Ellenlange Briefe, endlose Diskussionen, latente Drohungen: Staatsverweigerer strapazieren die Nerven der Thurgauer Behörden

St.Galler Tagblatt. Der Thurgau ist innerhalb der Schweiz die Hochburg der Staatsverweigerer. Sie sprechen den Behörden jegliche Legitimation ab. Mühsam ist das vor allem für Betreibungsämter und Gerichte.

Dieser Satz lässt selbst hartgesottene Betreibungsamt-Mitarbeiter staunen: «Es besteht der Verdacht, dass Ihrer Institution die gesetzliche Legitimation fehlt», schreibt der Thurgauer Hans A. *, nachdem gegen ihn ein Betreibungsverfahren eingeleitet wurde. Der Grund sind nicht bezahlte 900 Franken aus einem Strafbefehl.

Es kommt noch besser: Man solle ihm doch bitte per Post «die Bestallungsurkunde des leitenden Beamten und seines Stellvertreters» zukommen lassen, erklärt Hans A. Dann folgt die Auflistung aller Straftaten, derer sich die Mitarbeitenden des zuständigen Bezirksbetreibungsamtes schuldig gemacht hätten. Die Liste ist lang, sie reicht von der Erpressung bis zum Amtsmissbrauch. Weiter geht es mit 27 teils fotokopierten Seiten, voll mit pseudojuristischem Geschwurbel und gönnerhaften Belehrungen über die Schweizer Bundesverfassung und die Aufhebung des Beamtenstatus. Zum Schluss stellt Hans A. dem Bezirksbetreibungsamt seinerseits eine Rechnung etwas über 1000 Franken. Schliesslich könne er nicht unbegrenzt gratis arbeiten.

Zur Unterschrift ein Daumenabdruck, ab und zu sogar mit Blut

Zwei bis drei solcher oder ähnlicher Schreiben erhält Roger Wiesendanger, Leiter des Thurgauer Amtes für Betreibungs- und Konkurswesen pro Woche. Oft sind es vorgefertigte Briefe oder umfangreiche Ausführungen, die sich auf Fantasiegesetze beziehen. Heisse Luft in einem offiziellen Gewand. Neben der Unterschrift prangt nicht selten ein Abdruck des Daumens, ab und zu sogar ein Blutfleck.

Während der Coronapandemie ist die Szene enorm gewachsen

Staatsverweigerer, in Gesinnung und Argumentation den Reichsbürgern ähnlich, haben während der Coronakrise enormen Zuwachs bekommen. Was vor allem an den Coronamassnahmen liegt, wegen derer sich die Menschen scharenweise radikalisiert hätten und dann zu solchen Organisationen übergelaufen sind.

Für Staatsverweigerer ist der Staat lediglich eine Firma, man muss sich deshalb auch nicht an seine Regeln halten. Auch Justiz und Polizei wird die Legitimation abgesprochen. Das Phänomen ist nicht neu. Doch vor Jahren hatte es Roger Wiesendanger nur vereinzelt mit Staatsverweigerern zu tun, mittlerweile werde sein Amt mit den endlos langen Schreiben buchstäblich vollgemüllt. Das ist aufwendig. Wiesendanger vermutet dahinter eine Strategie:

«Sie wollen uns lahmlegen.»

Im persönlichen Kontakt müssten sich die Mitarbeitenden geballt Beleidigungen und Drohungen anhören. Wiesendanger sagt: «Unsere Mitarbeitenden haben ohnehin keine einfache Aufgabe. Das ist für sie sehr belastend.»

Im Thurgau gibt es mehr Staatsverweigerer als in anderen Kantonen

Wie viele Staatsverweigerer und Sympathisanten es im Thurgau gibt, lässt sich schwer abschätzen. Es sind auf jeden Fall mehr als in anderen Kantonen. Auf der Chat-Plattform Telegram haben sich laut einer Kennerin der Szene knapp 300 Nutzer für die geschlossene GCCL-Gruppe registriert. In der Stadt Zürich sind um die 80 Accounts angemeldet, in der ganzen Schweiz etwa 1500. Innerhalb eines Jahres seien die GCCL-Mitgliederzahlen auf Telegram landesweit auf das Zehnfache gestiegen, sagt die Insiderin. GCCL steht für «Global Court of the Common Law». Ein Pseudogerichtshof, der sich auf Naturrecht und scheinbar biblische Grundsätze beruft.

Welche abstrusen Formen das annehmen kann, erfahren derzeit auch die Thurgauer Gerichte. So antwortete eine 56-jährige Maskenverweigerin vor dem Bezirksgericht Frauenfeld auf die Fragen nach ihren Personalien:

«Ich bin nicht die geladene Person, sondern der lebende Mensch, autorisierte Repräsentantin und Begünstigte meiner Person. Und ich weigere mich, Treuhandschaft zu übernehmen.»

Die Person, das ist ihre ID und die legt die GCCL-Anhängerin vor Richterin Anja Scholz auf den Tisch. Vier Fälle, in denen Staatsverweigerer beteiligt waren, hat das Bezirksgericht Frauenfeld vergangenes Jahr verhandelt. Der Prozess gegen die Maskenverweigerin war der spektakulärste. Die Frau hatte um die 20 Gleichgesinnte im Schlepptau, die sich nach Kräften bemühten, die Verhandlung zu stören. Die Polizei war zwar vor Ort, das hielt die Entourage der Beschuldigten nicht davon ab, das Gericht zu beschimpfen. Richterin Anja Scholz sagt:

«Es gab Aussagen, die als Drohung empfunden werden.»

Ähnliches hat der Münchwiler Richter Stefan Miori erlebt. Bei ihm stand Ende Januar ebenfalls ein Maskenverweigerer vor Schranken, ein 43-jähriger Hinterthurgauer, auch er dem GCCL verbunden. Er kreuzte mit knapp hundert Begleitern in Münchwilen auf. Die Polizei war informiert. Während die Staatsverweigerer draussen lärmten, versuchte drinnen der 43-Jährige den Prozess platzen zu lassen.

«Ausser dem allheiligen Gott hat niemand das Recht, über mich zu richten.»

Statt sich zu setzen, legte er seine ID auf den Stuhl: «Die Person sitzt, der Mensch steht.» Als dies alles nichts fruchtete, nannte er Miori einen Schurken und kündigte an, dass er diesen Prozess noch bereuen werde.

Nein, sagt Miori im Gespräch, so etwas habe er noch nicht erlebt. Obwohl ein Richter von Berufs wegen mit Ausnahmesituationen konfrontiert sei. «Damit muss man umgehen können.» Das Anstrengende bei den Staatsverweigerern sei die Terminologie, endlose Sätze, gestelzt formuliert, angereichert mit vermeintlich offiziellen Versatzstücken. Man müsse genau hinhören, sagt Miori. Das heisst: Sinnloses Geschwurbel filtern, ob etwas dabei ist, was strafrechtlich relevant ist und geprüft werden muss.

Die latenten Drohungen machen Miori keine Angst. «Das ist keinen Gedanken wert.» Vor dem Prozess gegen den Maskengegner ist er nach draussen gegangen zu den Demonstranten. Das zeugt von Furchtlosigkeit.

«Ich wollte bewusst den Demonstrierenden zeigen, wer der verantwortliche Richter ist.»

Die Probleme mit Staatsverweigerern beginnen nicht erst im Gerichtssaal oder in der Amtsstube. Es läuft stets nach dem gleichen Schema ab: Offizielle Briefe wie ein Strafbefehl, eine gerichtliche Vorladung oder eine Betreibung werden nicht angenommen oder abgeholt. Das Amt muss die Polizei aufbieten, die das Schreiben dann offiziell übergibt.

Polizeiliche Kontrollen enden in der Regel mit einer Anzeige

Doch schon eine normale Personen- oder Fahrzeugkontrolle dient den Staatsverweigerern als Bühne für einen dramatischen Auftritt. Andy Theler, Kommunikationschef der Thurgauer Kantonspolizei, nennt keine Zahlen. Er bestätigt aber:

«Es kam wiederholt zu Friktionen mit Personen, die der sogenannten Reichsbürgerbewegung zugeordnet werden.»

Argumente fruchten dabei wenig. Solche Begegnungen würden meist mit einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft enden. Grund: Verweigerung der Namensangabe.

Zur Gefährlichkeit der Staatsverweigerer macht Theler keine allgemeine Aussage. Die Fachstelle Gewaltschutz würde jeweils den Einzelfall prüfen. Dabei würden Aspekte wie eine extremistische Einstellung, querulatorisches Verhalten, die deliktische Vorbelastung, das heisst in der Vergangenheit verübte oder angedrohte Gewalttaten oder psychologische Aspekte berücksichtigt. Theler versichert, dass die Kantonspolizei die Szene aber auf dem Radar habe. «Zu unseren Massnahmen gehört auch das Monitoring von Social-Media-Kanälen.»

Nicht immer gehen die GCCL-Anhänger den juristischen Weg bis zum Ende. Das Urteil des Bezirksgerichts Münchwilen gegen den Maskenverweigerer ist mittlerweile rechtskräftig. Der Hinterthurgauer kassierte 900 Franken Busse und eine bedingte Geldstrafe von 2400 Franken. Dazu muss er die Untersuchungs- und Verfahrenskosten von 1480 Franken zahlen.

* Name geändert