Das Gruselsymbol vom Zürcher HB

Tages-Anzeiger: In der Schweiz ist es legal, mit dem Nazisymbol gegen die Durchsetzungsinitiative zu werben. Bei vielen TA-Lesern kommt das aber schlecht an.

Von

Man nennt es «Schrecksekunde». Das Auge macht ein schockierendes Motiv aus, der Verstand reagiert mit einer gewissen Trägheit. Und dann kommen die Emotionen: Abscheu, Empörung oder auch Unverständnis. So empfanden viele am Montag im Zürcher HB angesichts des weissen Hakenkreuzes auf rotem Grund.

Alle paar Minuten tauchte das Hakenkreuz für zehn Sekunden auf den Bildschirmen auf. Was, wenn jemand es erst in der neunten Sekunde sah? Dann blieb ihm keine Zeit, den Begleittext zu lesen. Was, wenn eine des Deutschen unkundige Touristenfamilie das Hakenkreuz erblickte? Vielleicht wähnte sie, es handle sich um einen speziell dreisten Ausdruck des europäischen Rechtspopulismus.

Es gibt Symbole, die sind besonders mächtig. Einige sind dabei auch mehrdeutig, der Totenschädel etwa. Im Mittelalter war er etwas Natürliches, eine Erinnerung, dass wir alle sterben müssen. Auf Giftmüllfässern wirkt er heutzutage hingegen hysterisch und ist ein Angstmacher: Vorsicht, Lebensgefahr!

Das Hakenkreuz ist unter den überstarken Symbolen das eindeutige. Zwar ist es Tausende Jahre alt und steht in Indien für Glück. Aber sein Gebrauch durch die Nazis hat die Vorgeschichte weggewischt. Heute ist das Hakenkreuz mindestens in der westlichen Welt bloss eines: böse. Fast möchte man magisch argumentieren: Es beschädigt jeden, der es sich greift.

Der Text über und neben dem Zürcher Hakenkreuz stellte klar, dass in diesem Fall Gutmeinende ein rechtes Symbol umdrehen wollten. Ihr Anliegen ist ein Nein zur Durchsetzungsinitiative. Die Schweiz 2016 – falls sie Ja sagen würde – sähe sich wesensverwandt mit Deutschland 1933 (Machtübernahme durch die Nazis) und mit Südafrika 1948 (der eigentliche Beginn der Apartheid).

Das umstrittene Hakenkreuz, das zuvor schon als Tweet des BDP-Politikers Martin Landolt kursierte, ist darum auch ein Schweizer Kreuz mit entstellten Balken. Bloss, wer nahm diese grafische Nuance wahr? Dieses Symbol ist zu dominant für eine Verfeinerung seiner Wirkung. Nicht die Differenzierung setzt sich durch, sondern das plakative Signal.

Politischer Kurzfristschaden

Zuspitzungen in Wort und Bild sind im heutigen Politalltag verbreitet. Die hiesige Rechte hat die Eskalation vorangetrieben mit ihren Plakaten: Minarette wie Marschflugkörper und weisse Schäfchen, die schwarze Schäfchen mit gezieltem Tritt aus dem Land befördern. Ein Teil der Linken kam bald einmal darauf, dass man auf die gleiche Art zurückschlagen könnte: Cédric Wermuth, heute SP-Nationalrat, lancierte als Juso-Chef ein Plakat gegen Schweizer Kriegsmaterialexporte; es zeigte Bundesrätin Doris Leuthard mit bluttriefenden Händen.

Aus dem Vorsatz zur groben Kommunikation ist auch dieses Hakenkreuz geboren. Allerdings setzt das spezielle Zeichen dem Verwender eine Grenze: Man kann mit dem Hakenkreuz im Grunde genommen nicht, wie es offensichtlich die Absicht war, antirechts kommunizieren. Seine Botschaft ist nicht umdrehbar. Zu stark sind der Widerwillen und das Entsetzen, die es generiert. Das Zeichen ist auf ewig fixiert.

Zwei Folgen kann die Hakenkreuz-Episode haben. Die eine ist allenfalls ein politischer Kurzfristschaden, wie er bei Negativkampagnen bisweilen eintritt. Dass die Leute hinter der rechten Initiative derart aggressiv mit Nazis gleichgesetzt werden, könnte auf die Gleichsetzer zurückfallen. Ein Beispiel aus dem Kanton vom letzten Jahr: Gegen die Regierungsratskandidatin Silvia Steiner (CVP) kursierten Flugblätter, die sie als Sterbehilfegegnerin anprangerten. Doch viele Leute empfanden den Angriff als unfair, ja unflätig und solidarisierten sich mit Steiner. Sie wurde gewählt.

Der zweite Schaden ist grundsätzlicher und gravierender: Die Instrumentalisierung des Hakenkreuzes zu kurzfristigen Zwecken beleidigt die Opfer der Nazis. Stellt man das Symbol im Zürcher oder anderen Schweizer HBs neben Fotos von Hakenkreuzfahnen etwa im Warschauer Ghetto 1943, erkennt man: Was in Zürich eben geschah, ist eine Banalisierung und Bagatellisierung der Geschichte.

Das Hakenkreuz war in diesem Fall eigentlich ein Schweizer Kreuz mit entstellten Balken. Bloss, wer merkte es?

Provokation

Widerrechtlich ist das Hakenkreuz nicht

Taucht das Kreuz mit den abgewinkelten Balken in der Öffentlichkeit auf, lässt es niemanden unberührt. Das Hakenkreuz ist Symbol für die Ermordung von Millionen von Menschen. Am Montag flimmerte es in abgewandelter Form über die Werbebildschirme im Zürcher Hauptbahnhof. Eine anonyme Gruppe wirbt damit gegen die Durchsetzungsinitiative. Vor allem auf den beiden 15 Quadratmeter grossen Hauptbildschirmen in der Halle entwickelte das Hakenkreuz eine verstörende Wirkung. Bei den SBB sind bis gestern Nachmittag rund 30 Beschwerden eingegangen, wie Sprecherin Michelle Rothen sagt.

Hunderte von TA-Lesern äussern sich in Onlinekommentaren meist negativ über die Kampagne. «Die Werbung ist auf dem gleich tiefen Niveau wie die ewigen Schwarze-Schafe- und Messerschlitzer-Plakate der SVP», steht in einem Kommentar. So weit habe es die ewige Hetze der SVP gebracht, dass sich sogar die Gegner zu solchen Aktionen verleiten liessen. Eine Onlineleserin fragt sich, welchen Eindruck dies bei Touristen hinterlasse. Yves Kugelmann, Chefredaktor des jüdischen Wochenmagazins «Tachles», bezeichnet das Hakenkreuzsujet als «Schwachsinn, um Aufmerksamkeit zu erregen». Offenbar würden den Initianten Argumente gegen die Initiative fehlen, obwohl es davon viele gebe. Von einem Hakenkreuzverbot hält Kugelmann jedoch nichts. Die Schweiz habe eine starke Demokratie, und in einem gesellschaftlichen Diskurs gebe es auch mal Grenzüberschreitungen.

In Deutschland verboten

Fakt ist, dass das Hakenkreuzsujet in Verbindung mit einer politischen Aussage nicht gegen geltendes Recht verstösst. Die Rassismusstrafnorm Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches hält fest, dass das Verbreiten rassistischer Symbole nur verboten ist, wenn damit für die entsprechende Ideologie geworben wird. Auch rechtsextreme Grussformen wie der Hitlergruss werden aus den gleichen Gründen grundsätzlich nicht bestraft.

In Deutschland ist das anders, strikter. Dort werden keine Nazisymbole toleriert. Die Darstellung einer Swastika, wie das Hakenkreuz auch genannt wird, ist in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten seit 1945 verboten – auch in abgewandelter Form.

Das Hakenkreuzsujet war gestern nicht mehr im Bahnhof Zürich zu sehen. Gemäss der Firma APG, die im Auftrag der SBB die Werbeflächen betreibt, ist die Kampagne nicht gestoppt. Sie fand gestern in Genf ihre Fortsetzung. Eine SBB-Sprecherin sagte, man sei verpflichtet, auch politische Werbung auf den Reklameflächen zu schalten.

Die SBB überarbeiten ihre Werberegeln aufgrund eines Bundesgerichtsurteils von 2012. Drei Jahre zuvor entfernten die SBB im HB ein Plakat, das sich gegen die Siedlungspolitik Israels richtete. Die Bundesrichter waren zum Schluss gekommen, dass die SBB die Meinungsfreiheit verletzt hätten. Das im SBB-Reglement enthaltene absolute Verbot von Werbung und Botschaften zu aussenpolitisch heiklen Themen schiesse über das Ziel hinaus.

Der Werber Parvez Sheik Fareed hat das Hakenkreuzplakat entworfen und zuerst auf Facebook gepostet. BDP-Parteipräsident Martin Landolt verbreitete es über Twitter. Zur Frage, ob eine solche Provokation nicht zu weit gehe, sagte Fareed zu Persoenlich.com: «Nichtgefallen ist der Preis der klaren Kommunikation. Wäre die Botschaft inhaltlich nicht faktisch belegbar, hätte ich das Plakat nicht so gemacht. Provokation nur um der Provokation willen wäre dumm.»

Video Das sagen Passanten zum Plakat kreuz.tagesanzeiger.ch