Kritik an Geheimdienst verstummt

Neue Zürcher Zeitung: Nur beschränkte rechtliche Handhabe gegen Neonazi-Grossanlass

Sicherheitspolitiker attestieren dem Nachrichtendienst, korrekt gehandelt zu haben. Dieser hatte die Lage seit dem 11. Oktober verfolgt und die zuständigen Behörden auch informiert.

Dass die Schweiz von einem rechtsextremen Grossanlass wie jenem vom Wochenende im sankt-gallischen Unterwasser derart hatte überrascht werden können, treibt auch Politiker um. Im «Tages-Anzeiger» forderten sie umgehend «Aufklärung». Bereits am Dienstag hatte die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Nationalrats die Gelegenheit, Nachrichtendienstchef Markus Seiler zu den Vorfällen anzuhören – und dieser konnte die Politiker offenbar zu ihrer Zufriedenheit aufklären.

«Mehrere tausend» erwartet

«Der Nachrichtendienst (NDB) hat korrekt gehandelt», hält SiK-Präsidentin Corina Eichenberger (fdp.) auf Anfrage fest. Und Balthasar Glättli von den Grünen sagt: «Aufgrund der Informationen, über die ich heute verfüge, habe ich keine konkreten Kritikpunkte am Handeln des NDB.» Diese Einschätzungen teilt auch der Grünliberale Beat Flach, der am Tag zuvor getwittert hatte: «Wenn 6000 Neonazis unbemerkt vom NDB in CH eine Versammlung organisieren und abhalten, stimmt was nicht!»

Tatsächlich hatte der NDB die Lage bereits ab dem 11. Oktober beobachtet. Gemäss Angaben der Mediensprecherin Isabelle Graber erhielt der Dienst an jenem Tag die Information, wonach ein Konzert Ende der Woche «mehrere tausend» Sympathisanten der rechtsextremen Szene vereinigen könnte, dies «wahrscheinlich in Süddeutschland». Dennoch habe man umgehend alle kantonalen Nachrichtendienstoffiziere sowie das Grenzwachtkorps (GWK) informiert. Am 13. Oktober erfuhr der NDB, dass das Konzert im Raum Zürich stattfinden könnte; eine Auskunft, die unter anderem an die Zürcher und die St. Galler Kantonspolizei weitergegeben wurde. Bekanntlich wurde es aber Samstag gegen 15 Uhr, bis man den genauen Ort kannte; erneut erging eine Information an die St. Galler Kantonspolizei.

Weitergehend tätig werden kann der NDB auf Grundlage der geltenden – und auch der künftigen – Rechtslage nur, wenn es sich um «gewalttätig-extremistische» Tätigkeiten handelt. Die Abgrenzung zu politischem Extremismus ist gewollt, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht über Gebühr zu strapazieren. Laut Graber konnte der NDB denn auch keine Einreiseverbote «für bereits bekannte Bandmitglieder aus Deutschland beantragen», da «die notwendigen aktuellen Gewaltbezüge zu den Bands» gefehlt hätten.

Grenzwachtkorps war im Bild

Man kann auch davon ausgehen, dass das GWK an der Grenze ein Auge auf die einreisenden Neonazis hatte. «Aus einsatztaktischen Gründen» macht Mediensprecher David Marquis zwar keine näheren Angaben zu allfällig ergriffenen Massnahmen im konkreten Fall. «Wir waren aber im Bild», sagt er, «und haben das natürlich ernst genommen.» Er gibt grundsätzlich zu bedenken, dass die Teilnahme an einem Konzert nicht verboten sei und man lediglich, weil jemand an ein Konzert fahre, nicht eingreifen könne. Anders sehe es aus, wenn Personen etwa Waffen oder verbotenes Propagandamaterial mitführen würden.

Hätte der Anlass dennoch verhindert werden können? Womöglich nur, wenn die Organisatoren kein Lokal gefunden hätten. Der Gemeindepräsident von Unterwasser hat denn auch eine «gewisse Naivität» eingeräumt. Man habe den Anlass aufgrund falscher Angaben der Veranstalter bewilligt; rechtliche Schritte würden geprüft. Beat Flach hofft, dass der Vorfall ein Weckruf ist für Vermieter solcher Lokale. Und er will sondieren, ob es nicht doch eine rechtliche Möglichkeit gebe, um die Durchführung solcher Anlässe künftig zu verhindern. Es könne nicht sein, sagt auch der St. Galler CVP-Nationalrat Jakob Büchler, dass die Schweiz zu einer «geschützten Werkstatt für diese Brüder» werde.

Timm Schamberger / AP