Hat das Urteil Signalwirkung?

Neue Luzerner Zeitung: Reporter Alexander von Däniken über den Entscheid des Bundesgerichts, wonach ein Hitlergruss nicht immer strafbar ist.

Ein aktueller Entscheid des Bundesgerichts wirft hohe Wellen. Es geht um einen Mann, der am 8. August 2010 an einer Veranstaltung der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) auf dem Rütli teilgenommen hat – und während rund 20 Sekunden den rechten Arm zum Hitlergruss hob. Diese Aktion ist nicht strafbar, urteilte nun das Bundesgericht (Ausgabe von gestern). Damit korrigierten die Bundesrichter ein Urteil des Urner Obergerichts, gegen das der Mann Beschwerde erhoben hatte.

Wie ist der Entscheid zu interpretieren?

Kern des Bundesgerichtsurteils ist der Propaganda-Effekt, sagt Samuel Althof, Experte für Rechtsextremismus und psychologischer Berater aus Basel: «Der betreffende Mann hat den Hitlergruss als Teil einer Gruppe an einer Veranstaltung der Pnos gemacht. Mit Propaganda hatte die Aktion – so blödsinnig sie auch ist – nichts zu tun.» Laut Strafgesetzbuch macht sich nämlich strafbar, wer rassendiskriminierende Ideologie verbreitet. Das Bundesgericht schliesst in seinem Urteil daraus: «Mit der Tathandlung des ‹Verbreitens› ist ein ‹Werben›, ein ‹Propagieren› gemeint.» Und das sei nur möglich, wenn unbeteiligte Personen gezielt auf die Propaganda aufmerksam gemacht werden.

Anders ausgedrückt: «Ich mache mich strafbar, wenn ich in eine Beiz gehe, auf den Tisch stehe und mit rassendiskriminierenden Worten oder Gesten auf mich aufmerksam mache», sagt Althof, der – selbst Jude – von einem korrekten Urteil spricht.

Anders als beim Pnos-Anlass auf dem Rütli, der unter Gleichgesinnten stattfand, seien also rassendiskriminierende Gesten und Äusserungen an öffentlichen und auch halböffentlichen Orten, wie etwa Sportstadien, nach wie vor nicht erlaubt. Auch Rassendiskriminierung, die sich direkt an Personen richtet – etwa an einen jüdischen Rabbi – ist verboten.

Was ändert sich jetzt?

Das Bundesgericht hat mit dem Entscheid Klarheit geschaffen. Und zwar bei der Auslegung von Artikel 261 des Strafgesetzbuches. Dort heisst es unter dem Titel Rassendiskriminierung unter anderem: Wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Dasselbe gilt bei Personen, die öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzen.

Das ist weiterhin gültig. Und bedeutet im Umkehrschluss auch: Wer im privaten Rahmen den Hitlergruss verwendet, hat keine juristischen Konsequenzen zu befürchten.

Welche Wirkung hat das Urteil auf die rechtsextreme Szene?

Noch sind keine Reaktionen aus der Szene bekannt. Laut Samuel Althof bestehe durchaus die Gefahr, dass rechtsgerichtete Gruppierungen das Urteil als Freipass auffassen und vermehrt die Öffentlichkeit suchen: «Sollte das Urteil Signalwirkung haben, wäre das verheerend.» Allerdings hätte auch eine Verurteilung nichts gebracht: «Dann wäre eine einzelne Person bestraft worden, auf die Szene selbst hätte dies keinen Einfluss gehabt.»

Was bedeutet das Urteil im Umgang mit Rechtsextremen?

Samuel Althof wertet das Urteil als Bestätigung einer liberalen Gesetzesgrundlage, welche die Meinungsfreiheit als hohes Gut gewichtet. Rechtsextremismus sei nicht tragbar, «aber mit juristischen Mitteln allein kann dagegen nicht vorgegangen werden, sondern nur im Zusammenspiel mit Prävention».

Ist der Rassendiskriminierungsartikel zu lasch?

Für diese Frage ist der Gesetzgeber verantwortlich, also das nationale Parlament. Fakt ist: Am 29. April 2004 hat die Rechtskommission des Nationalrats mit einer Motion einen zusätzlichen, schärferen Gesetzesartikel verlangt. Nach diesem neuen Artikel soll auch mit Busse bestraft werden, wer rassistische Symbole wie den Hitlergruss nur schon öffentlich verwendet. Nach der Vernehmlassung schlug der Bundesrat dem Parlament am 30. Juni 2010 allerdings vor, auf den zusätzlichen Artikel zu verzichten. Die Räte nahmen den Vorschlag an. Es gab im Parlament auch Versuche, den Rassendiskriminierungsartikel abzuschaffen oder abzuschwächen. Letzteres forderte kürzlich Oskar Freysinger (SVP). Seine Motion wurde vom Nationalrat abgelehnt.

alexander.vondaeniken@luzernerzeitung.ch