In den Nebeln von Avalon

Das Magazin vom 26.11.2011

Daniel Model ist sozusagen die schweizerische Tea-Party-Bewegung in einer Person. Jetzt hat er sein eigenes Reich propagiert. Ein Staatsbesuch

Von Matthias Bernold

Der Schweizer Industrielle Daniel Model hat den Sozialstaat satt. Als Alternative propagiert er sein eigenes Reich Avalon, für das er in Müllheim im Kanton Thurgau ein Regierungsgebäude errichten lässt. Während die einen in Avalon die genialen Visionen eines kritischen Geistes erblicken, sehen die anderen darin die Renaissance des reaktionären Schweizer Geldadels.

In Müllheim wächst ein imposantes Bauwerk aus der Erde. Drei Stockwerke, ein Innenhof mit Kuppeldach, das Material: Naturstein. Eine Architektur, die wenig mit zeitgenössischen Konstruktionen aus Glas und Stahl gemein hat. Wohlwollend könnte man das Gebäude als neoklassizistisch beschreiben oder boshaft — wie die linke «Wochenzeitung» es tat — als Reminiszenz «an Bauten von Adolf Hitlers Architekt Albert Speer».

Daniel Model, so der Name des Bauherrn, ist über Zuschreibungen wie die Letztere wenig erfreut. Soll doch das Haus eines Tages nicht weniger sein als Staatsgebäude, Regierungssitz und kulturelles Zentrum des von ihm ausgerufenen Staates Avalon. Der Verpackungshersteller, der in vierter Generation sein dreitausend Mitarbeiter starkes Unternehmen in fünf europäischen Ländern führt, ist ein Mann mit politischer Vision. Kurz zu­sammengefasst, sieht diese in etwa so aus: Der Markt ist gut. Der Staat ist schlecht, zumindest, wenn er das natürliche Wirken des Mark­tes einschränkt. Und der Sozialstaat ist besonders schlecht, weil er die Bürger in die Abhängigkeit und die Schweiz geradewegs Richtung Sozialismus führt. Höchste Zeit für Wi­derstand also, den der 51-jährige Exzentriker auf ungewöhnliche Weise leistet: Mit einem eigenen Staat, benannt nach dem sa­gen­umwobenen Inselreich, das die meisten Menschen aus der Artussage oder aus den Fantasy-Romanen von Marion Zimmer Bradley kennen, will Model zeigen, wie es besser geht.

«Mein Avalon ist aus dem Schmutz des Sozialstaates entstan­den, der nicht sozial ist, weil er alles an den Unfähigsten misst, dies dann zum Standard für die Gesellschaft erhebt, die Starken durch Belasten stärkt und die Schwachen durch Entlasten schwächt», sagt Model. «Den Bürgern wird bis zu dem Punkt misstraut, wo sie verpflichtet werden, eine Ausbildung zu absolvieren, um mit ihrem Hund spazieren zu gehen.»

Wenn der promovierte Wirtschaftswissenschaftler solches sagt, lenkt er seinen Blick in die Ferne. Hinaus aus dem Besprechungszimmer am Firmensitz der Model AG in Weinfelden, hi­naus in den Garten mit den Obstbäumen und den Wiesen. Vorbei an jener Stelle, wo der kleine Daniel vor mehr als vierzig Jahren Äpfel klaubte. Bis seine hellen Augen an jenem imaginären Punkt hängen, den der Geist der Artussage auswählte, um «aus dem Bodensee zu steigen und sich dort niederzulassen» — so der von Model aktualisierte Mythos für Avalon 2.0.

Die profanere Entstehungsgeschichte seines Avalon — das Wort bedeutet auf Keltisch Apfelgarten — beschreibt Model so: Er sei im Frühling 2006 als Unternehmer zur Generalversammlung der Thurgauer Gemeindeammänner eingeladen gewesen, um über das Verhältnis von Staat und Privatwirtschaft zu referie­ren. «In der Vorbereitung des Referats habe ich diesen diametralen Unterschied realisiert: Im Unternehmen kultivieren wir Ver­trauen. Nicht weil wir unbedingt bessere Menschen sind, sondern weil es einfach ökonomisch ist. Im Staat hingegen wird Misstrauen kultiviert, was zu dieser enormen Verschwendung und Ver­schuldung führt.» Auf einmal sei ihm klar geworden, unter welcher Spannung er da stehe. Als Bürger auf der einen und als Unter­nehmer auf der anderen Seite.

In seiner Rede vor den Thurgauer Gemeindeammännern lässt sich Model zunächst über die Verirrungen der Bürokratie aus: Heizungen müssten bewilligt werden, Autos regelmässig vorgeführt. Für den Kinderhort, den es in seinem Unternehmen seit mehr als vierzig Jahren gibt, muss er seit einer Gesetzesnovelle alljährlich ein «riesiges Informationsdossier» verfassen. «Meine Hortleiterin hat wegen der administrativen Aufgaben kaum noch Zeit, auf die Kinder zu achten.» Ans Ende seiner Rede — die anwesenden Journalisten haben zu diesem Zeitpunkt längst den Saal verlassen, weil sie über das Ergebnis der Abstimmung über den künftigen Präsidenten noch vor dem drohenden Redaktionsschluss Bericht zu erstatten hatten — stellt er eine überraschende Pointe: «Ich deklariere meinen Selbststaat.»

Der Sprecher der Versammlung, erzählt Model weiter, habe eigentlich nach Beendigung des Vortrags ein Geschenk überreichen wollen, dann aber aufgrund der unerwarteten Aktion des Re­ferenten plötzlich innegehalten. Was Model mit den Worten kom­mentierte: «Ich verstehe Ihr Zögern, denn Sie und ich sind nicht mehr im selben Staat.» In diesem Moment habe der Sprecher seine Hand zurückgezogen.

Eigene Silbermünzen, eigene Flagge

War die Staatsgründung ursprünglich bloss als symbolischer Akt gedacht, der andere motivieren sollte, die Staatsobrigkeit ebenfalls zu hinterfragen, findet Model später immer mehr Gefallen daran, seinen Staat aus der Virtualität in die Realität zu überführen. In Opposition zum Schalten und Walten der Zentralbanken schafft er seine eigene Währung: Er prägt Silbermünzen mit seinem eigenen Konterfei im Stil römischer Imperatoren. Er entwirft eine eigene Staatsflagge, und in Anlehnung an die Idee des staat­lichen Hoheitsgebietes schafft er in Weinfelden eine souve­räne Zone. «Als ich auf immer mehr Interesse gestossen bin, habe ich mich auch für den Gedanken geöffnet, Staatsbürger aufzunehmen», sagt Model. Anders als die Schweiz beruhe Avalon jedoch auf Verdienst und Leistung. «Mir ist vorgeworfen worden, es sei ein elitärer Staat. Was nicht ganz falsch ist, nur wurde es als Schimpfwort benutzt. Bürger in meinem Staat zu sein, ist eine Auszeichnung.»

Wie genau sich die Kandidaten qualifizieren können, ist un­klar. Model spricht nur lapidar von finanziellen, materiellen oder sonstigen Verdiensten. Erst zwei Personen ist es bisher gelungen, den Kriterien für die Staatsbürgerschaft zu entsprechen: dem Bildhauer Urs Strähl und dessen Gattin aus Müllheim. Strähl, der auf dem Nachbargrundstück zu Models Staatsgebäude seine Steinmetz-Schule betreibt, ist allerdings nicht bloss Avalonier, sondern — wenn man so will — auch Avalons Erfüllungsgehilfe. Der Gründer der Bildhauerschule Müllheim, der mit Barett und Bart ganz dem Bild des Künstlers entspricht, errichtet den eingangs beschriebenen «Regierungssitz» nach den Vorgaben des Industriellen. «Nachdem wir uns ein Jahr lang kannten und darauf gekommen sind, dass wir in vielem die gleichen Ansichten haben, ist Dr. Model eines Tages an mich herangetreten und hat gesagt: Du bist mein Architekt.»

Nachdem in diesem Jahr der Rohbau des «Modelhofes» auf einem 8000 Quadratmeter grossen Grundstück fertiggestellt wurde, sollen bis März 2012 auch die Arbeiten im Inneren abgeschlossen sein. Im Mai will der Regierungssitz, der zugleich auch «Akademie nach Platons Vorbild» sein soll, seinen Betrieb aufnehmen. «Es wird ein Ort der geistigen Freiheit sein», schwärmt Strähl, ein Ort der schönen Künste und der «abendländischen Geistesgeschichte», von der Ästhetik der Vorsokratiker bis zu den Linien eines Egon Schiele, «wo der Schauspielerei, der Musik und dem reinen Denken gehuldigt wird». Während in den Ateliers im «Model­hof» die Künstler arbeiten, so die Vorstellung, würden in den Seminarsälen die Kader der Model Group studieren. «Der ganze Mensch soll ernährt werden», sagt Strähl, «künstlerisch, geistig und spirituell.»

Dabei werde man nicht dem nacheifern, was im Trend liegt, erklärt Strähl, sondern dem, was schön ist. Deswegen pralle an ihm auch die Kritik der linken Besserwisser ab. Dass der Stil viel­leicht nicht dem Zeitgeist entspricht, kümmere ihn wenig. «Wir bauen so, weil es uns gefällt. Wir wollen einfach die Freude am Ar­beiten geniessen. Und wenn hier ein Bildhauer mit Stein baut und die Ästhetik die höchste Priorität hat, dann kommt man eben nicht auf Bauhaus-Formen.»

Als die Gemeindevertreter aus dem Thurgau Daniel Model als Referenten holten, hätten sie eigentlich damit rechnen können, dass ihnen der Industrielle keine leicht verdauliche Kost kredenzen würde. Meldet sich doch Model immer wieder als Kri­tiker zu Wort. Sei es in Zeitungsinterviews oder wenn er, wie etwa im bürgerlichen «Schweizer Monat», selbst zur Feder greift, um auf die Schattenseiten der Demokratie aufmerksam zu machen oder vor der «schleichenden Transformation der privatwirtschaft­lich organisierten Marktwirtschaft zum Staatskapitalismus be­ziehungsweise Sozialismus» zu warnen.

Wer die Gedankenwelt von Daniel Model verstehen will, muss sich Zeit nehmen. Denn das philosophisch-esoterisch-politische Gebinde von Models Denken besteht aus teils wunderlich, teils widersprüchlich anmutenden Ingredienzen. Etwa, wenn er er­klärt, dass jeder Wochentag für ihn eine eigene Farbe hat. Wenn er kritisiert, dass sich die Menschen Actionfilme ansehen, weil «das Leben doch spannend genug ist». Wenn er im selben Satz humanistische Gelehrte und die Marx Brothers zitiert oder darüber sinniert, wie sich eckig und rund ästhetisch verbinden liessen. Model versteht sich als Menschenfreund, der Geld für wohltätige Zwecke gibt — etwa als Gründer der Kids’ Charity Gala. Als Mäzen pflegt er Freundschaften zu Künstlern und Phi­losophen, fördert Projekte wie das soziale Online-Netzwerk «Amazee». Oder — als Angel Investor — das experimentelle Online-Fernsehprojekt rebell.tv. Nachdem Model eine Million Franken springen liess und es die rebell.tv-Macher Stephan M. Seydel und Tina Piazzi niemals in die schwarzen Zahlen schaff­ten, drehte ihnen Model allerdings Anfang 2011 den Geldhahn zu.

Es ist aufschlussreich, ins Jahr 1882 zurückzugehen, als Louis Model die erste Werkstätte aufmacht und den Wohlstand von Generationen begründet. Schon damals ist die Produktions­stätte im Thurgau angesiedelt, allerdings im Ort Ermatingen am Bodensee. 1931 verlegt Sohn Otto den Firmensitz ins 15 Kilometer weiter südlich gelegene Weinfelden und macht den Schritt vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen. Er verstarb bereits 1940 an einem Betriebsunfall, sodass seine Frau Els Müller-Model, gelernte Konzertpianistin, das Unternehmen für mehr als zwanzig Jahre übernahm, bis ihre Kinder Otto junior — Daniel Models Vater — und später Peter Louis Model in den Betrieb kamen. Bis heute ist die Produktion von Verpackungen aus Well­pappe oder Karton für Schokolade, Salatsaucen oder Süssmostflaschen das Kerngeschäft des Unternehmens, das im Jahr 2010 Verkaufserlöse von 639,5 Millionen Schweizer Franken erwirtschaftete.

Daniel Model wird als jüngeres von zwei Kindern in die In­dustriellenfamilie geboren. Mehr Geld zu haben als seine Klassenkollegen, erzählt er, sei nicht immer nur ein Vorteil ge­wesen. «Dass die Mittel vollständig in einem Unternehmen in­vestiert sind, das permanent dem Marktrisiko und der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt ist, nehmen die Mitschüler und Lehrer so nicht wahr», sagt er. Seine Umgebung habe darob eine «unnatürliche Verkrampftheit» im Verhalten an den Tag gelegt. «Mein Vater war nicht viel zu Hause, und auch wir hatten finanzielle Schwierigkeiten im Auf und Ab von Konjunktur und Erdölkrise der Siebzigerjahre. Ich bin des Öfteren von Klassenkame­raden angefein­det worden. Nein, ich habe die Begütertheit nicht nur als Bereicherung empfunden. Wir hatten einen Swimmingpool, aber ich habe erst später bemerkt, dass das etwas Besonderes war.»

Im Alter von acht Jahren geht Model durch eine Erfahrung, die für die meisten Menschen wohl traumatisch wäre: Wegen einer Wachstumsstörung des Hüftgelenks muss er sechs Monate lang das Bett hüten. Was wie ein Albtraum klingt, war, glaubt man Model, gar nicht so schlimm. «Ich habe das unglaublich schön gefunden. Man hat sich so um mich gekümmert: Meine Grossmutter kam jeden Tag. Ich hatte eine Privatlehrerin. Alle haben sich liebevoll mit mir auseinandergesetzt. Meine Familie hat etwas geleistet, das ich nie vergessen werde.» Daniel schafft es, die Krank­heit zu überwinden und lernt wieder gehen. Mehr noch: Die überwundene Krankheit weckt in ihm einen ungeheuren Ehrgeiz. In der Schweizer Armee geht er als Elite-Amateur zu den Radfahrern. Er treibt Spitzensport: Curling, eine dem Eisstockschiessen verwandte Sportart, die höchste Präzision erfordert und bei der die Sportler viel Zeit damit verbringen, mit Besen über das Eis zu streichen. Zwischen 2001 und 2005 fährt er Autorennen: zuerst die Ferrari Challenge, dann verschiedene italienische und internationale Langstreckenrennen auf Porsche im italienischen Rennteam Autorlando. «Der Schmerz der Menschen sollte als Geschenk der Götter gesehen werden», sagt er heute, «wir müssen in den Schmerz tauchen und Stärken entwickeln, um damit zurechtzukommen, und nicht auf Schmerzvermeidung aus sein.»

Sich selbst überwinden, kämpfen, stärker werden, Erfolg haben: Das werden die bestimmenden Werte in seinem Leben. Es ist die Leistung, die für ihn zählt. Leistung im Sport genauso wie Leistung im Studium oder als Unternehmer. In seiner Dissertation in Wirtschaftswissenschaften widmet sich Model auf 280 Seiten dem «Sport als Denk- und Handlungsmodell für die Leistungsoptimierung im Management». Im Familienbetrieb gerät der Absolvent der Kaderschmiede St. Gallen bald in einen mehr­jährigen Führungszwist mit seinem Bruder Martin. Auch den Eltern fällt der Abschied aus der Firma schwer. Letztlich geht Daniel Model aus der Auseinandersetzung als Sieger hervor. Der Bruder übernimmt die Kunststoffsparte als eigenständiges Unternehmen. Daniel Model die Kartonverpackungen — es ist, wie sich bald zeigen wird, das zukunftsträchtigere Feld.

Model, Vater dreier Kinder im Teenageralter beziehungsweise in ihren frühen Zwanzigern, wächst in die Rolle des gütigen Patriarchen, der die «liebevolle Strenge als Führungsideal anstrebt». Liebevoll so lange jedenfalls, als alle die geforderte Leistung bringen und nicht aufbegehren. Wenn es eng wird, wird er streng — so wie im Sommer des Jahres 2011: Als der Schweizer Franken im Zuge der Nervosität auf den Finanzmärkten von einer Rekord­marke zur nächsten steigt, verordnet Model seinen Mitarbeitern einen Sparkurs. Statt 40 Stunden pro Woche müssen sie 42 Stun­den an den Förderbändern stehen, und statt fünf Wochen Urlaub gibt es nur noch vier. Zum selben Lohn — versteht sich. Wer sich mit der neuen Situation nicht abfinden will, der habe «die Freiheit, zu gehen», kommentiert Model, als Kritik laut wird. Aber viel Opposition begegnet dem Unternehmer nicht. Denn Ge­werkschaften, die sich für die Mitarbeiter stark machen könnten, gibt es in der Model Holding Aktiengesellschaft keine.

«Als Unternehmer habe ich das Privileg, im weiten Feld zwischen autoritärem Führen und Freiheit gewährendem Beobachten eine Welt zu gestalten», sagt Model. «Diese Haltung fliesst auch in den ‹Modelhof› ein.»

Man kann Model als Wirtschaftsliberalen in der Tradition des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek be­trachten. In die, wie Model es nennt, «Natürlichkeit des Marktes» einzugreifen, ist aus dieser Sicht ein Fehler, wenn nicht sogar Frevel. Denn «der Markt hat von Natur aus eine liebevolle Strenge», sagt Model. «Die Marktwirtschaft lebt davon, dass diejenigen, die versagen, sterben können. Ihr Tod ist ein Beweis dafür, dass das System funktioniert — sie sterben, weil sie die notwendige Leistung entweder nicht erbringen oder weil ihre Leistung nicht gefragt ist. In der heutigen Gesellschaft, in der die Bankenwelt und die politische Welt einen teuflischen Pakt geschlossen haben, will man aber nicht mehr, dass etwas stirbt. Man züchtet Un-Tote, die uns eines Tages das Genick brechen wollen.»

Verwerflich wie das Eingreifen mit finanzpolitischen Mitteln ist nach Models Meinung auch das Bemühen um Verteilungs­gerechtigkeit. Denn, so ist er überzeugt: Die Verschiedenartigkeit der Menschen müsse sich auch materiell manifestieren. Die Gleichheit, sagt er, sei eben nicht als materielle Gleichheit ein Ideal, sondern als Gleichheit vor dem Gesetz. «Der Sozialstaat hat diese gewaltigen Staatsdefizite angehäuft, die jetzt schöngeredet werden», sagt Model, «und die für die nächste Generation einen sehr demotivierenden Charakter haben. Jeder Familienvater muss sich heute Sorgen machen, weil er wahrscheinlich nicht mehr mit einer Rente rechnen kann.» Statt das Desaster des Sozial­staats zu erkennen, moniert Model, erhöhten die Staaten lediglich ihren Schuldenstand und kauften sich damit die Stimmen ihrer Bürger. Daher sei «die Staatsverschuldung der Korruptions­index eines Landes».

Mit Positionen wie den hier skizzierten ist der Unternehmer eine ideale Zielscheibe für die Linke, die ihn — wie der Ostschweizer Autor Wolfgang Steiger — als Repräsentanten einer neo­liberalen Gruppe sieht, deren Bedeutung in der Schweiz zu­sehends wächst. «Es ist eine Renaissance des Geldadels, den es in der Schweiz natürlich schon lange gibt, der aber am Beispiel Model eine neue, zeitgenössische Form angenommen hat», sagt Steiger. Er glaubt darin eine Rückbesinnung auf einen «schonungslosen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts» zu erkennen, der auf die Rücknahme der Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft abzielt. Steiger befasste sich unter anderem in der «Wochen­zeitung» und in dem Kulturmagazin «Saiten» mit Model. Seit er einen Aufsatz des Kartonmachers, der in einem Buch erschien, in einer Rezension als «antiaufklärerischen und pathetischen Un­sinn» verspottete, brach Model jeden persönlichen Kontakt mit ihm ab.

Neue Nebel von Avalon

Einer Harmonisierung des Verhältnisses war es auch nicht zu­träglich, dass Steiger die Namensgebung der modelschen Staatskonstruktion kritisch hinterfragte. Ist doch die sagenhafte Ne­belinsel Avalon nicht nur Rückzugsort des tugendhaften Königs Artus, sondern auch Projektionsfläche für allerlei Neonazis und obskure deutschtümelnde Zirkel. «In Geheimanlagen versteckten Nazigeneräle 1944 neu entwickelte Waffen, um angesichts der Erfolge der Alliierten auf günstigere Zeiten zu warten. Seither steht Avalon bei Rechtsextremen als Synonym für das ‹Vierte Reich›, das nach dem ‹Dritten› kommen soll», schreibt Steiger in der «Wochenzeitung».

Demgegenüber betont Model, dass sein Avalon mit derlei Gedankengut rein gar nichts zu tun habe. Vielmehr habe seine Tochter gerade Marion Zimmer Bradleys Buch «Die Nebel von Avalon» gelesen, als es darum ging, dem neuen Staat einen Namen zu verpassen. «Wir konsultierten den Brockhaus, und dort stand, dass Avalon aus der keltischen Mythologie stammt und Apfelgarten bedeutet. Wir schauten uns an und sagten: ‹Das passt doch zum Kanton der Apfelkulturen!›»

Dass er verschiedentlich von den Medien hart angepackt wurde, liess den Industriellen sehr misstrauisch werden. So ist das meiste, was über ihn in der Zeitung steht, von ihm autorisiert und sorgfältig gegengelesen. «Ich wurde übel beschimpft. Als Faschist be­zeichnet. Das ist eine ziemlich happige Sache, daran merkt man, dass es an Unvoreingenommenheit fehlt, beziehungsweise, dass hier viele verunglimpfende Kräfte mitwirken.» Seiner Ansicht nach sei das Links-rechts-Denken inzwischen überholt. Es zeuge lediglich von geistiger Armut. «Die Staatsform von Avalon ist mittig-liberal», unterstreicht er, «und betont so die Freiheit des Denkens.»

Links oder rechts? Staat oder doch bloss ein getarntes Kulturzentrum, wo man einem reaktionären Kunstverständnis nach­hängt? Ironische Überhöhung politischer Kritik oder pa­theti-sches Schwadronieren eines Egomanen? Eines steht fest: Avalon ist ein bemerkenswerter Narrativ einer politischen Ge­gen­meinung und verrät eine Menge über das Selbstverständnis eines mächtigen Unternehmers.

Was die Zukunft bringen wird?

Der Schweiz blüht laut Model nichts Gutes: Die Eidgenossenschaft, der Tradition ihrer Freiheit und Eigenständigkeit entfremdet, biedere sich an das nicht fassbare Konstrukt der Europäischen Union an. «Das Land wird weitere Schmerzen erleiden müssen», orakelt Model. «Schon seit einigen Jahren ist die Stimmung im Land geprägt vom Unverständnis darüber, warum man an Debakeln wie Bankgeheimnis, Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, Swissair und UBS so leiden müsse, wo man doch bezüglich Staatverschuldung viel besser da­stehe als andere.»

Und Avalon?

«Es wird jetzt sehr viel davon abhängen, wie diese relativ humor­lose Staatenwelt diesem neuen Staat mit seiner Mischung aus Ernsthafigkeit und Selbstironie begegnen kann. Wir werden weiter so tun, als ob Avalon ein Staat sei, bis er einer sein wird.»