Neonazikonzert wird nicht untersucht

St. Galler Tagblatt: Rechtsextremismus · Nach dem bislang grössten Neonazikonzert Europas im Toggenburg hat die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus Strafanzeige eingereicht. Nun lässt die St.Galler Staatsanwaltschaft die Anzeige «mangels Anhaltspunkten» fallen.

«In der Anzeige und den eingereichten Akten sowie in den von der Kantonspolizei St.Gallen eingereichten Wahrnehmungsberichten finden sich keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der unbekannten Täter», schreibt die St.Galler Staatsanwaltschaft in einer Medienmitteilung am Freitag. Auch aus dem in den Medien kursierenden Bildmaterial ergebe sich kein «hinreichender Tatverdacht», welcher gegen die Rassismus-Strafnorm verstossen würde. «Sowohl die Wahrnehmungsberichte der Polizisten als auch die Bilder und Videos aus den Medien reichen schlicht nicht aus, um eine Untersuchung einzuleiten», sagt Roman Dobler, Mediensprecher der Staatsanwaltschaft St.Gallen, auf Anfrage.

Hitlergruss unter Neonazis ist kein Verbrechen

Die Staatsanwaltschaft hält weiter fest, dass der «teilweise auf diesen Bildern zu sehende Hitlergruss beziehungsweise die zu hörenden Sieg-Heil-Rufe nicht unter die Strafnorm fallen». Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung fehle bei der Verwendung des Grusses unter Gesinnungsgenossen das für eine Straftat nötige Erfordernis der werbenden Beeinflussung und damit des «Verbreitens». «Wenn der Hitlergruss zu Propagandazwecken verwendet wird, dann ist er strafbar», sagte der St.Galler Sicherheitschef Fredy Fässler (SP) vor zwei Tagen gegenüber dem Zweiten Deutschen Fernsehen. «Wenn der Gruss aber zum Ausdruck einer persönlichen Haltung gemacht wird, und eben nicht zu Propagandazwecken, dann ist er straffrei.» Dies möge diskutabel sein. «Aber so ist halt einfach unsere aktuelle Rechtsgrundlage», so Fässler. Das beziehe sich nicht nur auf den Hitlergruss. Auch Hakenkreuze und sonstige rechtsradikale Insignien sind in der Schweiz nicht verboten.

Mitte Oktober hatten Rechtsextreme zu einem Konzert für rechtsgerichtete Sympathisanten in Unterwasser geladen. Über 5000 Personen waren der Einladung gefolgt und hatten das toggenburgische 1000-Seelen-Dorf in Beschlag genommen. Offenbar wussten weder die Gemeindebehörden und der Vermieter der Tennishalle, noch die Kantonspolizei oder der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) etwas vom Vorhaben. Hinweise für ein Konzert im Raum Bodensee hatte es zwar gegeben, jedoch wurde vermutet, dass es in Süddeutschland oder im Raum Zürich stattfinden werde. Als das Konzert dann in Gang war, konnte die St.Galler Kantonspolizei nicht mehr gegen die Übermacht einschreiten. Sie beliess es bei der Verkehrsregelung und der Beobachtung des Vorplatzes. Die Abfallbeseitigung hatten die Konzertveranstalter bereits selbständig organisiert.

«Eine traurige Entscheidung»

Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) erstattete nach der Veranstaltung Anzeige wegen des Verdachts der Rassendiskriminierung gegen unbekannt. Die Stiftung zeigte sich gestern enttäuscht über den Entscheid der Staatsanwaltschaft: «Die St.Galler Behörden haben es verpasst, frühzeitig Beweise zu sammeln und zu sichern», sagt Dominic Pugatsch, Geschäftsführer der GRA. Das zeige die Entscheidung, keine Strafuntersuchung einzuleiten, nochmals deutlich. «Schliesslich ist es einfach traurig, dass ein Konzert von 5000 Neonazis kein juristisches Nachspiel hat.» Denn das Material, das nach dem Konzert in den sozialen Netzwerken auftauchte, zeige eindeutig das sogenannte «Abhitlern» der Menge. Ob weitere Mittel ergriffen würden, müsse nun geprüft werden.

SP und CVP enttäuscht über den Entscheid

Die kantonale SP zeigt sich in einer Medienmitteilung empört über den Entscheid der Staatsanwaltschaft. «Nun ist eingetroffen, was wir befürchtet haben», schreibt SP-Präsident Max Lemmen- meier. Die Sozialdemokraten verstehen zwar, dass die Polizei nicht in der Lage war, «offensichtliche Verstösse» gegen die Rassismus-Strafnorm vor Ort zu dokumentieren. Zudem sei eine Verwanzung der Tennishalle aufgrund der Überrumpelungstaktik der rechtsextremen Veranstalter nicht möglich gewesen. Allerdings hätte das Material wohl ohnehin keine Konsequenzen gehabt, da Hitlergruss und Hakenkreuz in der Schweiz nicht per se verboten seien. SP-Nationalrätin Barbara Gysi hat nun einen Vorstoss im Nationalrat angekündigt, der die Verschärfung der Rassismusstrafnorm zum Ziel hat.

Die St.Galler CVP/GLP-Fraktion nimmt laut einem Communiqué «mit leiser Enttäuschung» zur Kenntnis, dass bei den Behörden offenbar kein grosses Interesse an einer Aufklärung der Ereignisse bestehe. Die Fraktion hatte im November eine Interpellation im Kantonsrat eingebracht, in der die Kantonsregierung unter anderem aufgefordert wird, «dass Nachrichten über geplante Anlässe extremistischer Kreise schnell erfasst und rechtzeitig an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden».

Eine Einladung an den braunen Mob

Die St.Galler Staatsanwaltschaft eröffnet keine Strafuntersuchung im Nachgang zum Neonazi-Konzert in Unterwasser. Zu dünn war offenbar die Beweislage, und zu wenig verwertbares Beweismaterial war anscheinend vorhanden, als dass man wegen Verstosses gegen die Rassismusstrafnorm hätte vorgehen können. Nicht einmal das Video, welches die rund 5000 Neonazis beim Hitlergruss und Sieg-Heil-Rufen zeigt, hat demnach für eine Untersuchung ausgereicht.

Das grösste Neonazi-Konzert in Europa hat also vorderhand keine Konsequenzen. Nicht für die Veranstalter, welche die Behörden genarrt hatten und der Gemeinde Wildhaus-Alt St.Johann europaweit negative Schlagzeilen bescherten. Nicht für die Bands, welche ihre menschenverachtenden Parolen ins Mikrofon schrien. Nicht für die Besucher, welche das Dritte Reich verherrlichten. Nicht für die Polizei, welche das Geschehen und mögliche Rechtsverstösse in der Halle ungenügend bis kaum dokumentiert hatte. Und nicht für die Schweizer Rechtsprechung.

Eine Strafuntersuchung und ein allfälliger Prozess vor Gericht hätten ein wichtiges Exempel statuieren können: Ein deutliches Signal an Neonazis in ganz Europa, ihre Treffen trotz der laxen Gesetzeslage nicht in der Schweiz durchzuführen. Mit dem negativen Entscheid der St.Galler Staatsanwaltschaft jedoch zementiert die Schweiz ihren Ruf vom Neonazi-Paradies. Mehr noch: Er ist geradezu eine Einladung an den braunen Mob.