«Antifa»-Kampagne gegen die «Junge Tat»: Weshalb der Schweizer Nachrichtendienst mehr offene Konflikte zwischen Neonazis und Linksradikalen erwartet

Neue Zürcher Zeitung. Vermehrt attackieren sich extremistische Aktivisten in aller Öffentlichkeit. Zwar sind linksradikale Kreise laut einem neuen Bericht des Nachrichtendienstes aktiver, doch vor allem bei den Rechtsextremen ist eine ungewohnte Dynamik zu beobachten.

Diesen Monat traf es eine junge Gymnasiastin aus der Nordwestschweiz. «Nazi sein heisst Probleme kriegen», schrieb ein anonymer Autor warnend auf einer linksradikalen Website und publizierte Geburtsdatum, Adresse und Telefonnummer der Frau. Die 20-Jährige wird in dem «Antifa»-Beitrag offen als Nazi angeprangert, die mit der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat» auf Wanderungen gehe und mit dieser in den sozialen Netzwerken verknüpft sei. Auch Bilder der Schülerin wurden veröffentlicht.

Zeitgleich mit dem unfreiwilligen Outing im Internet schlugen die linksextremen Aktivisten in der realen Welt zu: Ein Gebäude, in dem die Maturfeier der Gymnasiastin stattfand, wurde versprayt, auch dort mit vollem Namen der Frau. Die betreffende Gemeinde hat wegen des Graffitos Anzeige gegen Unbekannt erstattet, wie die «Basler Zeitung» berichtete. Doch die Chancen auf einen Fahndungserfolg sind minim. Welche Köpfe sich hinter der Aktion verbergen, ist unbekannt.

Offene Angriffe aus der Anonymität

Die «Antifa»-Bewegung handelt anonym, auch auf den Websites finden sich keine konkreten Hinweise. Das Vorgehen der linksextremen Aktivisten folgt schon seit Monaten einem festen Muster: In regelmässigen Abständen werden Mitglieder und Sympathisanten der «Jungen Tat» geoutet, stets mit persönlichen Angaben wie Adresse und Telefonnummer. Offensiv wird die Kampagne auf diversen Kanälen vermarktet. Gegen die eindeutig rechtswidrigen Veröffentlichungen können sich die Betroffenen kaum zur Wehr setzen.

Die «Antifa»-Kampagne gegen die «Junge Tat» fügt sich in eine Entwicklung ein, die sich laut Nachrichtendienst des Bundes (NDB) sogar noch verstärken könnte – einen Anstieg offener Konflikte zwischen extremistischen Akteuren. Es sei mit einer Zunahme von Gewalttaten vor allem im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen gewalttätigen Rechts- und Linksextremistinnen und -extremisten zu rechnen, schreibt der NDB in seinem neuen Lagebericht «Sicherheit Schweiz 2022». Diese Woche wurde das Papier veröffentlicht.

Während die Linksextreme ihren antifaschistischen Kampf seit Jahren aggressiv führt, konstatiert der NDB vor allem bei den Rechtsextremen eine neue Dynamik: «Es ist wahrscheinlich, dass der Wille zur Auseinandersetzung bei den gewalttätigen Rechtsextremistinnen und -extremisten seit 2020 stärker geworden ist», stellt der Nachrichtendienst fest. Seit einiger Zeit beobachtet er Veränderungen in der rechtsextremen Szene, die über das Normalmass hinausgehen. Die von der «Antifa» ins Visier genommene «Junge Tat» beispielsweise gehört zu den Gruppierungen der neuen Rechten, die die alten Nazi-Parteien wie die mittlerweile untergegangene Pnos ablösen.

Eine neue Kraft unter den Rechtsextremen

Die «Junge Tat» gibt sich modern, vermeidet allzu direkte Bezüge zu den Nationalsozialisten, verfolgt aber eine nicht minder rassistische und demokratiefeindliche Ideologie. Sie versucht über die sozialen Netzwerke zu mobilisieren und mit kleinen und spontanen Aktionen Aufmerksamkeit zu erregen. Über Telegram, Instagram und andere Kanäle verbreitet sie Fremdenhass und rassistische Botschaften. Die Mittelbeschaffung erfolgt zeitgemäss in Kryptowährung. Mehrfach ist es in letzter Zeit auch zu Auseinandersetzungen oder Beinahe-Zusammenstössen zwischen Linksradikalen und Neonazis gekommen.

Im Februar kam es in Zürich zu Ausschreitungen, als linksextreme Gruppen zu einer unbewilligten Demo gegen Rechtsextreme aufriefen. Die früher eher diskrete Szene der Rechten scheut sich nicht, die Konfrontation in der Öffentlichkeit zu suchen. Erst vor zwei Wochen kam es bei einem Gottesdienst im Rahmen der Zurich Pride zu einer homophoben Störaktion, hinter der Mitglieder der «Jungen Tat» vermutet werden. Im vergangenen Herbst konnte die Baselbieter Polizei einen gewaltsamen Zusammenstoss zwischen Linksradikalen und Neonazis nur knapp verhindern. Schon damals waren die «Antifa»-Bewegung und die «Junge Tat» involviert.

Zwar registrierte der Nachrichtendienst im vergangenen Jahr deutlich mehr links- als rechtsextremistisch motivierte Ereignisse. Bei den Linksextremen zählte er 202 Vorkommnisse, während es bei den Rechtsextremen 38 waren. Der antifaschistische Kampf richte sich gegen alles, was die linksextreme Szene «als rechtsextremistisch wahrnehme», heisst es im NDB-Lagebericht. Zu den links- und rechtsextremen Aktionen kamen im letzten Jahr 35 Ereignisse aus dem Bereich des sogenannten Corona-Extremismus. Der NDB erfasst diese Kategorie erstmals und kann sie keiner politischen Strömung eindeutig zuordnen.

Bei den Rechten sinkt die Angst vor dem Pranger

Auffällig aber ist: Die Ereignisse aus dem Bereich des Rechtsextremismus haben 2021 gegenüber dem Vorjahr deutlich zugenommen. Ob dies mit der Neuorientierung der rechtsextremen Szene und dem Aufkommen von Organisationen wie der «Jungen Tat» zusammenhängt, lässt der NDB-Bericht offen. Schon vor einem Jahr beobachtete der NDB allerdings, «dass die neuen Gruppierungen eine ungewöhnlich provokante Strategie öffentlicher Kommunikation» verfolgten.

Zu den Pranger-Aktionen wie jene der «Antifa»-Bewegung gegen die Mitglieder der «Jungen Tat» äussert sich der Nachrichtendienst in seinem jüngsten Bericht indirekt. Das erklärte Ziel solcher Offenlegungen ist es, Betroffene blosszustellen und in die Enge zu treiben. Glaubt man dem NDB, passiert das Gegenteil, der Abschreckungseffekt nützt sich ab: Die Befürchtung, bei einem Outing als gewalttätige Rechtsextremistin oder gewalttätiger Rechtsextremist mit persönlichen Konsequenzen wie Arbeitsplatzverlust rechnen zu müssen, «ist bei diversen Exponentinnen und Exponenten gesunken», schreibt der NDB und sieht gar eine kontraproduktive Wirkung: «Dies dürfte die Motivation erhöhen, öffentliche Aktionen durchzuführen und damit auch neue Mitglieder anzuziehen.»