Die Hassfigur der rechtsextremen Szene

Solothurner Zeitung: Rastloser Jäger · Der gebürtige Oltner Heinz Kaiser verfolgt seit 20 Jahren jeden Schritt der Rechtsextremen im Land

Draussen wacht die Überwachungskamera, drinnen knurrt der Wolfshund. Heinz Kaiser hat viele Feinde. Der 65-jährige Fricker kämpft gegen Rechtsextreme, seit mittlerweile 20 Jahren verfolgt er jeden ihrer Schritte im Land und geht unerbittlich gegen sie vor. Das macht ihn zur Hassfigur einer ganzen Szene. Seinetwegen geriet nun auch Pegida-Sprecher Ignaz Bearth ins Straucheln.

Jüngst sorgte Kaiser für Schlagzeilen, als er Bearth anzeigte. Der Grund: Ein auf Facebook veröffentlichtes Bild bezeichnet die Mitglieder der deutschen Regierung als die «wirklichen Nazis». Die «Hetzcollage», wie sie Kaiser nennt, spielte er der Staatsanwaltschaft zu. «Kein Zufallstreffer», sagt er. Seit Jahren schon beobachtet er Bearth. Locker lässt er nicht: Am Freitag meldete er einen weiteren Facebook-Eintrag bei der Staatsanwaltschaft St.Gallen. Darauf wird Angela Merkel Nähe zu Rechtsextremen unterstellt.

Auch Todesdrohungen erhalten

Drahtiger Körper, gelockte Haare, fester Händedruck. Hartnäckig deckte Heinz Kaiser die Führungsriege der Pnos (Partei national orientierter Schweizer) mit Anzeigen wegen Rassendiskriminierung ein. Zehn Exponenten mussten zurücktreten. Treffen sich Rechtsextreme, ist Heinz Kaiser vor Ort, beobachtet, fotografiert. Auch im Internetzeitalter noch immer seine bevorzugte Arbeitsweise. Sein Einsatz machte ihn zur Hassfigur einer ganzen Szene – und das bekam er zu spüren. Ein Angriff zweier Neonazis auf offener Strasse. Bewaffnet mit Bierflaschen. Karatekämpfer Kaiser kann sie abwehren. Später entdeckt er durch Zufall die gelösten Schrauben an seinem Auto. Beschimpfungen, Einschüchterungen, Drohanrufe.

«Todes-Video» steht auf der DVD, die Kaiser ins Laufwerk seines Computers legt. Erschiessungsszenen, Aufnahmen aus einem Konzentrationslager, untermalt mit der aggressiven Musik einer Neonazi-Band. Die Botschaft gegen Ende des Videos ist unmissverständlich: Das Fadenkreuz ist auf Heinz Kaiser gerichtet. Das war 2006. Noch heute wird er im Internet bedroht und beleidigt. «Ich schaue weniger hin», sagt Kaiser. «Aber natürlich trifft es einen, auch wenn es das nicht dürfte.» Zeitweise richteten sich die Drohungen auch gegen Lebenspartnerin und Tochter.

Fühlte sich missbraucht

Einschüchtern liess er sich dennoch nie. Davon zeugt die Kartonschachtel, die auf dem Tisch im Wohnzimmer steht. Kaiser öffnet den Deckel; sie ist bis oben gefüllt mit Zeitungsberichten. «Neonazijäger» nennen ihn die Medien, die er geschickt zu nutzen weiss. Schon damals, 1995, als sein Kampf begann. Das Bild, das einen seiner Karateschüler in SBB-Uniform mit Hitlergruss zeigte, verbreitete sich via «Blick» im ganzen Land. «Unglaublich: Hitlergruss in Uniform», lautete die Schlagzeile. Lange unbemerkt hatte ein junger Mann Kaisers Karateschule dazu benutzt, um Mitglieder für seine rechtsextreme Gruppierung zu rekrutieren. Kompromisslos griff er durch, stellte 20 seiner Schüler vor die Tür. Er habe sich missbraucht gefühlt, sagt er. Seither lässt ihn das Thema nicht mehr los.

Ein unbezahltes Hobby

Schon als Jugendlicher sei er eine Art Friedensaktivist gewesen, sagt er. Mischte sich ein, wenn die Situation auf dem Pausenplatz zu eskalieren drohte. Kaiser wuchs in Olten auf, lernte Bauspengler. Für den Beruf konnte er sich nie begeistern, umso mehr für die Musik. Im Oltner «Hammer» sagte er 1968 Pink Floyd bei einem ihrer ersten Schweizer Konzert an, trat später als DJ Tscheisi auf. Ein Tattoo auf seinem sehnigen Unterarm erinnert an die wilde Zeit. Ein zerbrochenes Mikrofon, darüber der Schriftzug «Why?». Warum er sich dieses Motiv stechen liess, kann er sich heute nicht mehr erklären. «Eine Jugendsünde», sagt er und schiebt den Ärmel des gestreiften Pullovers darüber. Später arbeitete er als Selbstverteidigungs- und Karatelehrer, liess sich in Sozialpädagogik und Pflege ausbilden. Bis zur Pensionierung verdiente er sein Geld bei einem Sicherheitsdienst.

Der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus ist für ihn Hobby – unbezahlt und zeitaufwendig. Aufhören komme nicht infrage, sagt Kaiser. Seine aktuelle Mission: der NSU-Prozess um die Mordserie der sogenannten Zwickauer Terrorzelle in Deutschland. «Ich will die vielen Beweismittelfälschungen der inzwischen ausgewechselten Ermittlungsbehörden aufdecken», sagt er und kündigt an: Schon bald werde er dem neuen NSU-Untersuchungsausschuss wichtiges Material zukommen lassen.

Rechtsextreme

1000 Gewaltbereite

In der Schweiz schätzt der Nachrichtendienst des Bundes die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen auf 900 bis 1000 Personen. Die meisten davon in den Kantonen Bern, Zürich, St.Gallen und Luzern. Im Aargau, den Heinz Kaiser vor zehn Jahren als «Hochburg der rechtsradikalen Bewegung» nannte, sei es dagegen ruhiger geworden. Öffentliche Nazi-Konzerte würden schon im Vorfeld verhindert. «Der Staatsschutz hat die Leute im Visier und gut im Griff», so Kaiser. Warum ist die Szene geschrumpft? Das sei schwierig zu beantworten, sagt Bernhard Graser, Sprecher der Kantonspolizei Aargau. «Phänomene kommen auf und verschwinden wieder.» Zudem seien viele frühere Rechtsextreme inzwischen älter und vernünftig geworden – und hätten der Szene den Rücken gekehrt. (mb)

Alex Spichale