Islamfeindlich und homophob: In Steckborn kursieren kurz vor der Stadtpräsidiumswahl schwere Vorwürfe gegen den parteilosen Kandidaten

Tagblatt.

Nächstes Wochenende ernennt das Unterseestädtchen seinen neuen Stadtpräsidenten. Kurz davor sieht sich der parteilose Kandidat Markus Kuhn mit scharfen Anschuldigungen konfrontiert. Der Oberstufenlehrer wiegelt ab. Und auch FDP-Kandidat Roman Pulfer muss sich in der Öffentlichkeit gegen Kritik wehren.

  • Seit dem ersten Wahlgang am 10. Februar liefern sich Markus Kuhn (parteilos) und Roman Pulfer (FDP) einen Zweikampf ums Stadtpräsidium von Steckborn
  • Kuhn ist wegen geteilter und kommentierter Facebook-Posts scharfen Anschuldigungen ausgesetzt
  • Islamismusexperte Kurt Pelda von Tamedia und Markus Furger von der Homosexuellenorganisation Thurgau HOT schätzen die Lage ein
  • Kuhn beschwichtigt und weist die Vorwürfe zurück
  • Pulfer sieht sich in einer Facebook-Diskussion kritischen Fragen ausgesetzt, wonach er das Amt nur als Sprungbrett oder als Ausweg seiner Selbstständigkeit als Rechtsanwalt nutzt
  • Pulfer erklärt sich und besänftigt

Der Verdacht ist happig. Knapp eine Woche vor den Stadtpräsidiumswahlen nimmt der Wahlkampf zwischen den beiden Kandidaten Markus Kuhn (parteilos) und Roman Pulfer (FDP) noch so richtig Fahrt auf. Während sich der Freisinnige Fragen gefallen lassen muss, ob er das Stapi-Amt als Sprungbrett für seine Polit-Karriere und als Ausweg für seine berufliche Selbstständigkeit nutzt, sieht sich Markus Kuhn mit Islamophobie- und Homophobie-Vorwürfen konfrontiert.

Der 38-jährige Oberstufenlehrer, der sich in der Chrischona-Gemeinde engagiert, teilte in der Vergangenheit auf Facebook mehrmals Posts, die ihn in ein islamophobes Licht rücken. So platzierte er etwa im August – just wenige Wochen vor der Bekanntgabe seiner Kandidatur – einen Beitrag mit dem Video «Islamophobie? Ein Wort an muslimische Einwanderer» der Gruppe Critical Love, die sich selbst als Verteidiger der Wahrheit der Bibel sieht, den christlichen Glauben als «gute Nachricht» anschaut und «den Islam und den Koran beleuchtet». Über dem Videolink schreibt Kuhn:

«Wieso lassen wir uns in Europa überrennen von einer anderen Kultur und Religion?»

Schweizer würden ihre Kultur zu wenig vertreten. «Wir müssen wieder Stellung nehmen zu unserer Kultur, unseren Werten und unserer Religion», schreibt er, «sonst nimmt eine andere Kultur und Religion diesen Platz ein.» Das Video ist mittlerweile gelöscht.

In der Kommentarspalte äussert sich Kuhn kritisch darüber, «lern- und arbeitsfaule Menschen durchzufüttern, die womöglich dann noch ihre Kultur und Religion implementieren». Eine weitere Aussage lautet: «Wir lassen jeden hier sich breitmachen und wundern uns dann, warum plötzlich so viele Andersreligiöse unsere Politik machen und unsere Ämter besetzen.»

Kritischer Beitrag zu Bundesrätin Doris Leuthard

Ein paar Monate zuvor schreibt Kuhn in einer Diskussion unter einem Bild mit islamkritischen Äusserungen: «Wir Schweizer haben meiner Meinung nach das Prinzip eines Sozialstaates falsch verstanden.» Zudem teilte er einen Artikel über kritische Äusserungen des ehemaligen Leiters Campus für Christus, Hanspeter Nüesch, der im Zusammenhang mit der Einladung von Bundesrätin Doris Leuthard für Imam Bekim Alimi anlässlich der NEAT-Eröffnung meint: «Islam als Religion gehört nicht zur Schweiz.»

Kurt Pelda, Islamismus-Experte bei Tamedia, spricht lieber von Muslimfeindlichkeit als von Islamophobie. Kuhn bewege sich mit seinen Aussagen in einem Graubereich. Er sage zwar deutlich, dass es auch anständige Muslime gebe. Pelda meint:

«Seinen Äusserungen kann ich aber ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber Islamisten entnehmen.»

Diese Kritik sei verständlich, weil im Koran in einzelnen Suren tatsächlich zu Gewalt gegen Andersgläubige aufgerufen werde. Pelda glaubt nicht, dass das alleine für den Tatbestand der Islamophobie ausreicht. «Kuhn verbreitet aber wohl aus Ignoranz Klischees über den Islam und die muslimische Welt, die nicht unwidersprochen bleiben sollten».

Geteilte Studie, dass sexuelle Ausrichtung genbasiert ist

Ein anderer Facebook-Post Kuhns vor drei Jahren widmet sich einer veröffentlichten Studie, wonach Homosexualitäts- und Transgender-Tendenzen nicht angeboren und deshalb nicht genbasiert seien. «Ich finde es doch bezeichnend, dass mal jemand mit handfesten Fakten argumentiert», schreibt der parteilose Stadtpräsidiumskandidat in der Kommentarspalte darunter.

Markus Furger, Vorstandsmitglied der Homosexuellenorganisation Thurgau HOT, sieht in Kuhns Äusserungen «nichts Extremes und keine spezielle Hetze». Er äussere lediglich seine Meinung, was Furger per se nicht schlecht findet.

«Solange jemand nicht zu Taten gegen Homosexuelle und Transgender aufruft, ist das für mich wenig problematisch.»

Wissenschaftliche Arbeiten würden immer wieder gegenteilige Fakten hinsichtlich der Herkunft der sexuellen Veranlagung an den Tag bringen. Der von Kuhn geteilte Artikel gebe zwar jenen recht, die behaupten, dass Homosexualität nicht von Geburt an im Menschen angelegt sei und der Genschalter umgelegt werden könne. «Das Gegenteil ist aber auch nicht zu behaupten», meint Furger. Im Thurgau generell stellt er Akzeptanzunterschiede zwischen Stadt und Land fest. «Skeptiker gehen eher auf Distanz, aber Anfeindungen erlebe ich grundsätzlich keine.»

Auseinandersetzen statt sich im Nachhinein beschweren

Markus Kuhn selbst wehrt sich gegen die im Raum stehenden Vorwürfe. Er kenne viele Muslime in seinem Kollegenkreis, habe vor ein paar Jahren im Rahmen seiner Ausbildung einen Aufenthalt bei einer muslimischen Familie auf dem Balkan gemacht und unterstütze auch heute Entwicklungsarbeit. Kuhn sagt:

«Ich bin kein Extremist, sondern plädiere dafür, dass wir Schweizer uns mit dem Thema Integration auseinandersetzen.»

Mit Islamophobie habe er nichts am Hut, «vielmehr will ich appellieren, dass wir mit Dialog gegen Ausländerfeindlichkeit ankämpfen». Die Bevölkerung könne nicht untätig bleiben und sich im Nachhinein beschweren, «wenn ein kulturelles Vakuum besteht».

Unter Kultur versteht Kuhn, wenn Normen und Werte im Alltag gelebt und vertreten werden, etwa Gleichberechtigung, Glaubensfreiheit oder Solidarität. «Wenn wir Schweizer diese Werte nicht vorleben, kann eben ein kulturelles Vakuum entstehen.»

Beeinflussen persönliche Überzeugungen politische Enscheidungen?

Als Oberstufenlehrer bemängelt er, dass auch viele Schweizer sich nicht um ihre Zukunft scheren. «Als Lehrer bin ich dafür verantwortlich, dass ich alle Schüler unabhängig ihrer Herkunft auf die Arbeitswelt vorbereite», sagt Kuhn. Dort müsse und wolle er weiterhin den Hebel ansetzen. Zu den geteilten Posts auf Facebook meint Kuhn, dass er damals noch politisch inaktiv gewesen sei.

«Ich bin auch sensibler geworden und merke, dass Aussagen sehr leicht falsch verstanden werden können.»

In einem Interview hat Kuhn bestätigt, dass persönliche Überzeugungen politische Entscheidungen als möglichen Stadtpräsidenten von Steckborn beeinflussen könnten. «Aber der Stapi handelt ja nie im Alleingang, sondern muss im Stadtrat eine Mehrheit finden», entgegnet er.

Dasselbe gelte für den Vorwurf der Homophobie. «Ich respektiere jegliche Formen von Familienzusammenstellung und sexueller Orientierung», meint er, wehrt sich aber strikt dagegen, dass dieses Thema wie in anderen Kantonen bereits im frühen Kindesalter in der Schule angesprochen werde. Kuhn meint:

«Sexualität entwickelt jeder und jede für sich selbst im Kindes- und Jugendalter und sollte nicht aktiv gefördert werden.»

Zudem sei die sexuelle Ausrichtung ohnehin Privatsache, die es ohne Widerrede zu respektieren gelte.