Zunehmende Gewalt gegen Politiker

NeueLuzernerZeitung

Polizisten werden immer häufiger Opfer von Übergriffen. In jüngster Zeit nahm aber auch die Gewalt gegenüber den Politikern zu.

Von Roger Rüegger

Luzern, August 2008: Eine Patrouille der Stadtpolizei nimmt aufgrund von Hinweisen einen mutmasslichen Taschendieb fest. Der 46-jährige Mann wird der Kriminalpolizei übergeben und befragt. «Er bestritt die Tat von Beginn weg, und während der Befragung wurde er immer aggressiver», sagt Simon Kopp, Medienbeauftragter der Luzerner Strafuntersuchungsbehörden. Der Festgenommene sei richtig in Rage geraten, habe einen Drucker zerstört und wüste Drohungen gegenüber den Beamten ausgesprochen. «Er sagte, er werde zurückkommen und ein blutiges Massaker anrichten.»

Dies ist kein Einzelfall. Gemäss Kriminalstatistik wurden im Kanton Luzern 2007 in 147 Fällen Behörden oder Beamte bedroht. 2006 waren es 138. Das ist eine Zunahme von 6,5 Prozent.

Morddrohungen gegen Politiker

Gewalt und Drohungen gegen Beamte sind auch in den anderen Zentralschweizer Kantonen gang und gäbe. Besonders stark ist die Zunahme in den Kantonen Zug und Nidwalden. «Die Uniformpolizei wird bei ihrer Kontrolltätigkeit gegenüber früheren Jahren vermehrt beschimpft. Es ist eine latente Aggressivität da», sagt Hanspeter Durrer, Stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei des Kantons Obwalden.

Aber auch Politiker werden immer häufiger Opfer von Drohungen. Im vergangenen Jahr wurden drei Luzerner Politiker mit dem Tode bedroht. Ein ehemaliger Bordellbetreiber hatte im Mai per Kurier Morddrohungen an Stadtpräsident Urs W. Studer und Regierungsrätin Yvonne Schärli verschickt, weil er sich von den Behörden schlecht behandelt fühlte. Und Grossstadtrat Hans Stutz wird in einem Lied einer rechtsextremen Rockband mit dem Tod bedroht.

Sprengsätze gezündet

Ebenfalls 2007 explodierten bei Politikern zu Hause Briefkästen oder wurden vor den Haustüren Sprengsätze gezündet. So beim Nidwaldner FDP-Nationalrat Edi Engelberger, dem Urner Sicherheitsdirektor Josef Dittli (FDP) sowie der ehemaligen CVP-Nationalrätin Judith Stamm. Alle drei gehörten der Rütlikommission an. Wie geht man mit einer solchen Botschaft um? «Diese Tat hat mich im ersten Moment verunsichert», sagt Judith Stamm. «Ich merkte: Oha, da bist du auf einer Liste von Leuten, die etwas gegen dich haben.» Sie habe nicht gewusst, ob eine Belästigungswelle gestartet wird. Ins Bockshorn jagen liess sie sich aber nicht. Die Polizei hat jedoch die betroffenen Quartiere stärker kontrolliert. «Wir haben die Gebäude beobachtet, bis wir sicher waren, dass sich die Lage normalisiert hat», sagt Jürg Wobmann, Leiter der Kriminalpolizei Nidwalden.

Staatsanwalt angegriffen

Übergriffe auf Behördenmitglieder bleiben auch in diesem Jahr nicht aus. Erst vor wenigen Wochen wurde der Zuger Staatsanwalt Roland Schwyter während der Mittagspause von einem 27-jährigen Studenten verbal und tätlich angegriffen. Wochen zuvor hatte Schwyter beim Strafgericht Zug für jenen Mann eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten und die Anordnung einer stationären psychiatrischen Behandlung beantragt.

Auch Bundesräte häufiger bedroht

Das Bundesamt für Polizei hat im vergangenen Jahr 171 Drohungen gegen Bundesräte und andere Spitzenpolitiker verzeichnet. Im Vorjahr waren es 115.

Jüngstes prominentes Opfer von Drohungen wurde am vergangenen 1. August SVP-Präsident Toni Brunner. Sein Bauernhof in Ebnat Kappel SG wurde von Sprayern verunstaltet. «Klassenkampf statt Nationalismus» haben unbekannte Täter mit lila Farbe auf die Fassade geschrieben. Ausserdem, in Anspielung auf Brunners 1.-August-Auftritt in Winterthur: «Du kommst nach Winti Winti kommt zu dir».

Lage «spürbar» verändert

Auch Bundesräte werden immer häufiger bedroht. Laut Bundessicherheitsdienst hat sich die Lage für sie «spürbar» verändert. Zum Beispiel hat Eveline Widmer-Schlumpf heuer auf den Besuch des Sechseläutens verzichtet, weil sie Drohungen erhalten hat. Unerfreuliche Aktionen passieren meist an symbolträchtigen Tagen wie dem Nationalfeiertag. Der Sprengsatz auf dem Rütli im letzten Jahr oder der Auftritt von Samuel Schmid vor zwei Jahren, als er von Hunderten Rechtsextremen beschimpft und ausgepfiffen wurde, belegen die Tendenz.

rgr

«Auch eine Antwort auf den raueren Ton»

Andreas Ladner, leben Politiker in der Schweiz gefährlich?

Andreas Ladner: Das zu behaupten, wäre übertrieben. Es gibt noch immer sehr viele Politiker, die ihr Amt vollkommen gefahrlos ausüben können.

Der Bundessicherheitsdienst registrierte 2007 insgesamt 171 Drohungen gegen Bundesräte, Parlamentarier und Bundesangestellte. Das entspricht einer Zunahme um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wie erklären Sie sich das?

Ladner: Ältere Zahlen sind aber nicht erhältlich. Die Frage stellt sich deshalb, ob es heute tatsächlich zu mehr Drohungen gegenüber Politikern kommt als früher oder ob solche Vorfälle heute vermehrt zur Anzeige gelangen. Kurzum: Aus den Zahlen des Bundes lässt sich für mich kein längerfristiger Trend herauslesen.

Selbst der Bundesrat schreibt zur Bedrohungslage von einer spürbaren Veränderung für Politiker.

Ladner: Drohungen und Übergriffe auf Politiker kommen periodisch vor. Was wir nun feststellen können, ist eine Häufung solcher Vorfälle. Aber es gab sie auch schon früher, ich erinnere an die Zeiten der Siebziger- und Achtzigerjahre, damals existierte in Teilen Europas der politische Terrorismus, die Übergriffe waren noch viel extremer als heute. Was ich damit sagen will: Ich halte nichts von der Interpretation, es werde für Politiker immer schlimmer.

Was sind die Gründe für die Drohungen?

Ladner: Die Drohungen sind auch ein Ausdruck von Wandel und Veränderung in der Politik. Unser Parteiensystem ist im Wandel. Wir haben etwa die SVP, die in ihrer Oppositionsrolle stark provoziert, auch weil sie den Anspruch erhebt, mehr Führungsverantwortung in der Regierung zu übernehmen. Doch in ihrer jetzigen Situation ist die SVP nicht richtig eingebunden in das System. Auch am linken Rand der politischen Skala finden wir Gruppierungen, die keine Partei für sich finden und deshalb nicht richtig integriert sind. Das führt zu einer Polarisierung, bei der die Diskussionen nicht mehr innerhalb des politischen Systems stattfinden, sondern ausserhalb mit schärferen Bandagen ausgetragen werden.

Kurzum: Die Zunahme an Gewalt gegen Amtsträger ist der Spiegel der heutigen Politik, in der sich der Ton merklich verschärft hat?

Ladner: Ich würde nicht so weit gehen und die Politiker mitverantwortlich für diese Entwicklung machen, das würde die Übergriffe bloss rechtfertigen. Aber ja: Klar ist die erhöhte Gewaltbereitschaft auch eine Antwort auf den raueren Ton, der in der Politik angeschlagen wird. Die politischen Exponenten nehmen oftmals selber kein Blatt vor den Mund, greifen Gruppierungen an oder spielen direkt auf die Person. Dadurch glauben vielleicht einige, die sich nicht integriert fühlen, sie seien quasi dazu legitimiert, ihrerseits den Ton zu verschärfen.

Wird es unter diesen Vorzeichen immer schwieriger, politische Mandatsträger im Milizsystem zu finden?

Ladner: Ich denke schon, dass es immer schwieriger wird, Freiwillige zu finden. Aber nicht etwa, weil die Gewalt gegen Politiker zugenommen hätte. Vielmehr hält der generelle Stellenwert der Politik viele davon ab, sich an vorderster Front zu engagieren. Das Prestige der Politik ist gering. Es wäre bedenklich, wenn der Faktor Angst auch eine Rolle spielen würde. Doch so weit sind wir glücklicherweise nicht.

Würde eine Professionalisierung der Politik diesem Manko entgegenwirken?

Ladner: Diese Frage ist eigentlich müssig zu beantworten. In der Schweiz ist es gar nicht möglich, ein professionelles politisches System im Stile von Deutschland oder Frankreich zu unterhalten. Dazu gibt es schlicht zu wenige Ämter, bei denen für eine Professionalisierung genügend Arbeitslasten anfallen.

INTERVIEW CHRISTOPH REICHMUTH

* Andreas Ladner (50) ist Politologe am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung

in Lausanne.