Der Velomech aus dem Gürbetal, der zum Verschwörer wurde

Berner Zeitung

Corona-Rebell auf Youtube Tom Kisslig war ein ziemlich normaler Gewerbler. Nun verbündet er sich mit Rechtsextremen und Esoterikern. Und hetzt gegen Personen und Institutionen.

Johannes Reichen

Am Morgen des 3. November spaziert Tom Kisslig durchs Gürbetal. Neben ihm läuft Hund Wombat mit, der Mond scheint hell. Kisslig hat die Kamera eingeschaltet. Am Abend zuvor ereignete sich in Wien ein Terroranschlag, darüber will er reden. Er begrüsst seine Zuschauer. «Wunderbaren guten Morgen.» Man kann es später auf Youtube sehen und hören.

Er habe sich die Nacht um die Ohren gehauen und die Berichterstattung verfolgt. Eine Frage beschäftigt ihn, sie hängt mit Corona, mit Wien und mit dem Anschlag in Nizza kurz zuvor zusammen. «Wie kann ich als Machthaber meine Armee legitim bewaffnen, damit sich die Menschen an die Ausgangssperre halten?»

Seine Antwort ist einfach: mit einem Anschlag. Denn darauf folge die «höchste je da gewesene Terrorwarnstufe, und am Tag darauf, um Mitternacht, der Lockdown.» So sei es in Frankreich gewesen, ebenso in Österreich.

«Schaut euch die Bilder an», sagt Kisslig. «Schaut sie euch aufmerksam an.»

Videos aus der Garage

Das ist die Sicht von Tom Kisslig, der in Toffen lebt und Velomech ist. Der eine Partnerin hat, selbst gedrehte Zigaretten raucht und gern früh aufsteht. Und der im Sommer 2020 seine ersten Videos auf Youtube hochlädt. Corona, Masken, Medien, das sind seine Themen.

Seit Juli hat er weit über Hundert Filme und Streams in die Welt gesendet. Er tritt unter dem Namen «Einer für viele» auf, filmt sich in seiner Garage, auf der Terrasse, auf Spaziergängen, im Auto. Er hält lange Monologe, oft sendet er von Demonstrationen.

Auf Youtube zählt er über 4000 Abonnenten. Mit den Filmen erreicht er Hunderte, manchmal Tausende Zuschauer. Er erhält Zuspruch und auch Geld. Wo immer er im Internet aktiv ist, hinterlässt er seine Kontonummer.

Kisslig hat eine Website, Motto: «Für die Aufklärung der Wahrheit». Auf Instagram ist er präsent, auch auf der Chat-App Telegram. Sie ist bei Verschwörern beliebt, weil dort beispielsweise rechtsextreme Inhalte selten gelöscht werden.

Die Frage ist, wie aus dem Velomech ein Hetzer und Verschwörer wurde.

Als Velomech in Toffen

Im Herbst 2014 eröffnet Tom Kisslig in Toffen sein Geschäft. Es heisst «Velotomie» – ein Wortspiel. Die Endung -tomie meint das operative Öffnen eines Körperorgans. Bald darauf erscheint in der «Toffe-Zytig» ein kleiner Bericht.

Der Autor berichtet von einem «aufgeräumten, stattlichen Werkraum», in dem er sich «sofort willkommen» fühlt. Er erwähnt auch Kissligs Hobby Bogenschiessen und dessen Absicht, von Bern nach Toffen zu ziehen. Was Kisslig dann auch tut. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Velomech noch auf Twitter aktiv. Mehr als 1000 Tweets setzt er 2013 und 2014 ab. Er kommentiert verlinkte Beiträge, die meisten Links sind nicht mehr aktiv. Andere Tweets zeigen seine Vorliebe für Autos oder Sport. Er teilt oft auch Zeitungsartikel. Die nimmt er ernst.

Offenbar hat etwas gegen die EU und Israel. Und er glaubt, dass es sich bei den Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel in Wahrheit um absichtlich verbreitete Chemikalien handelt, um «Chemtrails». Es ist eine populäre Verschwörungstheorie.

Geschäft läuft nicht

Im Gürbetal nennt sich Kisslig der «Velodoktor». Seine erste Werkstatt betreibt er im oberen Teil des Dorfs. Ein Mann, der in seiner Nähe arbeitete, sagt: «Er ist mir schon damals mit ausländerfeindlichen Äusserungen auf Facebook aufgefallen.»

Dort verraten die Posts von 2015 einen Hang zu Veloausflügen mit der Familie. 2016 teilt er gern Spassvideos oder Sprüche zum Thema Beziehung. Kisslig stellt sich als Patriot, als Gegner der Zuwanderung und als Anhänger von SVP-Hardlinern dar.

In Toffen fällt er als etwas seltsamer Typ auf. «Er ist nicht 08/15», sagt ein Bekannter. Mit dem älteren Sohn sei er immer herzlich umgegangen. «Auf eine Art war er sehr umgänglich», erinnert sich ein früherer Nachbar. Aber als Geschäftsmann nur bedingt erfolgreich.

Tatsächlich muss er 2016 Konkurs anmelden. Danach führt er sein Geschäft als Verein weiter, zwei Frauen arbeiten mit. In Riggisberg öffnet er Anfang 2018 als «Velo-Grübler» einen Laden – und ist rasch wieder weg.

Umstrittener Ruf

Auch in Toffen läuft es nicht. Im September 2018 verabschiedet er sich mit einem hämischen Plakat von der Bevölkerung. Er wünschte ihr «weiterhin frohe Ausflüge zum Bike-World, Skiund Veloservice, Aldi, Landi, Lidl, Migros, Jumbo, Coop, Athleticum, Thömus und dem Internet». So sei er schon immer gewesen, sagt ein Bekannter: Die Schuld trügen immer die anderen.

Kisslig gibt nicht auf, flickt weiter Velos. Ein Gewerbler aus dem Dorf staunt über die langen Schlangen, die sich am Samstag vor seinem Geschäft bilden. Ein Velohändler berichtet hingegen, Kisslig habe viele Menschen verärgert: Kunden, deren Velos er nicht richtig repariert, Lieferanten, deren Rechnungen er nicht bezahlt habe.

Tom Kisslig äussert sich zu all dem nicht. Als er von dieser Zeitung für ein Gespräch angefragt wird, braucht er fünf Tage Zeit. Er müsse wissen, mit wem er es zu tun habe. Dann sagt er ab.

Auch mehrere Personen, die etwas über ihn sagen könnten, lehnen ein Interview ab. Sie hätten mit ihm abgeschlossen, heisst es etwa. Andere werden ungehalten, wenn man nur seinen Namen erwähnt. Oder finden, man dürfe ihm keine Plattform geben.

Gegen die Maske

Dann kommt das Coronavirus. Tom Kisslig reaktiviert seine Facebook-Seite. Er outet sich als Kritiker der Corona-Massnahmen, hetzt gegen Medien. Für ihn gibt es keine Pandemie. Einmal macht er sich lustig über Bootsflüchtlinge: «Stay at home!» Das sei in diesen Zeiten wichtiger denn je.

Am 1. Juli verkündet der Bundesrat die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Kisslig sitzt im «Gnägi» auf seiner Terrasse und schaltet die Kamera ein. Die Maske nennt er ein «huere Gsichtskondom», die Maskenpflicht einen «Gehorsamstest». Er vergleicht sie mit Hakenkreuz-Armbinden. Kissligs erstes Youtube-Video. Weitere Beiträge folgen. Er spricht gern über die «Lügenpresse» und ruft die Schweiz dazu auf, sich zu vernetzen. «Wir als Volk müssen den Widerstand lancieren und uns nicht von oben herab ein System aufdrücken lassen.» Er findet immer mehr Gehör, auch in Deutschland. Deshalb spricht er meistens Hochdeutsch. Manchmal entschuldigt er sich für seine «Wortfindungsstörung». Und manchmal für seine grobe Sprache.

Aufnahmen an Demos

Manchmal redet Kisslig auch einfach über Velos oder seine Familie. Er habe drei Kinder und eine Partnerin, der er zu verdanken habe, «dass ich bin, wer ich bin». Sein Vater, erzählt er einmal, habe ihm die Liebe gekündigt, «nur weil ich eine andere Meinung habe». Dabei sei der «Papa» früher selbst ein «kleiner Rebell» gewesen. Heute glaube er alles, was in der Zeitung stehe. Auch über seinen Bruder äussert sich Kisslig abschätzig.

Immer öfter sendet er von Demos gegen Corona-Massnahmen. Am 29. August ist er in Berlin. Am 23. September in Zürich. Am 4. Oktober in Konstanz. Am 28. Oktober in Bern. Seine Ausrüstung wird professioneller. Dank GoPro-Kamera und einer sechs Meter langen Stange kann er aus der Höhe filmen. Kisslig macht jetzt TV. An seinem Auto klebt ein «Presse»-Schild.

Die Kantonspolizei Bern äussert sich nicht zur Szene der Corona-Demonstranten und Kritiker von Schutzmassnahmen. Auch nicht zu den Bedrohungen, die aus diesen Kreisen hervorgehen. Aber sie stellt vermehrt fest, dass sich mutmassliche Aktivisten an Demonstrationen als «freie Medienschaffende» bezeichnen. Diese würden aber durchaus die Position wechseln und sich Demonstrierenden anschliessen, so Polizeisprecherin Ramona Mock. Und: Praktisch jede filmende Person beziehe sich mittlerweile auf die Pressefreiheit.

Hetze gegen Schulen

Mitte Oktober liest Kisslig in «20 Minuten», dass sich Eltern in Heimisbach über neue Regelungen beim Schulschwimmen beschweren. «Kinder dürfen nach dem Schwimmen nicht duschen», heisst es in einem internen Schreiben, «die nassen Haare dürfen nicht geföhnt werden.» Ein Gemeinderat schafft aber Klarheit. «20 Minuten» folgert: Um die Gesundheit der Kinder müsse man sich keine Sorgen machen.

Kisslig aber sieht es so: «Ich weiss, das ist eine abgelegene Gegend, so was zwischen Oberland, Emmental und irgendwas. Dass die nicht immer das frischeste Blut hatten, das weiss man.» Aber das schlage alles. Die Verantwortlichen wollten «mit aller Härte» die Kinder krank machen, «damit ihre scheiss Ärzte da oben etwas zu tun haben und damit die Kinder endlich geimpft werden gegen Grippe».

Auch die Schwimmschule Aqua-Vision aus Nebikon gerät in seinen Fokus. Sie führt eine Maskenpflicht ab 3 Altersjahren ein. «Wenn ich so etwas höre», sagt Kisslig, «werde ich schon fast tätlich.» Wer ein solches Schutzkonzept erstelle, sei «garantiert kein Familienmensch». So etwas «grenzt an Kindsmisshandlung», so würden Kinder «psychisch zerstört». Er ruft die Community zum Handeln auf.

Die Schwimmschule muss ihre Regelung zurücknehmen. «Wir haben zum Teil massive Drohungen erhalten», sagt Geschäftsführer Michel Fumali. Aqua-Vision sei vor allem in klinischen Bädern eingemietet, etwa in der Klinik SGM in Langenthal. «Da hat es viele potenziell gefährdete Menschen.» Er habe zu deren Sicherheit beitragen wollen.

Unter Gleichgesinnten

Am 17. Oktober um 20 Uhr startet Kisslig einen Livestream. Diesmal hat er Gäste. Da sitzt Sonja Künzi aus Belp. Sie betreibt dort eine Firma namens Phoenix-Beratungen. Sie ist Werberin, Mentaltrainerin, Youtuberin und Esoterikerin. Kürzlich liess sie sich die «Hütte» ausräuchern, um «alle Energien nach draussen» zu lassen, um «alles ins Reine zu bringen», bevor der November beginnt. Sie betreibt einen Videokanal namens «Es längt!». Der zweite Gast heisst Heino Fankhauser. Der nennt sich eigentlich nur noch «Mensch Heino aus der Familie Fankhauser». Denn die Person Fankhauser, sagt er, gehöre dem Staat. Er ist Anhänger der Reichsbürger und Staatsverweigerer. Der Emmentaler lebte zuletzt in der Region Thun und jetzt in einem Auto mit Dachzelt.

Fankhauser entstammt der Bewegung «We Are Change Switzerland», die populäre Verschwörungstheorien verbreitet, etwa zu 9/11. Er ist der Kopf von «Ciné12», einem «Stammtisch», der sich regelmässig im Rössli Dürrenast zur Diskussion trifft. Etwa über Ufos. Fankhauser ist auch überzeugt davon, dass der Vatikan die Welt regiert. «Wir können ein Wegweiser, ein Beispiel für andere Menschen sein», sagt Fankhauser beim Talk mit Kisslig und Künzi. Wer nicht will, muss nicht – ist dann aber aus Sicht des Trios kein Mensch mehr, sondern nur noch eine Person. Da unterscheiden sie streng.

Eine Hemmschwelle

Telegram wird immer wichtiger für Kisslig. Als der Bundesrat die Massnahmen zur Eindämmung des Virus verschärft, veröffentlicht er dort eine «Todesanzeige». Die Schweiz sei in eine «sozialistische Diktatur» umgewandelt worden. «Landesverräter» nennt er die sieben Bundesräte. «Und was macht man mit Landesverrätern…», fragt er auf Telegram.

Als im «Blick» eine Virologin einen zweiten Lockdown fordert, will er ihre Wohnadresse ausfindig machen. Und als er Ende Oktober bei einer Demonstration auf einen Pressefotografen trifft, verfolgt er ihn mit der Kamera. «Der arbeitet für eine Schweizer Zeitung, er sagt nicht, für welche», kommentiert er im Stream. Deshalb will er von seiner Community wissen, wer das ist: «Name, Adresse, jetzt, sofort.»

Noch aber gibt es Themen, zu denen er sich ungern äussert. Etwa zur der Qanon-Bewegung und deren Adrenochrom-Verschwörungstheorie. Ihr zufolge werden Kinder von Satanisten und Pädophilen in Tunnels gehalten und gefoltert, um ein Verjüngungshormon zu produzieren. Oder so.

Vorbereiten auf den Sturm

Tom Kisslig betreibt noch immer sein Geschäft in Toffen und verkauft Occasionsvelos. Es befindet sich in seiner Garage. Davor hat er ein Zelt aufgestellt. Er verfüge über eine Betriebsbewilligung, heisst es bei der Gemeindeverwaltung. Das Zelt sei «auf Zusehen hin» geduldet.

Oft steht dort auch sein Kleinbus. Ein Mercedes Sprinter in Schwarz und Tarngrün, mit dem «Einer für viele»-Logo. Grosse QR-Codes verweisen auf seine Kanäle im Internet. An der Front des Wagens montierte er eine grosse Schutzmaske.

Aber er meint es ernst. «Der Staat und seine Schergen pauken ihre WEF-Agenda einfach gnadenlos durch», sagt er. Ja, er ist überzeugt, dass das World Economic Forum und die «Schweizer Freimaurer-Hochburgen» hinter allem stecken. Deswegen müsse man sich organisieren und für den Sturm vorbereiten. Tom Kisslig empfiehlt dafür eine Vollschutzmaske mit Kombinationsfilter für 189 Franken.

Tom Kisslig ist nicht allein. Einmal schickt er für seinen «Einer für viele»-Kanal einen Filmer und Kommentator an eine Demo in Bern. Der Mann heisst «Brünu», trägt eine rote Krawatte und ein blaues Hemd von Bernmobil. Vor der Kamera macht er kein Geheimnis daraus, dass er bei Bernmobil als Chauffeur arbeitet. Er habe dort schon die «Kündigungsandrohung» erhalten.

Den Auftritt in offiziellen Bernmobil-Kleidern und die Aussagen von «Brünu» bezeichnet Bernmobil-Sprecher Rolf Meyer als «ungeschickt». Die Mitarbeitenden dürften ihre persönliche Meinung frei äussern, solange sie dies erkennbar als Privatperson täten. Ob der Fall Konsequenzen hat, lässt Meyer offen. «Wir werden ein Gespräch mit dem Mitarbeitenden führen, damit dies künftig nicht mehr passiert.» (rei)

Corona-Skeptiker bedrohen Berner Gesundheitsdirektor Schnegg

In Telegram-Chats rufen Corona-Skeptiker auf, ihm «einen Besuch abzustatten».

Der Ton der Corona-Skeptiker wird gehässiger, ihr Vorgehen immer aggressiver. Das bekommt auch die Berner Kantonsregierung zu spüren.

Zuletzt ist sie vermehrt zur Zielscheibe von Menschen geworden, die von den verschärften Corona-Massnahmen nichts halten. Das Feindbild: SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg, der die Entscheide als Gesundheitsdirektor zu verantworten hat.

«Merkt euch sein Gesicht»

«Herr Schnegg hat mehrere Drohungen erhalten», bestätigt Gundekar Giebel, Sprecher der kantonalen Gesundheitsdirektion, auf Anfrage. Ob es sich dabei auch um Morddrohungen gehandelt habe, will Giebel nicht weiter kommentieren. Fakt ist: Die Drohungen seien «verhältnismässig heftig» gewesen. Und offensichtlich kommen sie in einer gewissen Häufung vor. «Es handelt sich nicht nur um Einzelfälle.»

Wie gross unter den Corona-Skeptikern die Wut gegen Gesundheitsdirektor Schnegg sein muss, zeigen auch mehrere Chatverläufe auf Telegram, die dieser Zeitung vorliegen. «Er ist für unzählige Konkurse und die Auslöschung von Existenzen verantwortlich», schreibt eine Userin darin. Unter einem Bild Schneggs steht: «Merkt euch sein Gesicht.»

Informationen zum Wohnort

Auf der unter Verschwörungstheoretikern beliebten Plattform verbreiten Nutzer zudem Schneggs Wohnort. Dazu heisst es: «Wir könnten dem Herrn und seiner netten Frau mal einen Besuch abstatten.» Auch Satellitenfotos werden gepostet.

Im Chat wird ausserdem lebhaft diskutiert, wie der Regierungsrat für seine vermeintlich übertriebenen Massnahmen zur Rechenschaft gezogen werden müsste. Die Forderungen gehen vom Gerichtsprozess bis zum Gefängnis – und noch weiter. Jemand findet: «Bleibt wohl nur der Scheiterhaufen.» Ob der Kanton Bern wegen solcher und ähnlicher Drohungen die Strafbehörden einschaltet, bleibt offen. Die Gesundheitsdirektion will sich dazu nicht äussern. Sie gibt auch keine Auskunft dazu, ob der Regierungsrat derzeit besonderen Schutz benötigt.

Fedpol zeigt sich besorgt

Die Aggressionen gegenüber Pierre Alain Schnegg machen deutlich, wie die Corona-Skeptiker in ihrem Widerstand gegen die Bestimmungen der Behörden zuletzt immer radikaler aufgetreten sind. Bereits vor einigen Wochen hatte der Stadtberner Gemeinderatskandidat und Verschwörungstheoretiker Stefan Theiler die Berner Kantonsärztin auf offener Strasse beschimpft. Im Wallis schickten Unbekannte der Kantonsregierung einen Brief mit weissem Pulver. Und Bundesrat Alain Berset erhielt gar Morddrohungen.

Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) zeigt sich beunruhigt. «Die steigende Gewaltbereitschaft der Corona-Leugner-Szene beschäftigt uns stark», hielt die Sicherheitsbehörde Anfang November im «SonntagsBlick» fest. Die Entwicklung sei «besorgniserregend».

Christoph Albrecht

Hugo Stamm: «Militante Szene»

Der Journalist Hugo Stamm ist Experte für Sekten und kennt sich in der Verschwörerszene aus. In der Schweiz sei diese Szene gross. «Der grösste Teil davon ist nicht bereit, militant zu werden.» Ein kleiner Teil hingegen schrecke wohl nicht davor zurück. Deshalb müsse man diese Szene beobachten und dafür sorgen, dass sie im rechtlichen Rahmen bleibe. Mit dem Coronavirus habe sie das ideale Biotop erhalten, um Leute zu rekrutieren. Für sie sei diese Krise fast ein Geschenk des Himmels. «Damit können sie sich in Szene setzen.» Auf Anfrage befasst sich Stamm kurz mit Tom Kisslig. Zwei Zitate fallen ihm auf. Darin äussert sich der Youtuber zu Medienhäusern und Journalisten und zeigt sich erstaunt, dass keine Gewalt gegen sie ausgeübt wird. «Das zeigt, wie militant diese Szene ist», sagt Stamm. Und wenn Kisslig nach den Adressen von Journalisten oder Virologen frage, dann seien das Drohungen, die man absolut ernst nehmen müsse. «Diese Kreise träumen davon, dass sie irgendwann an die Macht kommen und mit ihren eigenen Gerichten urteilen.» Das mache Angst. Der Aufruf gegen die Schule zeige, «dass sich diese Kreise verantwortlich fühlen, einzugreifen, selbst in Dinge, die sie gar nichts angehen». Mit Heino Fankhauser befasste sich Stamm bereits ausführlich. Ihn nennt er einen «Hardcore-Verschwörer» mit einem radikalen und undifferenzierten Denken. Er verbreite abstruse Ideen. «Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich gegen geheime böse Mächte zur Wehr zu setzen.» Kurz: Fankhauser befinde sich «seit fast zehn Jahren auf einem rechtsradikalen Missionstrip». (rei)