«Liste vermittelt realitätswidrigen Eindruck»

SonntagsZeitung vom 20.11.2011

Rechtsextremismus-Experte Hans Stutz über die Fehler des Staatsschutzes und falsche Definitionen

Bern Rechtsextremismus-Experte Hans Stutz ist skeptisch ge- genüber jeglicher Art von nachrichtendienstlichen Aktivitäten. Trotzdem ist für ihn klar: So, wie der Nachrichtendienst seine Arbeit definiert, ist eine wirksame Beobachtung der rechten Szene unmöglich.

Ist die «Beobachtungsliste» geeignet, die rechtsextreme Szene wirksam zu beobachten?

Grundsätzlich wäre die Beobachtung der rechtsextremen Szene durch zivilgesellschaftliche Organisationen demokratiepolitisch besser. Auch könnten diese öffentlichkeitswirksamer und kostengünstiger arbeiten.

Vorerst macht es der Staatsschutz. Macht er es richtig?

Nein, die «Beobachtungsliste» ist dazu kaum brauchbar. Sie vermittelt den realitätswidrigen Eindruck, dass ausschliesslich Skinheads dem «gewalttätigen Rechtsextremismus» zuzurechnen seien. Weiter erwähnt sie die Existenz von 30 Skinhead-Gruppen, nennt aber nur drei Gruppen namentlich. Ein klarer Auftrag würde bedeuten, alle Gruppen zu nennen, die es zu beobachten gilt.

Diese seien nicht zu identifizieren, sagt der NDB.

Das ist Unsinn, alle grösseren Organisationen und Gruppen bestehen seit Jahren, die Hammerskins feierten bereits ihren 20. Geburtstag, Blood and Honour wurde 1997/1998 gegründet. Morgenstern besteht seit 1993/1994, Helvetische Jugend seit 2004, der Waldstätterbund seit 2008 und Les Identitaires/Genf seit 2005.

Wer würde noch auf die Liste gehören?

Wenn wir von der Staatsschutz-Begründung ausgehen, wonach nur «gewalttätiger Extremismus» überwacht werde, dann müssten wohl auch Organisationen wie Genève Non Conforme oder Les Identitaires aufgeführt sein. Video-Clips beweisen nämlich, dass die Identitaires bei den jährlichen Camps in Frankreich neben politischer Schulung auch Kampftraining betreiben.

Als Überwachungsgrund nennt die Liste auch «provokative rassistische Propaganda und demokratiefeindliche Einstellung». Das ist wohl kaum auf die Skins beschränkt.

In der Tat nicht. Wir kennen eine ganze Reihe offen rassistischer und demokratiefeindlicher Rechtsextreme, die nicht zur Skinhead-Szene zählen. Die international tätige Europäische Aktion des Holocaust-Leugners Bernhard Schaub beispielsweise strebt ein nationalsozialistisches Europa an, ausschliesslich für Einwohner weisser Hautfarbe. Die Site des Holocaust-Leugners René-Louis Berclaz bietet seit Jahren Bücher an, die eindeutig unter die Rassismus-Strafnorm fallen. Generell bleibt die Staatsschutz-Überwachung rassistischer Propaganda folgenlos, da sie zu keinen Verfahren wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm führt.