Die Kapitulation von Brunnen

Südostschweiz

Die Schwyzer Regierung ist nach der Neonazi-Demo im Erklärungsnotstand

Nach dem unbewilligten Zug der Neonazis durch Brunnen stehen die Schwyzer Behörden unter Druck. Obwohl sie angekündigt hatten, keine Demonstrationen zu dulden, liessen sie die Rechtsextremen gewähren.

Brunnen am 1. August 2005 um 17 Uhr. 600 Rechtsextreme stellen sich bei der Schifflände zum Marsch auf. Sie sammeln sich hinter Exponenten der Partei national orientierter Schweizer (Pnos), die ein Banner mit der Aufschrift «Für eine eidgenössisch-sozialistische Zukunft» tragen und via Megafon Anweisungen geben. Keine Frage, hier wird zu einer Demonstration Aufstellung genommen. Die Schwyzer Kantonspolizei ist präsent, greift jedoch nicht ein. Auch die in Seitengassen positionierten Polizeigrenadiere halten sich zurück ? die Neonazis ziehen ungestört durch Brunnen, es kommt zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten.

Hehre Absichtserklärung

Vor dem 1. August hatte es von den Schwyzer Behörden noch ganz anders getönt. In einem Regierungsratsbeschluss vom 5. Juli 2005, der der «Südostschweiz» vorliegt, heisst es: «Die Kantonspolizei ist aufzufordern, gegen unbewilligte Demonstrationen und Kundgebungen sowohl von rechten wie auch von linken Kreisen einzuschreiten, sobald sich das Risiko gewalttätiger Ausschreitungen konkret manifestiert.» Hintergrund des Beschlusses ist eine Beschwerde des linken «Bündnisses für ein buntes Brunnen», das gegen die Präsenz der Neonazis demonstrieren wollte und vom Gemeinderat keine Bewilligung erhalten hatte. Die Regierung war jedoch bemüht, Rechts und Links gleich zu behandeln und betonte: «Es geht nicht an, die Bewilligung für eine Platzkundgebung unter Hinweis auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu verweigern und anschliessend eine Demonstration oder eine ähnliche Veranstaltung von Gruppierungen zu tolerieren, die zur Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung führt.»

Zu wenig Polizisten

Der immer noch hörbar betroffene Schwyzer Polizeidirektor Alois Christen versuchte gestern auf Anfrage zu erklären, weshalb der Beschluss kurzerhand über den Haufen geworfen wurde. «Wir hatten zu wenig Polizisten, um die Demo zu verhindern», sagte Christen. Den 600 Rechtsextremen seien halb so viele Polizisten gegenübergestanden. «Mehr waren zur Ferienzeit nicht aufzutreiben», sagte der Polizeidirektor. Um den Marsch zu verhindern wären laut ihm gegen 1000 Polizisten nötig gewesen. «Das wären WEF-Verhältnisse, und Brunnen müsste zur Festung werden», sagte Christen. Es sei ihm und Polizeikommandantin Barbara Ludwig nichts anderes übrig geblieben, als «diese Brut in Gottes Namen laufen zu lassen». Auch Polizeikommandantin Ludwig würde alles wieder gleich machen. «Wir mussten verhältnismässig vorgehen», sagte Ludwig. Sie räumte ebenfalls ein, dass mit den vorhandenen Polizeikräften und der angewandten Taktik die Demo nicht zu stoppen gewesen sei. Immerhin will sie die Anführer zur Rechenschaft ziehen.

Thema im Bundesrat

Unverständlich ist dieses Vorgehen für den Berner FDP-Nationalrat Kurt Wasserfallen, der auch auf dem Rütli war und die Vorfälle als «Katastrophe» bezeichnet. «Ich kann nicht begreifen, dass nicht mehr Polizei aufgeboten wurde», sagte der ehemalige Polizeidirektor der Stadt Bern. Alleine das Nordwestschweizer Polizeikonkordat zähle über 1750 Polizisten, sagte Wasserfallen und betonte: «Wenn die Politik einen Entscheid gefällt hat, muss ihn die Polizei umsetzen.» Er fordert, Rechtsradikale nicht mehr aufs Rütli zu lassen. «Wenn sie solche Leute vor dem Schiff kontrollieren, dann können sie sie auch am Betreten des Schiffs hindern.» Er werde einen Brief an Justizminister Christoph Blocher schreiben und ihn fragen, wie er solche Vorfälle zu verhindern gedenke. Nicht bloss Wasserfallen wird das Thema in den Bundesrat bringen. Auch der verhöhnte Bundespräsident Samuel Schmid selbst wird den Vorfall dem Vernehmen nach in der nächsten Bundesratssitzung thematisieren.

«Verständnis» für Neonazis

In Schwyz ist man sich derweil im Klaren, dass Ähnliches nicht mehr toleriert werden kann. Laut Polizeidirektor Christen wird die Schwyzer Regierung mit der Rütlikommission über Alternativen zur bisherigen Bundesfeier beraten. Ein Problem sieht er allerdings darin, dass den Rechtsextremen in Brunnen auch ein gewisses Verständnis entgegengebracht werde. «Es heisst nach dem 1. August bisweilen: Es ist ja gar nichts geschehen, und ihr macht so ein Theater», sagte der Polizeidirektor konsterniert.