Freysinger und die Wurst

Die Wochenzeitung vom 13.01.2011

Oskar Freysinger ist ein Held. Einer, der dem Tod unerschrocken ins Auge schaut, wenn er ihm begegnet. So etwa beim Pariser Treffen der rechtsextremen «Identitaires», an deren Seite der SVP-Nationalrat im Dezember zum Kampf gegen die «Islamisierung Europas» aufrief. Am Eingang zum Versammlungssaal konfiszierten die Veranstalter ein «langes spitzes Messer, typisch zum Töten», wie Freysinger auf YouTube kommentiert. Eine grausliche Klingenwaffe, die ohne jeden Zweifel für seinen Bauch bestimmt war. Trotzdem liess sich der furchtlose Nationalrat als Antiminarettheld feiern. Und fuhr in sein trautes Wallis zurück, wo er Radio Rhône über den Beinahemord informierte.

Die Zeitung «Le Temps» wollte mehr wissen und kontaktierte den Präsidenten des Bloc identitaire, Fabrice Robert. Der erzählt eine andere Geschichte: Ein den Organisatoren bekannter älterer Mann sei mit einem kleinen Küchenmesser in der Hosentasche erschienen, mit dem er seine Pausenwurst schneiden wollte. Das Messer sei gerade in dem Moment eingezogen worden, als Freysinger, begleitet von sechs Bodyguards der Veranstalter, auftauchte. Mit Roberts Aussage konfrontiert, hält Freysinger an der Version eines «Messers von zehn Zentimetern Länge» fest und gibt der Zeitung die Natelnummer eines Leibwächters weiter. In dessen Version ist das Messer noch länger, die Klinge habe «zehn bis zwölf Zentimeter» gemessen. Ein «älteres Individuum» habe es fallen lassen, als es sich dem Saal näherte, wo Freysinger Bücher signierte. Ist das suspekte «Individuum» der Polizei angezeigt oder zumindest befragt worden? Der Bodyguard weiss es, immer gemäss «Le Temps», nicht mehr.

Doch unterdessen muss es zwischen Freysinger und Robert um die Wurst gegangen sein. Mit der Leibwächterversion konfrontiert, bezeichnet Robert seine eigene als «vielleicht ein wenig voreilig». Und weil es keine definitive, übereinstimmende Version gibt, werden wir nie wissen, in welcher Todesgefahr unser braver Oskar Freysinger, die Wahllokomotive der Westschweizer SVP für den kommenden Herbst, schwebte. Denn jedes Heldenepos hat ein Ende. Nur die Wurst hat zwei.

Helen Brügger