Beizen im Bunker

Die Wochenzeitung

WINTERTHUR · Immer wieder wird die Genossenschaftsbeiz Widder Zielscheibe von prügelnden Neonazis – und wie zum Trotz floriert das Restaurant.

Von Sina Bühler

Am Mittwochnachmittag ist es ruhig in der Beiz. Die wenigen, die die schwere Holztür aufstemmen, steuern zielstrebig einen bestimmten Tisch an – als ob im Restaurant Widder alle Gäste ihren Stammplatz hätten. Laut B., einem der Köche des Genossenschaftsrestaurants, ist der «Widder» ein Treffpunkt für fast alle in Winterthur. «Ob Rockerin oder Gemeinderat der Alternativen Liste, ob Alt oder Jung, irgendwie passt hier jeder hinein», sagt er. Ganz jedeR dann doch nicht: Ein Teil der Neonaziszene richtet seit einigen Jahren seine Ag- gressionen gegen das Lokal und dessen Gäste.

So ist der «Widder» vor zehn Tagen zum wiederholten Mal zur Zielscheibe einer Horde betrunkener Rechtsextremer geworden. Am Sonntag, 8. Januar, um zwei Uhr früh wird in der Innenstadt ein Schwarzer von Rechtsextremen angegriffen und verletzt. Fast gleichzeitig ist auch der «Widder» dran: Über ein Dutzend Neonazis, bewaffnet mit Baseballschlägern, stemmen einen Menuständer als Brecheisen in die massive Holztüre der Beiz. Die Gäste und Angestellten reagieren sofort, rennen zur Türe, schliessen sie ab und rufen umgehend die Polizei. Wenige Minuten später kommt eine junge Frau um die Ecke und will ins Restaurant. Sie wird von den betrunkenen Nazis zusammengeschlagen und getreten. Die Türe zum «Widder» geht noch einmal auf, und die Frau kann ins Restaurant fliehen. 28 Personen – 24 Rechtsextreme und vier Linke, die sich wehrten – sind an jenem Abend festgenommen worden. Laut Polizeimeldung kamen viele von ihnen nicht aus Winterthur, sondern aus Zürich, den Kantonen Aargau und St. Gallen sowie aus Österreich.

Immer unverfrorener

«Es hat in Winti nicht mehr Rechte als anderswo. Eher im Gegenteil: Viele sind links, und das lockt die Idioten wahrscheinlich an», sagt B. Die Angriffe sind in seinen Augen viel mehr ein Zeichen dafür, dass die Neonazis immer unverfrorener würden. Und auch dafür, dass die Gesellschaft das immer mehr toleriere – oder das Problem verkennt: Die Presse bringt nach Szenen wie an jenem Wochenende gerne Schlagzeilen unter dem Motto «Schlägerei zwischen links- und rechtsextremen Gruppierungen», anstatt von einem klaren Angriff auf den «Widder» zu schreiben.

Den «Widder» gibt es seit 25 Jahren – und er läuft so gut wie kaum eine Genossenschaftsbeiz; vielleicht auch, weil Winterthur eine Stadt mit grosser Genossenschaftstradition ist. Am Mittag wird Menü um Menü ausgegeben, «an viele Büezer», sagt B. Am Abend sei die Beiz ohnehin voll. Die Stadt hat eine grosse Ausdehnung, aber eine konzentrierte Innenstadt. Und dort ist der «Widder» einzigartig. Der Koch kann sich noch gut daran erinnern, wie er selbst, dreizehn- oder vierzehnjährig, zum ersten Mal in die Beiz kam – fast ehrfürchtig, war der «Widder» doch so was wie ein Mythos.

Ein- bis zweimal im Jahr wird der Mythos aber zum Ziel der Angriffe von Rechten. Die am vorletzten Wochenende eingetretene Türe ist unterdessen geleimt worden. Das Panzerglas in den grossen Fenstern, das nach einem Überfall vor ein paar Jahren eingesetzt wurde, hat bisher gehalten – aber die Fensterrahmen sind immer noch gespalten.

Zwei Tage lang musste der «Widder» nach dem jüngsten Überfall geschlossen bleiben. Einigen der Gäste und der Angestellten sei der Vorfall schon «extrem eingefahren», erzählt B. Was tun die «Widder»-Leute dagegen? Gerichtlich gegen die Angreifer vorgehen natürlich und Schadenersatz verlangen. Und hin und wieder werde nach einem Angriff, einer Prügelei oder nach Sachbeschädigungen vor dem Restaurant eine Demo organisiert – auch jetzt ist eine angekündigt worden. «Aber wichtig ist, dass es uns überhaupt gibt», sagt B., «und dass wir bleiben.» ·