Anastasia-Bewegung: Bildungskritiker oder esoterische Sektierer? Bauernfamilie macht sich für umstrittene Lernmethode stark

bz basel.

Wie sich eine Bauernfamilie aus Grosswangen für die Lais-Methode starkmacht – und sich in eine unrühmliche Ecke gedrängt sieht.

Anastasia fasziniert und zieht mit ihrer Botschaft auch hierzulande immer mehr Leute in ihren Bann. Die Rede ist von einer sektenähnlichen Bewegung, die ihren Ursprung in Russland hat (siehe Kasten am Ende des Textes) – und verschiedenen Medienberichten zufolge auch im Kanton Luzern Wurzeln geschlagen hat: am Rande Grosswangens, in einem modernen Bauernhaus. Hier ist das Lais-Institut Schweiz beheimatet, das sich laut WOZ für das erfolgreichste «Marketing-Projekt der Anastasia-Bewegung» einsetzt: für Lais.

Lais?! Lais respektive Laising soll aus dem Gotischen stammen und soviel wie «ich weiss» oder «ich habe nachgespürt» bedeuten. Über das Konzept hinter dem Begriff, darüber gehen die Meinungen aber weit auseinander.

Bildungsrevolution oder Sekten-Esoterik?

Für Verfechter ist Laising die Verheissung im Bildungsbereich schlechthin; eine Methode, die das Lernen lehrt – «ganz natürlich», die «Raum gibt, zum Nachforschen und Nachspüren». Ein Lern-Pfad, auf dem Wunderliches winkt: «Nein es ist kein Zauber in 1 Jahr Matura zu machen», verkündet ein Blogeintrag eines Lais-Enthusiasten – in fehlerhaftem Deutsch. Aber da geht noch mehr:

«Die gesamte Mathematik in 10 Tagen, die gesamte Biologie in 5 Tagen – alles möglich.»

Das ganze Wissen, es sei bereits im Kind vorhanden, müsse nur freigelegt werden, argumentieren Lais-Befürworter.

Für die Fachstelle für Sektenfragen Infosekta in Zürich ist hingegen klar: Laising ist nichts anderes als die «pädagogische Umsetzung der Anastasia-Lehre» – ohne dass dies allerdings deklariert würde. Zudem habe das Bildungskonzept einen offenkundig «esoterischen Hintergrund». Es fehlten fassbare Fakten, Konzepte und Theorien. Die Lais-Seiten im Internet liessen Leser «ziemlich ratlos zurück», so das Urteil des entsprechenden Berichts, der im Internet aufgeschaltet ist.

Stimmt alles gar nicht, sagt Pjotr Müller*. Jener Biobauer aus Grosswangen, der zusammen mit seiner Frau das Lais-Institut Schweiz ins Leben gerufen hat – und nach einigen kritischen Berichten gar nicht gut zu sprechen ist auf «die Medien». Man sei nicht rechtsradikal, habe weder mit der Anastasia-Bewegung, noch mit Esoterik etwas am Hut, erklärt Müller barfüssig im Hauseingang, spricht von frei erfundenen Verbindungen, von Behauptungen, zu denen man nie persönlich habe Stellung nehmen können. Für ihre Bewegung aber habe all dies handfeste Konsequenzen gehabt.

Negative Berichte setzten der Bewegung zu

Viele Interessenten hätten sich wegen der negativen Presse abgewandt, übrig geblieben sei bloss eine Handvoll Überzeugter. Nichts geworden ist auch aus der Idee der ersten Schweizer Lais-Privatschule in Grosswangen. Allerdings auch, weil die Behörden schon in Vorgesprächen die Lais-Bewegten auf die geringen Bewilligungschancen hingewiesen hatten.

An Bedeutung habe Laising deswegen aber nichts eingebüsst, davon ist Müller überzeugt – und wirbt nach wie vor im Internet dafür. Ja, aber was denn dieses Laising genau sei? Müllers anfängliches Stocken sowie die darauffolgenden gestenreich unterstrichenen Wortschwalle verdeutlichen: sehr viel. Viel mehr als bloss eine Lernmethode, eher eine Lebenseinstellung sei Lais. Und vor allem auch etwas Wandelbares, für Aussenstehende kaum Greifbares. Lais sei nicht dogmatisch, könne für jeden etwas anderes sein. Lais müsse man erleben.

Oft krault Müller bei seinen Ausführungen im Mainstream der Bildungskritik. Etwa, wenn er dem bestehenden Schulsystem vorwirft, dass es sich zu wenig an den Bedürfnissen der Kinder orientiere. Dass sich Lernen nicht in rigide Stundenpläne einfassen lasse. Dass oftmals gepaukt wird ohne konkrete Anknüpfungspunkte. Es sind Argumente, die etwa auch schon ein Richard David Precht, Posterboy der zeitgenössischen deutschen Philosophie, hervorgebracht hat.

Quantenphysik und reibende Additionen

Während des rund halbstündigen Gesprächs im Hauseingang irritiert Müller dann und wann aber gehörig. Etwa, wenn er in einem Atemzug die Quantenphysik und das Max-Planck-Institut erwähnt – sowie sein Verständnis für jenen russischen Jungen äussert, der bei der Addition von eins und eins auf weniger als zwei kommt, «wegen der Reibung». Das könne doch durchaus sein, nicht? Oder, wenn er sich zwar gegen Sekten wie die Zeugen Jehovas ausspricht, nicht aber explizit gegen die Anastasia-Bewegung. Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt das alles auch, weil Müller mit einer Ausnahme seine Kinder zu Hause auf dem Hof unterrichtet, nach Lais.

Ändern wird sich daran vorerst nichts. Denn Biobauer Müller und seine Frau dürfen ihre Kinder auch weiterhin zu Hause unterrichten, sofern der Luzerner Lehrplan sowie die übrigen Auflagen für Homeschooling eingehalten würden. Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern:

«Für das Unterrichten besteht grundsätzlich Methodenfreiheit.»

Erst wenn das Kindswohl gefährdet sei, könne die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) eingeschaltet werden.

Und dies scheint in Grosswangen nicht der Fall zu sein: Müllers zahlreicher Nachwuchs ist neugierig, tollt ausgelassen um den unerwarteten Besuch – und schert sich wohl weder um Lais noch um Anastasia.

*Name geändert

KASTEN:

«Weisheiten» aus der russischen Taiga

Schön, blond und weise ist sie – und verfügt erst noch über spirituelle und übersinnliche Kräfte: Anastasia. Eine sagenhafte Frauengestalt, die in der sibirischen Taiga lebt und deren angebliche Wundertaten der Russe Wladimir Megre zwischen 1996 und 2010 in der zehnbändigen Buchreihe «die klingenden Zedern Russlands» aufgezeichnet hat. Jene Buchreihe, die sich laut Autor über 10 Millionen Mal verkauft hat – und so etwas wie die Bibel der Anastasia-Bewegung bildet, einer sektenähnlichen Organisation.

Mehr «Bewegte» und viel Kritik

Auch hierzulande fällt Anastasias Botschaft auf fruchtbaren Boden. «Die Bewegung ist in der Schweiz zurzeit klar wachsend», weiss Georg Otto Schmid, Sektenexperte von Relinfo. Die Chance, dass auch im Kanton Luzern die Zahl der Anastasia-Fans ansteigte, schätzt er als «sehr hoch» ein.

Dabei finden Kritiker in Megres Anastasia-Vita auch weniger Leichtverdauliches wie Antisemitismus, Rassismus, (russischen) Nationalismus sowie ein konservatives Geschlechterbild. Laut Schmid distanziert sich der Grossteil der Schweizer «Anastasia-Bewegten» allerdings davon. Schmid spricht von einem «selektiven Umgang»: Man greife aus der Anastasia-Welt auf, was einem zusage und lasse andere Aspekte beiseite. (zar)