Die Ausrüstung war wohl überlegt: keine auffälligen Lonsdale-Kleider oder Kampfstiefel, dafür ein Stadtplan von Frauenfeld, Gesichtsmasken und Handschuhe. Vor Ort kundschaftete man sorgfältig die Fluchtmöglichkeiten aus, dann schwärmten zwei Spähtrupps a

heute

Die weisse Rasse muss aufrechterhalten werden. Die Schwarzen leben wie wilde Tiere, die gehen auf die eigenen Leute los. Wenn wir auf Linke losgehen, dann wegen der verschiedenen Ideologien. Noch vor den Schwarzen und den Linken kommen die Juden. Auch mit den Muslims kann ich nicht viel anfangen. Das einzig Gute an den Muslims ist, was sie mit den Juden machen.*

Ivo H., damals 23-jährig, war der Häuptling der Glatzen-Clique Wylandsturm, die sich 2001 und 2002 im Bezirk Andelfingen (dem Weinland) mit gewalttätigen Übergriffen unbeliebt machte. Mit Pfefferspray attackierte sie am Maskenball Marthalen drei 15-jährige Mädchen. Im Vorfeld des Herbstfestes in Trüllikon streute die Gruppe Drohungen gegen die Balkanstube, eine von 31 Festbeizen. «Neonazis könnten ein Problem werden», heisst es in einem Protokoll des OK, das ein Sicherheitsdispositiv aufzog. «Plötzlich stürmten sie brüllend wie eine Horde Stiere durch die Strasse», erinnert sich der Beizer der Balkanstube, ein Trülliker. Die Attacke traf dann einen gleichaltrigen Linken, den die Skinheads zusammenschlugen. Am Herbstfest Kleinandelfingen im kommenden Jahr wurden dann wieder Mädchen attackiert, dieses Mal mit Faust und Schlagring. Zu diesem Zeitpunkt war der Wylandoberstürmer Ivo H. bereits wegen schwerer Körperverletzung zu sechs Monaten Gefängnis bedingt verurteilt.

Ich komme super aus mit unseren Polizisten, ich bin auch schon fast mit allen Polizisten hier im Weinland per Du. Die Zürcher Polizei ist sehr loyal uns gegenüber. Ja, ich bin auf Bewährung, wegen schwerer Körperverletzung, etwas mit Ausländern. Es war ein ganz sympathischer Richter, ich glaube, der hat mit uns sympathisiert.

Mit fünfzehn war Ivo H. Skin geworden und mit zwanzig Mitglied von Blood and Honour. Mehrere der sieben Eisenwerk-Täter gehörten oder gehören zu dieser militanten Naziskin-Gruppierung – und daneben zu lokalen Glatzen-Cliquen im Zürcher Unterland oder eben zum Wylandsturm. Blood and Honour entstand 1987 in Grossbritannien, in Deutschland wurde die Gruppierung 2000 verboten. In der Schweiz macht ein Blood-and-Honour-Ableger den Hammerskins seit sieben Jahren die Rolle als «Avantgarde» auf nationaler Ebene streitig.

Es kann ja nicht jeder zur Speerspitze des rechten Kampfes gehören. Es kann nicht jeder bei den Extremen dabei sein. Ein Mägerlimuck soll bei den Stinos bleiben, den Stinknormalen. Die sind vielleicht auch rechts wie ich, aber sie wollen nicht so viel Konfrontation.

«Opfer von Ideologien»

«Bei Schlägerei verletzt», betitelte die Kantonspolizei Thurgau ihr Communiqué nach dem Überfall von Frauenfeld; vermutlich sei es «mit einer weiteren Gruppierung zu einer Auseinandersetzung gekommen». Auseinandersetzung? Nach der Verhaftung der sieben Rechtsradikalen textete die Polizei: «Die beiden Jugendlichen wurden offensichtlich zufällig Opfer von Ideologien zwischen linken und rechten Gruppierungen.» Opfer von Ideologien (Plural), links und rechts, zufällig und ausgewogen?

Nur keinen Klartext reden. Auch heute noch nicht. «Strafverfahren im Zusammenhang mit der gewalttätigen Auseinandersetzung nach dem Ska-Punk-Konzert vom 26. April 2003 im Eisenwerk Frauenfeld», nennt das Bezirksgericht Frauenfeld den Prozess, der von Montag bis Mittwoch dieser Woche über eine martialisch bewachte Bühne ging. Gewalttätig, Ska, Punk? Wie wäre es mit folgendem Titel gewesen: «Strafverfahren betreffend Überfall von sieben (erwachsenen) Skinheads auf zwei (minderjährige) Besucher eines Ska-Konzerts»?

Für den Prozess um die «gewalttätige Auseinandersetzung» traf sich das Bezirksgericht im Grünen, im Gemeindesaal von Felben-Wellhausen. Auf der Opferseite sitzt Dominik mit seiner Mutter, die zur hauptamtlichen Pflegerin ihres Sohnes geworden ist. Wenige Meter davon sitzen die sechs Täter neben ihren amtlichen Verteidigern; auch heute sind sie unauffällig gekleidet.

Gerichtspräsident Rudolf Fuchs eröffnet die drei Prozesstage mit der Befragung der Angeklagten. «Haben Sie noch Kontakt mit der rechtsextremen Szene?», fragt er rituell. Ja, mit Einzelnen, sagen einige. Ivo H.: «Ja, ich besuche auch noch Veranstaltungen.» Ein anderer: «Ich habe weiterhin Kontakt mit einer Gruppierung.» Statt nachzuhaken, hakt Fuchs die Frage ab, mehr will er gar nicht wissen.

Der Holocaust hat nie stattgefunden. Das ist eine Riesenlüge, von den Juden aufgebaut, um den Nationalsozialismus zu unterdrücken. Wenn die Lüge mal aufgeflogen ist, dann laufen uns die Leute in Scharen zu.

Zum Schluss der Befragung murmeln die meisten Entschuldigungen. Es tue ihnen Leid, dass es «blöd herausgekommen» sei, wie sich Ivo H. schon in der U-Haft ausdrückte. Von der Tat selbst distanziert sich keiner, und von Reue ist erst recht keine Spur zu sehen. Die Gefühllosigkeit erschreckt viele. Die Angeklagten lügen dreist daher. Ausser dem Flaschenschläger will keiner Dominiks Kopf auch nur berührt haben. Andreas S., der «ganz sicher nicht» auf Dominik eingeschlagen hat, gab immerhin zu Protokoll, weshalb sie Handschuhe dabei hatten: «Man hat nicht so gern Blut an den Händen.»

Apropos Andreas S.: Nach der Panzermechaniker-RS erhielt er letztes Jahr den Vorschlag zum Korporal. Am Montag voriger Woche rückte er in die Kaderschule nach Thun ein. Durch sein Urlaubsgesuch für den Prozess wurde die Verwicklung des angehenden Korporals im Fall Eisenwerk ruchbar. Die Folge: Am Freitag wurde er aus der Kaderschule in einen gewöhnlichen Militärdienst abgeschoben, am Dienstag dieser Woche dann administrativ aus diesem entlassen. Vorerst. Definitiv werde nach Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils entschieden, erklärte VSB-Sprecher Kaj-Gunnar Sievert gegenüber der WOZ.

Der Tote war der Täter

Am gleichen Dienstag schiesst in Felben der Verteidiger von Ivo H. den Vogel ab, der Thurgauer SVP-Kantonsrat Daniel Jung, der vom Polizisten über den Untersuchungsrichter zum Anwalt aufgestiegen ist. Zuerst vergleicht er die Tat der angeklagten Skins mit dem Kinderfilm «La guerre des boutons» (Der Krieg der Knöpfe), mit alljährlichen harmlosen Fehden zwischen den Kindern zweier Nachbardörfer. Glatzen gegen Punks, Punks gegen Glatzen, ein Ritual, wie bei den Kindern im Film.

«Skin or die» ist ein cooler Film. Die haben von der Szene ein relativ harmloses Bild gezeigt. Gut, mal schnell eine Kalaschnikow oder Serbien, wo etwas geht, da haben sie eine Schwulenparade auseinander genommen, und was in Bulgarien abgeht, und in Schweden oben, wo sie schon anfangen, aufeinander zu schiessen, eine autonome WG haben sie mit einer Panzerfaust auseinander genommen, da geht etwas, in England haben sie in einem Schwulenpub eine Nagelbombe gelegt, es geht eben schon etwas. Uns so harmlos wie möglich darstellen finde ich gut.

In Frauenfeld habe es nur schlimm geendet, so Ivo H.s Fürsprecher, weil einer ohne Absprache mit seinen Kameraden durchgedreht habe. Jung weiss auch, wer den Exzess gegen Dominik begangen hat: Der Täter war der Tote. Deshalb, aus schlechtem Gewissen, habe sich dieser in der U-Haft erhängt. Dass es für dieses abenteuerliche Konstrukt in den Akten keine Indizien gibt, stört Jung nicht. Zu mehr als achtzehn Monaten bedingt dürfe man Ivo H. auf keinen Fall verdonnern.

Das wird ein frommer Wunsch bleiben. Wegen vollendeten Tötungsversuchs verlangt Staatsanwalt Marcel Ogg für zwei Angeklagte sechs Jahre Zuchthaus: für den Anführer Ivo H., der «beim Überfall der Draufgängerischste und der Wildeste» gewesen sei, sowie für Urban St., der sich herauslügen wollte. Die andern vier Täter sollen für fünfeinhalb oder fünf Jahre ins Zuchthaus. Am 15. September wird ihnen das Bezirksgericht das Urteil eröffnen.

«Harte Strafanträge gegen rechtsextreme Gewalttäter», titelte die NZZ diese Woche. Hart? Hart war, wie die Naziskins das Leben des jungen Reggae -Fans zerstörten.

* Die eingerückt gesetzten Abschnitte sind sprachlich geringfügig bearbeitete Zitate aus einem Interview, das die Winterthurer Kantonsschülerin Tanja Lirgg im Rahmen einer Studienwoche ein Jahr vor dem Überfall von Frauenfeld mit Ivo H. in Mundart führte.