Immer hart an der Grenze

SonntagsZeitung: Wer klatscht für Dieudonné? In Nyon VD hatte der umstrittene Komiker ein Heimspiel

Nach präzis 80 Minuten ist die Show vorbei. Standing Ovations. Aber eine Zugabe liegt nicht drin. Das begeisterte Publikum nimmt den raschen Abgang des Bühnenstars klaglos hin. Der proppenvolle Saal im Théatre de Marens, in jenem betonierten Zweckbau ohne jegliche architektonische Ausstrahlung, leert sich programmgemäss. Die Zeit drängt: Die nächsten Zuschauer frieren bereits in einer ansehnlichen Schlange vor der Eingangstür. Die zweite Aufführung dieses Abends beginnt in wenigen Minuten.

Dieudonné M’bala M’bala, der aus Frankreich angereiste Politsatiriker mit höchst zweifelhaftem Ruf, kann sich eine Serienproduktion mit zwei identischen Auftritten kurz hintereinander leisten. Er weiss um seine treu zahlenden Fans hier in Nyon VD. Zehn Aufführungen hat er in den vergangenen Tagen am Genfersee abgespult – alle waren ausverkauft.

«Das hat nichts mit Judenfeindlichkeit zu tun»

Dieudonné hat es in der Romandie definitiv zur Kultfigur geschafft. In Frankreich hat sich der mehrfach wegen antisemitischer und rassistischer Äusserungen verurteilte Komiker schon in diversen Départements ein Auftrittsverbot eingehandelt, das französische Fernsehen boykottiert ihn strikt, Grossbritannien hat ein Einreiseverbot verfügt. Und in Nyon wird er in restlos ausverkauften Vorstellungen gleich zu Beginn der One-Man-Show mit Ovationen, Zwischenrufen und Beifallsstürmen eingedeckt.

Tatsächlich ist da ein Könner der Schauspielkunst am Werk, ein Sprachakrobat mit eingeübtem Gefühl für humoristische Finessen, perfide Andeutungen und satirische Doppelbödigkeiten, der mit wenig Mimik und grosser Gestik die 462 Besucher im Saal zu begeistern vermag. Nichts erinnert in dieser Atmosphäre des kollektiven Vergnügens an die andere Seite des Hauptdarstellers: an den erklärten Antisemiten, derben Polit-Provokateur und Holocaust-Zweifler Dieudonné, der zu den französischen Rechtsextremen des Front National engste Kontakte pflegt.

«C’est de l’humeur», nichts anderes als Humor, ist sich die Gruppe aufgeräumter Kumpels einig, die sich schon über eine Stunde vor Aufführungsbeginn in die Warteschlange eingefädelt hat und mit einer Büchse Bier in der Hand geduldig auf die Türöffnung wartet. Ein junges Paar, er mit Anzug und Krawatte, versichert: «Das hat nichts mit Judenfeindlichkeit zu tun.» Die kümmerliche Demo einer Antirassismusorganisation verpufft wirkungslos in der zunehmenden Dunkelheit der Nacht.

Allerdings: Die unrühmliche Geschichte dieses Selbstdarstellers, der das Fraternisieren mit Antizionisten, Judenhassern und Holocaust-Leugnern zu seinem Markenzeichen gemacht hat, ist dem Publikum in Nyon bewusst. Es weckt das Bedürfnis, sich zu erklären. So erzählt etwa jener Schreiner aus Bulle FR unaufgefordert und wortreich, dass er in einem Betrieb jüdischer Besitzer arbeite: «Das war für mich noch nie ein Problem.»

Ein halbes Dutzend Polizisten steht draussen in der Kälte

Drinnen im Saal fallen zwei Zuschauer in der vordersten Reihe auf, die dem «Gottgegebenen» laut zujubeln, wenn er antisemitische Sprüche klopft. Eine Sitznachbarin steht entnervt auf und ermahnt die beiden zu mehr Zurückhaltung. Die Romands wollen sich nicht in die rassistische Ecke drängen lassen. Spass soll sein – nichts anderes.

Als Dieudonné aber das eingeübte Wortspiel mit der «Ananas» bringt – eine doppelbödige Anspielung auf ein Kinderlied, mit dem er sich über die Schoah («Schoah nanas») mokiert, grölt das Publikum ebenso wie bei einem politisch völlig unverdächtigen Dialog mit seinem Sohn über dessen Berufswunsch. Einer der Besucher trägt sogar eine echte Ananas als Metapher dieses höchst anrüchigen Jokes mit in die Vorführung – und wird von den Türstehern, die sonst pingelig alle Esswaren, PET-Flaschen und Bierdosen konfiszieren, problemlos eingelassen.

Es ist vorgesorgt: Jede Aufführung wird von zwei Kameras live aufgenommen, um nötigenfalls Beweismittel bei Widerhandlungen gegen das Antirassismusgesetz zu sichern. Und jeden Abend stehen sich ein halbes Dutzend Polizisten in Uniform draussen in der Kälte die Beine in den Bauch. Doch Zweifel bleiben, ob dieser Aufmarsch nicht auch zur gekonnten Inszenierung des Hauptdarstellers gehört, der sich bewusst als Grenzgänger des ethisch Tragbaren vermarktet.

Am kommenden Dienstag feiert Dieudonné seinen 48. Geburtstag: Seiner Biografie ist zu entnehmen, dass er erste Bühnenauftritte mit einem jüdischen Schauspielkollegen hatte, sich dann in der linken antirassistischen Szene bewegte und erst später in die extrem rechte Ecke abdriftete. Kolportiert ist, dass Jean-Marie Le Pen vom Front National der Taufpate des dritten seiner fünf Kinder sei, sein Théatre de la Main d’Or auch als Wahlkampfzentrale der Rechtsextremen dient und er zusammen mit HolocaustLeugnern auch schon einen Film («L’Antisémite») abgedreht hat.

All das ist in Nyon bekannt. Doch das Publikum – gegen 90 Prozent Männer, durchschnittlich zwischen 25 und 35 Jahre alt, keine Glatzköpfe in schwarzen Klamotten, etliche Paare und wenige Frauen – diese Fangemeinschaft foutiert sich und lässt sich vom perfekt inszenierten Sprachwitz mitreissen. «Que de plaisir!», bilanziert ein begeisterter Zuschauer mit tief in die Stirn gezogener Wollmütze den Auftritt, er habe jedenfalls nichts Antisemitisches erkennen können. «Er kritisiert doch alle», sagt eine Frau mittleren Alters mit rötlich gefärbtem Haar – und gibt sich als wahrer Dieudonné-Fan zu erkennen: Es sei schon das dritte Programm, das sie von ihm sehe.

Das ist für Isabelle Chassot, die neue Chefin des Bundesamtes für Kultur, schwer nachvollziehbar. «Ich würde mir kein Eintrittsbillett für Dieudonné kaufen», sagt sie. Grundsätzlich verteidige sie die künstlerische Freiheit, «aber es gibt klare Grenzen der Meinungsfreiheit bei Rassismus, Antisemitismus und Menschenverachtung.» Ähnlich sieht es Grégoire Furrer, der Präsident des Montreux Comedy Festival. «Dieudonné ist kein Humorist mehr, das ist ein Ideologe», lässt er sich von «Le Temps» zitieren.

Der Franzose mit bretonisch-kamerunischer Abstammung polarisiert. Zum diffusen Image trägt auch der Mann bei, der ihm jeweils die Auftritte in der Schweiz ermöglicht: D. D., der Veranstalter im Hintergrund, will partout nicht mit seinem Namen erwähnt werden.

Auch er ist eine schillernde Figur: Der dunkelhäutige, gross gewachsene und hagere Mann stammt ursprünglich aus Senegal, lebt seit 25 Jahren in der Schweiz, ist praktizierender Muslim und sprach schon offen über ethnische Spannungen zwischen Israelis und Afrikanern. Der Akademiker, der an der Uni Freiburg über Erziehungswissenschaften forscht, hat sich für die Sache der Schwarzen in der Schweiz eingesetzt und für die Sans-Papiers, ist über Facebook international bestens vernetzt und hat bis vor Bundesgericht erstritten, dass ein in Genf ausgesprochenes Auftrittsverbot für Dieudonné rechtlich nicht haltbar sei. «Je mehr man zensuriert, desto radikaler werden die Meinungen», ist sein Credo. Er bedauert im nüchternen Foyer des Théatre de Marens, dass sich bei Dieudonnés Auftritten jeweils «leider» auch vereinzelte Antisemiten und Rassisten unters Publikum mischten.

Rechtsextreme setzten seinen Quenelle-Gruss ein

Das nimmt der in der Banlieue von Paris wohnende Satiriker mit seinen politischen Provokationen bewusst in Kauf. Nach einer Vielzahl herber Sprüche im Stil der Italo-Witzchen von Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät, nach etlichen Pointen an der Grenze des guten Geschmacks über Afrikaner, Adoptionen in Homo-Ehen und Pädophilie und nach diversen verbalen Seitenhieben in die französische Innenpolitik kann es Dieudonné am Schluss seiner Show doch nicht lassen, seine Erfindung vorzuführen: den Quenelle-Gruss. Dabei streckt er einen Arm mit flacher Hand seitlich nach unten, während der andere quer hinüber an die Schulter greift.

Während er selber die Geste als «gegen das Establishment gerichtet» schönredet, wird sie inzwischen von Rechtsextremen und Revisionisten genüsslich als verkappter Hitlergruss eingesetzt.

Was die Fans in Nyon allerdings nicht kümmert. Das Nachdenken über das wahre Gesicht dieses schrillen Typen geht im Jubel der Standing Ovation unter: «Que de plaisir.»