Jüdische Gemeinden in der Schweiz. «Mehrheit der Kantone ist hilfsbereit».

Tachles.

Noch immer sorgen die laufenden Sicherheitskosten für enorm hohe Ausgaben bei den jüdischen Gemeinden – ein Überblick.

Vor ziemlich genau einem Jahr wurde die Synagogentür der Jüdischen Gemeinde Biel mit Beschimpfungen und Nazi-Symbolen verunstaltet. Vor den Synagogen in Lausanne und Genf kam es zu antisemitischen Vorfällen (vgl. tachles 06/21). Da die Täterschaft nicht ausfindig gemacht werden konnte, wurde das Verfahren in Biel mangels Indizien sistiert. Eine Kameraüberwachung an der Synagoge hätte geholfen, den oder die Täter ausfindig zu machen. Seit Ende 2019 musste die Gemeinde die Kosten auch nicht mehr gänzlich selber tragen. Denn seit dem 1. November 2019 ist die Verordnung über Massnahmen zur Unterstützung der Sicherheit von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen in Kraft, die es dem Bund ermöglicht, betroffenen Minderheiten aus einem Pool von 500 000 Franken pro Jahr finanziell unter die Arme zu greifen. Sowohl letztes als auch vorletztes Jahr wurde die halbe Million Franken ziemlich genau in Anspruch genommen. Von den insgesamt 18 Gesuchen, die vom Bundesamt für Polizei (Fedpol) bewilligt wurden, stammen 16 von jüdischen Gemeinden und Institutionen. Die zwei bewilligten Gesuche – je eins pro Jahr – von muslimischen Organisationen beliefen sich auf einen Betrag von 80 000 Franken.

Weitere Gelder gesprochen
Sicherheit ist im föderalen System der Schweiz eigentlich eine kantonale und kommunale Angelegenheit. Für die genannte Verordnung brauchte es erst eine Gesetzeslücke. Doch nachdem der Bundesrat aktiv wurde, folgten die meisten Kantone. Kanton und Stadt Zürich etwa erklärten sich 2020 und 2021 per Regierungsentscheid bereit, je einen Viertel der Kosten für Massnahmen, die vom Bund bewilligt wurden zu übernehmen – womit sämtliche Projekte in der Stadt, im Gesamtumfang von 1,2 Millionen Franken, staatlich finanziert wurden. Diesen Dienstag wurden Gelder für weitere Projekte gesprochen (vgl. Kasten). Der Grosse Rat der Stadt Basel zeigte sich noch engagierter bei der Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft. Bereits im Dezember 2018 beschloss er eine jährlich wiederkehrende Summe von 746 000 Franken für acht zusätzliche bewaffnete Sicherheitsangestellte der Polizei zu Gunsten jüdischer Infrastruktur. Im Oktober 2020 wurden insgesamt weitere 605 000 Franken – 223 000 für bauliche Kleinmassnahmen auf der Allmend und ein weiterer Investitionsbeitrag von 382 500 für bauliche und technische Schutzmassnahmen – in Ergänzung zur erhöhten Polizeipräsenz verabschiedet. Bezahlt wurde aber noch nichts. Emmanuel Ullmann, Präsident der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB), sagt diesbezüglich: «Da wir noch nicht mit Bauen angefangen haben, sind bis jetzt noch keine Gelder geflossen. Aktuell befinden wir uns in der Detailplanung und prüfen auch noch ein Gesuch um finanzielle Unterstützung beim Bund.» Da die IGB einen separaten Vertrag mit dem Kanton Basel ausgehandelt habe, kommt der gesamte zweite Betrag der IGB zugute, erklärt Ullman weiter. Eine Verteilung auf die IGB und «weitere jüdische Institutionen in Basel», wie im Antrag des Regierungsrates (vgl. tachles 34/20) und dem Grossratsbeschluss von Oktober 2020 festgehalten, findet also nicht statt. Auf Nachfrage von tachles wollen weder die Israelitische Religionsgesellschaft noch die Liberale Jüdische Gemeinde Migwan aus Basel sich zum Thema Sicherheit allgemein oder zur einseitigen Verteilung der Gelder äussern. Bei Chabad Basel wird mitgeteilt, eine Unterstützung wäre willkommen gewesen, aber man könne mit der jetzigen Situation gut zurechtkommen. Auch in Bern, wie Dalia Schipper, Präsidentin der Jüdischen Gemeinde Bern (JGB) auf Anfrage von tachles mitteilt, wurde Unterstützung geboten: «Eine bauliche Massnahme wurde durch den Kanton mitfinanziert, nachdem der Bund auch eine Zusage gemacht hatte. Bei einer zweiten baulichen Massnahme hat das Fedpol das Gesuch wegen Formfehlern abgelehnt, worauf auch der Kanton eine Beteiligung abgelehnt hat, da er nur subsidiär aktiv sein kann. Die Stadt Bern hat uns sehr unbürokratisch mit mobilen Pollern unterstützt, bis die definitive Sicherung der Zufahrtsstrasse finalisiert ist.» Gar keine Unterstützung bietet der Kanton Genf. Generalsekretär der Communauté Israélite de Genève Elias Frija antwortet auf die Anfrage von tachles: «Bis heute ist der Kanton Genf nicht auf die Frage einer Übernahme der Sicherheitskosten eingegangen.»

Problem laufende Kosten
Die Unterstützung bei baulichen und technischen Massnahmen ist ein starkes Bekenntnis des Bundesrats, dass er sich der Sicherheit bedrohter Minderheiten endlich annimmt. Doch in der Realität ist diese Form der Unterstützung nur ein Tropfen auf den heissen Stein der Sicherheitsausgaben. Denn die jüdischen Gemeinden sorgen bereits seit Jahrzehnten für ihre eigene Sicherheit, wofür sie auch selber aufkommen mussten. So die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ). Präsident Jacques Lande sagt auf Anfrage von tachles, dass dank der Unterstützung von Bund, Kanton und Stadt zwar aktuell ein Projekt im Umfang von 400 000 Franken umgesetzt werden könne, man aber gleichzeitig bedenken müsse, dass die ICZ seit knapp 50 Jahren bei allen Renovationen von Synagoge, Gemeindehaus und anderer Infrastruktur die Sicherheitsvorkehrungen ausbaute und anpasste. Bezahlt aus eigener Tasche. Gleiches bei der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch, deren Präsident David Feder sagt: «Wir haben gar kein Gesuch beim Fedpol eingereicht, da die bisherigen Investitionen in unsere Sicherheit, die wir selber finanzierten, momentan ausreichen.»

Und dies sind noch nicht die grössten Kosten. Was am meisten Gelder verschlingt, sind laufende Sicherheitskosten. Schipper bestätigt: «Bei den laufenden Sicherheitskosten, kommen wir locker auf einen mittleren fünfstelligen Betrag. Hier braucht es eine nachhaltige Lösung mit dem Bund.» Denn solange der Bund nicht eine Grundlage für die Mitfinanzierung der ständigen Sicherheitskosten schafft, würde wohl auch der Kanton keine Möglichkeit der Beteiligung haben, so Schipper. Die Basler Lösung, dank der, wie Ullmann mitteilt, über 90 Prozent der laufenden Kosten dank dem Engagement des Kantons weggefallen seien, widerspricht dieser Aussage und zeigt, dass auch der direkte Weg zu den Kantonen und nicht nur Warten auf den Bund eine Option wäre. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) ist, was eine Unterstützung auch von den laufenden Kosten durch den Bund betrifft, bereits länger aktiv, wie auch SIG-Präsident Ralph Lewin vor Jahresende im Interview mit tachles ein weiteres Mal beteuerte (vgl. tachles 48/21). SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagt hierzu: «Der Bundesrat kündigte bereits bei der Verordnung bezüglich baulicher Massnahmen an, dass er die Frage der laufenden Kosten überprüfen werde. Wir sind mit dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement diesbezüglich im Gespräch und stiessen auf offene Türen.» Noch im Verlauf des Jahres erwarten Kreutner und der SIG, dass eine für die Gemeinden zufriedenstellende und entlastende Lösung präsentiert werde, mit Wirksamkeit ab Anfang 2023. Zu den Details, wie diese Lösung aussehen könnte, will sich Kreutner zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht äussern. Auf alle Fälle werden etliche Fragen und Probleme gelöst werden müssen, will der SIG mit dem Bund eine nationale Lösung finden. Denn zu den über 20 jüdischen Gemeinden kommen etliche Vereine, Schulen, Heime und andere Organisationen hinzu, die Gelder einfordern könnten. Gemäss Informationen von tachles besteht ein Lösungsweg darin, dass der Bund Gelder an die Kantone gibt, worauf diese noch eigene Mittel hinzugeben. Was geschieht aber bei einer solchen Lösung, wenn sich ein Kanton, wie etwa Genf, weigert, Gelder an jüdische Organisationen zu bezahlen? Gehen dann die dortigen Gemeinden leer aus? Auch die Kriterien, nach denen Gelder verteilt werden sollen, und die Zuständigkeit für die Verteilung müssen geklärt werden. Einzig in Zürich gibt es etwas Klarheit: Vom Kanton habe man die Indikation, dass man sofort mit unterstützen würde, sollte der Bund Gelder sprechen, sagt Lande.

Ausbildungen für Gemeinde
Die aktuelle Verordnung erlaubt nicht nur Unterstützung für bauliche und technische Massnahmen, sondern auch «Finanzhilfe zur Unterstützung von Ausbildungen, welche die Risikoerkennung ermöglichen und die Bedrohungsabwehr verstärken». Eine solche Finanzhilfe in Anspruch genommen hat bisher jedoch erst die Communauté Israélite aus Lausanne und dem Kanton Waadt. Für Zürich plant dieses Jahr nun auch die ICZ ein Gesuch einzureichen, wie Lande erklärt: «Wir wollen ein Projekt vorstellen, von dem alle jüdischen Gemeinden und Organisationen in Zürich, die von Sicherheitsfragen betroffen sind, profitieren können.» Die ICZ, die auch die Sicherheit für andere jüdische Organisationen stellt, hat bereits früher Ausbildungen im Bereich Sicherheit getätigt, das geplante Projekt stellt einen Ausbau dieser Massnahmen dar. Es bleibt die Hoffnung, dass das Jahr 2022 als jenes in die Geschichte eingehe, in dem die offizielle Schweiz sich endlich dazu entschloss, alle ihre Bürgerinnen und Bürger adäquat zu schützen.