Es ist nicht einfach, kein Rassist zu sein

TagesWoche: Die Kampagne «Basel zeigt Haltung» will ein Zeichen setzen gegen Hetze und jede Form von Diskriminierung. Das ist leicht gesagt. Aber Rassismus und Diskriminierung sind überall. Und schöne Worte allein helfen nicht dagegen.

Fangen wir vorne an, bei der Fremdenfeindlichkeit. Fremdenfeindlichkeit ist nur ein anderes Wort für Ausländerfeindlichkeit. Wenn wir von Fremden reden, meinen wir nicht Berner, Zürcher oder Basler, denen wir zum ersten Mal begegnen, sondern eben: Ausländer. Und von denen meinen wir nicht die Touristen, sondern jene, die hier leben (wollen). 

Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit sind nur beschönigende Begriffe dafür, worum es eigentlich geht: Rassismus. Denn Ausländer ist nicht gleich Ausländer. Nicht alle Ausländer werden in gleichem Mass diskriminiert. Und man muss nicht Ausländer sein, um rassistisch diskriminiert zu werden. Das hält die Hamburger Professorin für Soziale Arbeit Annita Kalpaka in einem Artikel fest, der in den – sehr empfehlenswerten – Unterrichtsmaterialien zur Antirassismusarbeit des interkulturellen Rats in Deutschland zu finden ist.

Deppen im Netz

Mitte August fragte mich Thomas Kessler von der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung des Präsidialdepartements Basel-Stadt an, ob sich die TagesWoche an der Kampagne «Basel zeigt Haltung» beteiligen wolle. Ich musste nicht lange überlegen. Denn selbstverständlich stehen wir für Offenheit und Fairness und gegen Fremdenfeindlichkeit ein.

Zur Kampagne veranlasst sah sich das Präsidialdepartement angesichts der Zunahme von antisemitischen und islamophoben Äusserungen in den sozialen Netzwerken. Der Krieg im Gazastreifen und der Terror des «Islamischen Staats» lassen bei den Rassisten und Deppen im Netz offenbar die letzten Schranken fallen. 

An der Kampagne beteiligt sich eine breite Allianz von Menschen und Organisationen: Arbeitgeber wie Gewerkschaften, Immobilien- wie Mieterverband, Politikerinnen und Politiker jeder Couleur, muslimische, jüdische wie auch christliche Organisationen.

Ein klares Zeichen

Mit «Basel zeigt Haltung» soll ein klares Zeichen gesetzt werden «gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie». So steht es im Kurzkonzept, das mir von Integration Basel zugestellt wurde. Und: «Die Achtung unserer humanitären Tradition soll mit Blick auf die Kriegsflüchtlinge betont und jede Form von Diskriminierung und Hetze entschieden abgelehnt werden.»

Da stellt sich bereits die erste Frage. Natürlich treiben die Kriege im Irak und in Syrien immer mehr Menschen in die Flucht. Die wenigsten von ihnen kommen in die Schweiz. Gut die Hälfte der im Juli in der Schweiz gestellten Asylgesuche stammt von Eritreern. Keine Kriegsflüchtlinge im engeren Sinn, sondern vielfach Deserteure, die vor den unmenschlichen Zuständen in der Armee ihres Heimatlandes davonlaufen. Gilt die Kampagne auch ihnen?

Warum ich immer noch nicht Schweizer bin

Ich selbst habe einen deutschen Pass. Ich könnte längst Schweizer sein, es würde nicht mal viel kosten, und ich werde oft gefragt, warum ich mich nicht einbürgern lasse. Meine Antwort: Weil es mir widerstrebt, mich für so etwas wie eine Nationalität zu entscheiden. Ich lebe seit bald 25 Jahren hier und fühle mich als Basler, nicht als Deutscher. 

Vielleicht werde ich trotzdem einmal Schweizer. Damit ich abstimmen und wählen kann. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass alle Bürgerinnen und Bürger dort stimmberechtigt sein müssten, wo sie wohnen. Wo sie herkommen und was sie hierher verschlagen hat, darf keine Rolle spielen.

Obwohl ich also immer noch Deutscher bin, erfahre ich nicht einmal ansatzweise die Diskriminierung, wie sie ein aus der Türkei eingewanderter oder ein hier geborener schwarzer Schweizer erlebt. Sie werden an der Grenze kontrolliert, beim Flanieren durch die Steinen nach dem Ausweis gefragt, ich nicht. 

Würde ich ein preussisches Deutsch reden und nicht einen grauenvollen Ostschweizer Dialekt, sähe es mit der Diskriminierung schon wieder anders aus. Vorurteile («forsch, arrogant, dominant») sind eher die Regel als die Ausnahme, Beschimpfungen und Ausgrenzung erleben Deutsche tagtäglich.

Wenn es in der Schweiz eng wird, liegt das daran, dass wir als Individuen immer mehr Platz brauchen.

Ob Deutsche oder Expats aus den USA: Dass sie uns die gutbezahlten Jobs wegnähmen und die Mieten in die Höhe trieben, hört man bis weit in vermeintlich aufgeklärte Kreise hinein. Als ob es eine Rolle spielte, welchen Pass die qualifizierte Novartis-Fachkraft oder der Oberarzt vom Universitätsspital hat, der im gentrifizierten, will meinen: aufgewerteten St. Johann wohnt. Die Schweiz zieht hochqualifizierte Kräfte aus Deutschland, den USA … you name it! ab. Verbietet man dort den Leuten das Auswandern? Nein. Aber wir glauben, es bringe uns weiter, wenn wir die Einwanderung beschränken. 

Damit, so meinen manche, wären wir weniger «Dichtestress» ausgesetzt. Wenn es in der Schweiz eng wird, liegt das daran, dass wir als Individuen immer mehr Platz brauchen. Und weil wir ihn uns leisten können, nehmen wir ihn uns auch. Ein klarer Fall von Wohlstandsproblem! Doch statt uns oder wenigstens unsere Bauweise zu verändern, schielen wir lieber auf die einfachen Lösungen, auch wenn sie keine sind. Bei der Masseneinwanderungsinitiative war man sich noch sicher, dass sie nie und nimmer angenommen würde. Seit dem Ja vom 9. Februar ist das klare Nein bei der – natürlich rassistischen! – Ecopop-Initiative nicht mehr selbstverständlich zu erwarten.

Sind wir gegen Rassismus? Klar!
Wirklich? 

Sie erinnern sich an das Bundesgerichtsurteil vom Februar dieses Jahres? Ein Basler Polizist, der einen algerischen Asylbewerber als «Drecksasylant» beschimpft hatte, wurde vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freigesprochen. Der Tatbestand der Rassendiskriminierung, so das Bundesgericht in seiner Begründung, setze voraus, dass der Täter eine Person oder eine Gruppe «wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion» öffentlich herabsetze oder diskriminiere.

Der Begriff «Rasse» wird in der Biologie kaum mehr verwendet. Eine Ausnahme bildet die Zuchtlehre, wenn es um die Klassifikation von Haustieren geht. Eine weitere Ausnahme ist Artikel 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs, landläufig bekannt als Antirassismusgesetz.

Menschliche «Rassen» gibt es nicht. Die Menschheit ist in ihrer ganzen Vielfalt eine einzige Spezies, die sich nicht in Unterarten unterteilen lässt. Zu 99,9 Prozent genetisch gleich. «Rassen» werden konstruiert, um physische Merkmale wie Hautfarbe, Kopf- oder Nasenform mit Charaktereigenschaften und typischen Verhaltensweisen zu verknüpfen. Das ist rassistisch.

Von der «Rasse» zur «Kultur»

Weil «Rasse» irgendwie nach dunklen Nazizeiten klingt, verwendet man heute lieber den Begriff «Kultur». Die Fremden sollen sich uns anpassen oder zumindest akzeptieren, dass «unsere» Kultur die bestimmende ist. Konsens, oder? Und doch reiner Blödsinn. «Die Leitkultur ist eine moderne Variante des Rassismus», hat der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami dazu geschrieben.

Rassistische Diskriminierung findet überall und ständig statt. Und wir akzeptieren sie meist, ohne darüber nachzudenken. Man muss kein Neonazi sein, um rassistisch zu denken und zu handeln. Man muss Schwarze nicht Neger nennen. Es reicht, dass man es normal oder richtig findet, dass Schweizer bei einer Wohnungsvergabe bevorzugt werden. Sich damit abgefunden hat, dass Menschen mit erkennbarem «Migrationshintergrund» schlechtere Chancen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt haben. Wie viele Schwarze gibt es in den eidgenössischen Räten? Wie viele Bundesräte gab es, deren Name auf -ić endet? 

Wo immer wir akzeptieren, dass Einheimische gegenüber Zugewanderten privilegiert werden, handeln wir rassistisch. Man nennt das institutionellen Rassismus. Daran ändert übrigens auch nichts, dass wir die Spitzenleistungen «unserer Secondos» in der Fussball-Nati preisen. Es ist ungefähr so, wie wenn man Schwarzen den «Rhythmus im Blut» attestiert – rassistisch.

Sind wir also alle Rassisten? Nein!
Aber:

Rassismus ist überall und ein kleiner Rassist steckt in jedem von uns. Wenn wir bei der Synagoge an einem Juden vorbeiradeln und denken, dass «der bestimmt auch für den Gazakrieg» ist. Wenn wir dem bärtigen Araber im St. Johann in Gedanken unterstellen, am Freitag in der Moschee dem Hassprediger zu lauschen. Wenn wir Artikel zur Kriminalitätsstatistik mit finster dreinschauenden Secondo-Jugendlichen in Kapuzenpullis bebildern.

Es ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich, den Rassismus ganz zu überwinden. Und doch muss es das Ziel sein. Dazu braucht es Wachsamkeit, auch sich selbst gegenüber. «Haltung zeigen» – was heisst das? Die Courage aufzubringen, um einzuschreiten, wenn wir rassistische Äusserungen hören oder Diskriminierung beobachten. Unterstützung zu leisten, wenn sich Diskriminierte wehren – das ist das Gebot der Stunde. Sagt sich leicht, ist es aber nicht. 

Wer in Basel der Polizei bei einer Personenkontrolle zuschaut, riskiert, selbst abgeführt und wegen Diensterschwerung gebüsst zu werden. Fragen Sie die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz. Oder wagen Sie den Selbstversuch.

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Die TagesWoche unterstützt die Kampagne «Basel zeigt Haltung» als Medienpartnerin.

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