Berner sagen im Neonazi-Prozess aus

Der Bund: Zwei Berner Kantonspolizisten sagen heute und morgen am Münchner NSU-Prozess aus: Bei der spektakulären Mordserie wurden neun Menschen getötet. Die Spur der Waffe führt nach Bern.

Es war die Seriennummer 034 678 der Pistole, welche die Ermittler der Berner Kantonspolizei zu Anton G. führte. Auf seinen Namen war der Waffenschein der Ceska 83, einer für das Militär der Tschechoslowakei entwickelten Pistole, ausgestellt worden. Am 20. Januar 2012 schlugen die Polizisten zu und verhafteten den IV-Rentner zu Hause in einer Gemeinde im Berner Oberland.

Zwei Monate zuvor waren nach einem Banküberfall in der Nähe von Thüringen die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in einem Wohnmobil aufgefunden worden. Sie hatten sich, umstellt von Polizisten, das Leben genommen. Am selben Tag zündete deren Gefährtin, Beate Zschäpe, die gemeinsame Wohnung im sächsischen Zwickau an. Im Schutt der Ruine lag die Pistole, Modell 83, Kaliber 7,65, mit aufgesetztem Schalldämpfer. Mit dieser hatten die Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zwischen 2000 und 2006 neun der zehn Opfer erschossen. Acht Kleinunternehmer – Blumen- und Gemüsehändler, Kebab-Budenbetreiber und Schneider – türkischer und griechischer Herkunft sowie eine 22-jährige Polizistin streckten sie meist mit mehreren Kopfschüssen nieder.

Polizisten hatten Zeugen befragt

Vor eineinhalb Jahren begann der Prozess gegen Zschäpe, einzige Überlebende des NSU. Am 138. Prozesstag der grössten Mordserie der deutschen Nachkriegszeit sagen heute und morgen zwei Kantonspolizisten vor dem Oberlandesgericht München als Zeugen aus. Sie hatten die zwei Schweizer Zeugen Anton G. und Hans M. in den Jahren 2007 bis 2009 und 2012 vernommen.

Worauf die Befragung der beiden Berner hinausläuft, möchte Andrea Titz, Leiterin der Justizpressestelle beim Münchner Gericht, nicht sagen. Die beiden Kantonspolizisten gehören aber kaum zu den zentralen Zeugen im NSU-Prozess. «Die Einvernahme der beiden Kantonspolizisten ist letztlich dem Unmittelbarkeitsgrundsatz geschuldet. Nach deutschem Prozessrecht zählen nur unmittelbare Beweise, Zeugen sollen nicht aus Akten zitiert werden, sondern erneut direkt befragt werden», sagt Titz.

Die Schweizer Zeugen G. und M. hätten im Oktober letzten Jahres in München aussagen sollen. Doch sie erschienen nicht vor Gericht. Sie hatten die Weitergabe der Waffe stets bestritten.

Solothurn – Bern – Jena

Dass die Neonazis über ein Jahrzehnt lang mitten in Deutschland mordeten, ehe sie aufflogen, ist auch die Schuld der Ermittler, die falsche Spuren verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt hatten. Bereits 2004, als die Hälfte der Morde begangen waren, hatte eine erste Spur des Bundeskriminalamts zur Waffenhandlung Schläfli und Zbinden in Bern geführt. Diese verlor sich vorerst. Erst später konnte die Spur der Ceska 83 nachverfolgt werden. Die Waffe war Mitte der 1990er Jahre für 1250 Franken von einem Solothurner Generalimporteur angeboten worden. Das Berner Waffengeschäft verkaufte die Pistole 1996 an Anton G., der sie wiederum einem Töffkollegen, Hans M., übergab. Dieser hatte nach der Wende einige Jahre in Ostdeutschland gelebt. Mithilfe zweier Waffenlieferanten soll die Ceska vom Thunersee nach Jena gelangt sein, wo sie 1999 oder Anfang 2000 über den Ladentisch der Neonazi-Boutique Madley ging – und damit in die Hände von Carsten S. geriet. Dieser kaufte die Pistole im Auftrag von Ralf Wohlleben, Funktionär der rechtsextremen Partei NPD, und gab sie in Chemnitz weiter: an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Weil G. und M. in München nicht vor Gericht erschienen, wurden sie von einem Schweizer Staatsanwalt in Thun vernommen. Mehrere deutsche Beamte nahmen an der Befragung teil. Laut Titz werden diese zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls vernommen.

Laut einem Insider werden die Aussagen der Berner Polizisten dahingehend von Wichtigkeit sein, als sie von der Verteidigung des Angeklagten Wohlleben in Zweifel gezogen werden. Der Verteidiger hatte im Mai die Aufhebung des Haftbefehls beantragt mit der Begründung, es sei nicht erwiesen, dass die von Carsten S. an den NSU weitergegebene Waffe tatsächlich die Tatwaffe sei. Zudem habe Carsten S. die weitergegebene Waffe nicht als Tatwaffe identifiziert.

Das Verfahren gegen G. und M. wegen Gehilfenschaft zum Mord und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung wurde später eingestellt. Es konnte kein direkter Kontakt der Schweizer zum NSU-Trio nachgewiesen werden.