Die Rütli-Schande

Blick

Ex-Neonazi: Sie wollten sogar auf Kinder los

ZÜRICH. Gestern Abend in einem verträumten Dorf in der Ostschweiz. Roberto* (22) empfängt BLICK bei sich zu Hause. Er hat vor vier Jahren den Ausstieg aus der rechtsextremen Szene geschafft. Jetzt erzählt er, wie hart das war. Wie er heute noch leidet.

Doch bevor Roberto Fragen beantwortet, stellt er klar: Sein Name muss geändert, der Wohnort darf nicht verraten und sein Gesicht soll nicht gezeigt werden. «Ich bekomme sonst Riesen-Probleme mit meinen damaligen Kollegen», sagt Roberto. «Die Glatzen hassen es, wenn Ehemalige Interviews geben.»

Auch Roberto war mal eine «Glatze». Er hat zwar ganz normal die Schule, die RS und eine Baulehre abgeschlossen, doch in der Berufsschule gerät er 1999 plötzlich in die rechtsextreme Szene. «Ein Kollege hat mich davon überzeugt, dass zu viele Ausländer in der Schweiz nicht arbeiten wollen, stattdessen aber unsere Steuergelder kassieren, dicke Autos fahren und unsere Schweizer Frauen dumm anmachen», sagt Roberto.

Von da an geht er regelmässig mit Skins «auf Tour gegen Ausländer und Linksextreme». «Auf einmal war ich voll drin in der Szene, im Gruppenzwang.» Seine Gruppe sei Mitglied der international bekannten, gewalttätigen Skinhead-Bewegung B & H, Blood and Honour (Blut und Ehre), gewesen. Roberto kauft Nazi-Filme, einen Dolch mit der Aufschrift «SS» (Schutz-Staffel Adolf Hitlers), eine Nazi-Fahne und lässt sich ein handgrosses Hakenkreuz auf die Brust tätowieren.

Roberto, der damals keine Freundin hat, arbeitet auf dem Bau, verbringt aber seine Freizeit mit den rechtsextremen Gesinnungsgenossen. Am 1. August 2000 steht er an vorderster Front auf der Rütli-Wiese, den Arm zum Gruss gereckt. «Meine Eltern waren wütend, dass ich ein Nazi war», sagt Roberto. «Doch ich liess mir von ihnen nichts sagen.»

Auch 2001 zeigt sich Roberto mit den Nazis auf dem Rütli – zum letzten Mal. «Wenig später hatten wir in einer Beiz eine Schlägerei mit Ausländern», erinnert er sich. «Als ein ganz normaler Schweizer nicht uns, sondern den Ausländern half, gab es mir zu denken.» Dann das ausschlaggebende Ereignis: «Als Nazi-Kollegen sogar auf ausländische Kinder losgehen wollten, war für mich klar: Da mache ich nicht mehr mit!»

Roberto gibt seinen Austritt aus der B & H. Das Hakenkreuz lässt er sich überstechen. «Ich kriegte grosse Probleme. Drohungen. Einmal wollten mich zwei Ex-Kollegen vermöbeln. Zum Glück standen in der Nähe gerade Bahnpolizisten», erzählt Roberto. Er musste sich ab sofort verstecken und aufpassen, wohin er in den Ausgang ging. «Das war hart», sagt er. Zum Glück habe er da seine heutige Freundin (24) kennen gelernt. «Ohne sie und unsere Eltern hätte ich den Ausstieg unmöglich geschafft. Inzwischen habe ich sogar Ausländer als Freunde.»

Ralph Donghi

Hilfe für Aussteiger

BERN. Wenn sie aus der braunen Szene aussteigen wollen, haben Rechtsradikale oft ein Problem: Wie sollen sie es angehen? Tipps und Hilfe bekommen Neonazis bei Beratungsstellen.

Rein ist leichter als raus. Das weiss auch Giorgio Andreoli (47) vom «gggfon», der Beratungsstelle «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus» für die Regionen Bern und Burgdorf: «Oft werden Aussteigewillige als Verräter hingestellt, um ihnen so Schuldgefühle einzureden. Nicht selten wird ihnen Gewalt angedroht.»

Wer aussteigen will, sollte unbedingt ein Gespräch mit den zuständigen Beratungsstellen suchen. Ersten Kontakt kann man per E-Mail knüpfen (siehe unten). Auch per Telefon wird Rat erteilt.

«Gemeinsam mit den Aussteigewilligen, ihren Eltern und ihrem Umfeld suchen wir nach Lösungen, wie sie den Kontakt zur Szene endgültig abbrechen können», sagt Stefan Mathis (50) von der Justiz-, Polizei- und Militärdirektion Basellandschaft.

Wer bei einer Beratungsstelle Hilfe sucht, wird nicht alleine gelassen. Der Aussteigewillige wird auf seinem Weg aus der Szene begleitet.

Mischa Hauswirth

Beratungsstellen: gggfon.ch, melde@gggfon.ch, Tel. 031 333 33 40

Anlauf- und Beratungsstelle für Rechtsextremismus beider Basel, Dieter Bongers, 079 763 95 89