhalt bei der Vogelwarte

Aus polizeilicher Sicht ist gegen Mittag die heikle Phase vorbei, die Schlachtfeier von Sempach ist ohne Zusammenstösse zwischen links und rechts über die Bühne gegangen (vgl. «Die sind immer ganz anständig mitgegangen»). Nun könn te der Polizei helikopter landen, und die Polizei kräfte aus verschiedenen Innerschweizer Kantonen könnten sich einen freien Nachmittag gönnen. Doch was tun sie da, versteckt hinter Büschen und hinter Fahrzeugen beim Haupteingang der eidgenössischen Vogelwarte? Hat sie etwa ein plötzliches Interesse für Ornithologie gepackt?

Weit gefehlt: Die (bewilligt) auf der Landstrasse Richtung Bahnhof ziehende Juso-Demo kommt gleich vorbei. Dann geht es schnell. Die PolizistInnen rennen aus ihren Verstecken hervor. Die etwa siebzig verdutzten DemonstrantInnen werden eingekesselt. Dann der Auftritt eines Mannes im samtenen Sakko, mit abgewetzter Baseballmütze auf dem Kopf und leicht irrem Lächeln im Gesicht: Es ist Beat Hensler, Luzerner Polizeikommandant, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten und Ausbilder an der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch.

Die Präsenz des Hardliners verheisst nichts Gutes. 2007 – das letzte Mal, als er um einen Polizeikessel he rum schlich – wurden 245 Personen eine Nacht lang unter rechtswidrigen B e din gungen in einer Zivilschutzanlage festgehalten.

Noch bevor die Leute bei der Vogelwarte wissen, was die Polizei von ihnen will, versuchen mässig motiviert wirkende Beamte, einzelne Personen aus der Menge rauszureissen, was ihnen aber nicht gelingt, da sich die DemonstrantInnen sofort beieinander einhaken.

Dann wird bekannt, was Beat Hensler zu beanstanden hat: «Verstoss gegen das Vermummungsverbot durch einzelne Personen.» Wenn drei fehlbare Personen der Polizei ausgeliefert würden, so Hensler, dann könnten die anderen unbehelligt zum Bahnhof weitergehen. Für diesen Vorschlag erntet der CVP-Mann lautes Gelächter aus dem Kessel. Einige Jusos versuchen zu verhandeln. Sie fragen, ob das Vorgehen verhältnismässig sei. Hensler: «Dar über können wir später diskutieren.» Wieso denn die Nazis nicht eingekesselt würden, obwohl die ohne Bewilligung demonstrierten, wollen sie weiter wissen. Hensler: «Die marschieren in Zweierreihe zum Winkelrieddenkmal. Somit ist das kein bewilligungspflichtiger Anlass.»

Nach etwa einer halben Stunde verkündet Beat Hensler per Megafon, seine Beamten hätten jetzt alle im Kessel gefilmt. «Gestützt auf diese Filme werden wir herausfinden, wer die Vermummten waren und diese zur Anzeige bringen – mit allen Mitteln, die wir haben», so der Polizeikommandant. Dann öffnet sich der Kessel.

Die WOZ fragt drei Tage darauf bei Urs Hangartner, dem Regierungssprecher des Kantons Luzern nach, ob zu den «Mitteln» auch eine Bildfahndung im Internet gehören könnte. «Nein, im Falle einer Übertretung geht das nicht», so Hangartner. Übrigens: Die Polizei hat auch die Rechtsextremen nicht völlig unbelästigt gelassen: Vier Personen wurden wegen illegalen Waffenbesitzes verzeigt, mindestens eine davon hatte eine Schusswaffe mitgeführt.