Die Schweiz wäscht weisser

work: Der Name Bührle steht nicht nur für Kanonen und Nazigeschäfte. Er steht auch für Raubkunst. Und für einen unbewältigten Teil derSchweizer Vergangenheit.

Es ist das Buch zur Stunde. Im «Schwarzbuch Bührle» zeigen Historiker und Kunstfachleute, wie die Schweiz mit der Raubkunst aus der Nazizeit umgeht. Die Erweiterung des Kunsthauses Zürich mit der Bührle-Sammlung bringt diese Frage aufs Tapet (siehe Box). Im Zentrum der Diskussionen steht Waffenfabrikant Emil G. Bührle. Der Besitzer der ehemaligen Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon verkaufte während des Zweiten Weltkriegs seinen Exportschlager, die 20-mm-Flabkanone, massenhaft. Zuerst an die Alliierten. Dann an die Nazis. Und zwar mitten im Krieg und mit dem Segen des Bundesrats. Der Geschichtsprofessor und «Schwarzbuch»-Autor Hans Ulrich Jost erklärt: «Bührle war ein gutes Pferd im Stall der Schweiz.» Nazifreundliche Bundesräte wie Marcel Pilet-Golaz wollten sich mit Hitler gutstellen, als dieser 1940 halb Europa eroberte. Da kam ihnen der aus Deutschland eingewanderte Industrielle Bührle wie gerufen.

Drehscheibe Schweiz

Nach dem Krieg distanzierte sich der Bundesrat plötzlich vom skrupellosen Unternehmer. Bührle war der böse Bube, und der Bundesrat wusch seine Hände in Unschuld. Obwohl er dessen Exporte nach Nazideutschland unterstützt hatte. Bührle war nach 1945 in Prozesse verwickelt, weil er Raubkunst gekauft hatte: Werke aus jüdischem Besitz, die die Nazis enteignet hatten. Die Schweiz war während der Kriegsjahre zur Drehscheibe für Nazi-Raubkunst geworden. Und Bührle, aber auch andere Sammler konnten sich mit Meisterwerken eindecken. In seiner Villa hingen Van Goghs, Monets und Renoirs. Als die rechtmässigen Besitzer die Gemälde zurückhaben wollten, mussten sie sich die Rückgabe vor Gericht erstreiten. Gegen Mäzen Bührle und seine Anwälte.

Der reichste Mann

Nach den nachrichtenlosen Vermögen, dem Nazi-Raubgold und der antisemitischen Flüchtlingspolitik rückt jetzt ein weiteres dunkles Kapitel ins Rampenlicht der Schweizer Öffentlichkeit: Raubkunst und Fluchtgut von Naziopfern. Unter Fluchtgut verstehen Historikerinnen und Historiker alle Vermögenswerte, die vor der Nazi-Terrorherrschaft ins Ausland verbracht wurden, vorzugsweise in die Schweiz. Bührle steht symbolisch für die Profiteure dieser Situation. Der Kanonenhersteller war einst der reichste Mann der Schweiz. Dies dank seiner rechtsextremen Vergangenheit. Bührle hatte beste Beziehungen zu den Nazis, da er Mitglied der berüchtigten Freikorps gewesen war, den Vorläufern von Hitlers Mörderbanden. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten diese zahllose Linke umgebracht, darunter auch die beiden deutschen Revolutionäre Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Historiker wie Jost und Thomas Buomberger, der Herausgeber des «Schwarzbuchs Bührle», fordern nun, dass sich die Schweiz endlich dieser Vergangenheit stelle. Buomberger: «Siebzig Jahre Weisswäsche sind genug!» Das bedingt aber, dass nicht nur die Geschichte Bührles ans Licht kommt. Und die genaue Herkunft seiner Kunstsammlung. Sondern auch jene der damaligen Berner Elite, die nazifreundlich war und das später vertuschte. Diese und andere Aspekte, wie die fragwürdige Herkunft gewisser Bilder, werden im «Schwarzbuch Bührle» ausführlich diskutiert.

Thomas Buomberger, Guido Magnaguagno (Hg.): Schwarzbuch Bührle. Raubkunst für das Kunsthaus Zürich? Rotpunktverlag, Zürich 2015, Fr. 38.–.

Kunsthaus Zürich: Darf es das?

Das Zürcher Kunsthaus will in die Top-Liga der Museen aufsteigen. Ein 200 Millionen Franken teurer Erweiterungsbau und die Sammlung Bührle sollen den Aufstieg bringen, mit Meisterwerken von französischen Impressionisten wie Monet, Gauguin, Manet oder Cézanne. Nur: Bührle hatte mit den Nazis geschäftet und war dadurch steinreich geworden. Viele Werke stammen von Naziopfern, die enteignet und verjagt wurden. Jetzt lautet die Frage: Darf ein Museum solche Werke zeigen? Und wenn ja, in welcher Form? (rh)