Nach Anti-WEF-Krawall erneut brenzlige «Demo»

Der Bund

STADT BERN Eine Woche vor dem «4. Antifaschistischen Abendspaziergang» herrscht eine gespannte Lage: Die Stadtpolizei spricht von einem «hohen Gewaltpotenzial», erst recht nach den schweren Ausschreitungen vom 25. Januar und um so mehr noch, als Berns militante Szene Verstärkung erwarten kann. Denn, so die Polizei, Zürichs Schwarzer Block ist «angemeldet». Und: Die Demonstration ist unbewilligt und zwar weil gar nicht erst um Bewilligung ersucht wurde. In dieser Lage versucht Polizei-kommandant Daniel Blumer, mit den Organisatoren in Dialog zu treten. «Wir wollen die seit Jahren praktizierte Deeskalationsstrategie beibehalten», sagt er sagt aber auch, dass nach der WEF-Randale die Polizei «nicht mehr so grosse Handlungsfreiheit» habe. Zusätzlich erschwert wird Blumers Lage dadurch, dass wiederum Polizeidirektor Kurt Wasserfallen nicht verhehlt, dass er für seinen Teil nicht sehr viel von Dialog hält: «Zu diesen Leuten habe ich kein Vertrauen», mit dieser Szene sei er fertig. Bei den «Demo»-Veranstaltern, dem «Bündnis Alle gegen Rechts», und bei den «Anarchistischen und autonomen GruppenBern» heisst es, man wolle friedlich protestieren wisse sich aber «zu wehren». In der derzeitigen Lage drohen die Inhalte der Antifa-Bewegung vergessen zu gehen. Die Bewegung ist 2000 Köpfe stark. Sorge bereiten Blumer 150 Berner plus Zürcher.

Abgang einer Jugendbewegung?

(Un-)Ruhe vor dem «4. Antifaschistischen Abendspaziergang» in Bern – Gespannte Lage nach Anti-WEF-Krawall

Die heftigste Strassenschlacht seit Jahren liegt kaum zurück, und bereits steht Bern wieder vor einer brenzligen «Demo» Berner Autonome mobilisieren für nächsten Samstag, Zürichs Schwarzer Block ist gleichfalls «angemeldet». Berns Polizei setzt auf Deeskalation, Dialog wird jedoch «massiv parat» sein, sollte es bös «abgehen».

? RUDOLF GAFNER

Noch 1999 war Berns Antifa-Szene ein Potenzial von bloss gut 150 Leuten zugerechnet worden, doch im Jahr 2000 gingen 800, 2001 bereits 1500, letztes Jahr schliesslich über 2000 auf die Strasse: Mit dem «Antifaschistischen Abendspaziergang» ist eine eigentliche Jugendbewegung entstanden die auch bei der Stadtpolizei Respekt, ja Lob findet: «Da gibts viele gute Kräfte», weiss Kommandant Daniel Blumer, und Fritz Schlüchter, Leiter des Informationsdiensts der Staatsschutzstelle, bestätigt es: «Die Antifa-Bewegung vermittelt auch viele politische Inhalte.» Auch blickt Blumer auf gute Erfahrungen zurück: 2000 liefs «hervorragend» und bewilligt, 2001 zwar nicht bewilligt, aber mit «gut funktionierenden Eigenkräften» der Veranstalter «für Ruhe und Ordnung» dem teilweise selber aus vermummten Autonomen rekrutierten «Berner Demoschutz».

Polizei unter verstärktem Druck

Letztes Jahr jedoch eskalierte der Antifa-Anlass; es gab «deutlich mehr Gewalt gegen Sachen», die Polizei schritt ein und flugs mutierte der «Demoschutz» vom Ordnungsdienst zum «Verteidigungswall gegen die Polizei», so Blumer. Heuer nun, nächsten Samstag, findet der 4. Spaziergang statt, und Blumer und Schlüchter sind in Sorge, erst recht nach dem Anti-WEF-Krawall, Berns heftigster Strassenschlacht seit der Bauernkundgebung 1996. «Wir stufen das Gewaltpotenzial derzeit als hoch ein», sagt Blumer. «Ja», sagt Schlüchter, «es hat auch Brandstifter, die auf einen Flächenbrand hinarbeiten.» Und als wäre Berns eigene gewaltbereite Szene, gut 150 Köpfe stark, nicht genug, ist noch Verstärkung zu gewärtigen: Zürichs Schwarzer Block sei «angemeldet», weiss die Polizei. Was tun? EinVerbot des Antifa-Marschs ist für Blumer, wie für die Stadtregierung, heute kein Thema, auch aus praktischen Gründen. Erstens sei, kämen 2000 zusammen, eine «Demo» sowieso nicht zu verhindern, es sei denn zum Preis extremer Eskalation. Zweitens würde ein Verbot die Polizei zwingen, zu intervenieren. Dann wären «sehr viele Anständige und Unbeteiligte wegen einiger weniger Täter, die feige aus der Masse heraus operieren, mit betroffen». Und drittens könne die «Demo» gar nicht verboten werden, weil sie ohnehin schon unbewilligt sei und zwar weil die Organisatoren gar nicht erst um eine Bewilligung ersucht haben. Blumer will versuchen, mit den Veranstaltern doch noch in Dialog zu treten, zu verhandeln. An der Polizei solle es nicht liegen. «Wir wollen die seit Jahren praktizierte Deeskalationsstrategie beibehalten», versichert Blumer macht jedoch klar, dass nach der WEF-Randale mit «extrem vielen besorgten Reaktionen aus der Bevölkerung» die Polizei «nicht mehr so grosse Handlungsfreiheit» geniesse. «Im Ermessen der Bevölkerung ist die Einsatzschwelle gesunken.» Keine Frage, dass die Stadtpolizei für alle Fälle «massiv parat» sein werde.

Mehrdeutige Stimmen der Szene

Von den Organisatoren und aus der autonomen Szene wiederum sind mehrdeutige Signale zu vernehmen. Hoffen liess die Antifa (siehe unten), die kurz nach der Randale vom 25. Januar einräumte, man könne sich «tatsächlich über Sinn und Unsinn der Auseinandersetzungen streiten». Antifa rief im Hinblick auf den 1. März zur «Besonnenheit» auf, sie selber werde «alles daransetzen», dass «Inhalte im Vordergrund» stünden. Blumer freuts: «Eine sehr gute, klare Aussage ohne versteckte Drohung.» Eine zweite Verlautbarung aber fand seinen Gefallen weniger: Das «Bündnis Alle gegen Rechts» betont zwar ebenfalls, friedlich demonstrieren zu wollen sagt aber, dass «wir uns zu wehren wissen», sollte die Polizei «angreifen». Jede «Schikane» sei zu lassen, ja besser noch als diskrete Polizeipräsenz sei «gar keine» hätten doch Politiker und Medien schon «Angstmache und Hetze gegen unseren Anlass» entfacht. Ähnlich tönts im dritten Communiqué, signiert mit «Anarchistische und autonome GruppenBern», in dem gar die Rede ist von «Polit- und PolizeistrategInnen sowie einigen Medienschaffenden», die die Antifa-Bewegung «schwächen und kriminalisieren» wollten. Will wohl meinen, dass die Schuldfrage schon einmal geklärt sein soll, sollte Gewalt «abgehen».

Blumer kühlt, Wasserfallen heizt

Blumer kehrt diesen Spiess um: «Auf dem Spiel steht die Glaubwürdigkeit der Bewegung sie hat sich in öffentliche Verantwortung gestellt. Geht dieser vierte Abendspaziergang jetzt nicht sauber über die Bühne, ist sie in der öffentlichen Wahrnehmung unten durch.» Anders als für Polizeipraktiker Blumer ist für Polizeipolitiker Kurt Wasserfallen (fdp) Dialog vergebliche Müh, denn mit dieser Szene sei er fertig. «Wenn die friedlich sind, warum kommen sie mit Vermummung, Helm, Spraydose, Rucksack und Schlaginstrument? Nein, ich habe kein Vertrauen zu diesen Leuten», sagt Wasserfallen, der Randalierer jüngst mit Terroristen verglich. Immer wiedergebe es Radau, doch «politisch passiert nichts». Im rot-grünen Bern, wachsam gegen rechts, werde Linksextremismus leider «als Kavaliersdelikt» beschönigt: «Wem es jetzt nicht dämmert, dem dämmert es wohl nie mehr.» (vgl. Seite 15 zur Stadtratsdebatte). Kurt Wasserfallen übrigens wird sich am 1. März nicht in die operative Führung des Polizeieinsatzes einmischen es ist Kommandant Daniel Blumer, der die Hoheit hat.

KOMMENTAR

Wenns kippt . . .

? RUDOLF GAFNER

Nach der Polizeikontrolle in Fideris sei «sehr berechtigte Wut» entstanden, tja, und so sei halt im Zug nach Bern «die Stimmung gekippt» und es hier «abgegangen». So tönte es nach dem Anti-WEF-Krawall vor der Presse in der Reitschule. Und so tönts vom «Bündnis Alle gegen Rechts» heute, vor dem Antifa-Aufmarsch: Politik und Presse sollten sich nur ja vor «Hetze» hüten und die Polizei sich vor «Schikane», denn, so heisst es, «wir wissen uns zu wehren». So einfach macht man sichs, wo selbstkritisches Nachdenken am Platz wäre. Denn bei allem Sinn für Sturm und Drang einer jugendlich geprägten Bewegung: Wenn, wie an der «Nachdemo» vom 25. Januar, Baumaschinen als «Wurframpen» aufgefahren werden, hat die «Spassguerilla» längst aufgehört, und wenn mit Signalgeschossen auf Polizisten gefeuert wird, ist dies schlicht kriminell. Im Übrigen zeigt der aktuelle Krawall-Streitfall, auf welch hohem Niveau in diesem Lande gejammert wird nicht nur von netten Rechten, die aus Randalierern gleich Terroristen machen. Sondern genauso von lieben Linken, denen allein die Präsenz der Polizei offenbar der repressiven Provokation genug ist, um Gewaltmilitanz auf der Strasse legitimiert zu wähnen. Man stelle sich vor, andere Demonstranten mit weit mehr Problemdruck hätten so geringe Frustrationstoleranz. Araber an der Friedenskundgebung letzten Samstag etwa, denen nicht eine Ausweiskontrolle in Fideris auf dem Gemüt lastete, sondern ein drohender Krieg in ihrer Region, für viele ein «clash of civilisations» doch sie kippten nicht in Gewalt um, nicht ansatzweise. Oder die Palästina-«Demo» im letzten Jahr, deren Klage nicht Wasserfallens Wasserwerfern, sondern Sharons Panzern galt und deren Wut gross war, deren Würde aber auch, und so blieb Wüterei aus. Als 1999 Kosovo-Albaner demonstrierten, hatten sie gewiss bitterlicher zu weinen als Antifas im Tränengas, denn in Kosovo wurde massakriert und in Bern gleichwohl diszipliniert protestiert. Und: Als 1993 Türken und Kurden marschierten, gabs nicht etwa Gummigeschosse, sondern Todesschüsse aus Berns türkischer Botschaft zu beklagen. Einer starb und klar kam Panik auf, indes: Die Sicherung brannte nicht durch. Vielleicht wäre dies ja einen Gedanken wert, wenn Antifas «die Gewaltfrage» diskutieren. Denn wie weitest die Schweiz von finsteren Zeiten entfernt ist, da es legitim sein könnte, das staatliche Gewaltmonopol zu brechen, müssten sie schon allein daran erkennen, wie Bern mit ihrer «Demo» verfährt: Die Regierung hält liberale Freiheit hoch und schützt die libertäre «Demo» vor einem Verbot. Das Parlament hat mit Augenmass debattiert, und die Presse hetzt nicht.Die Stadtpolizei ist guten Willens, sehr sogar, und Bürger stellen keine Bürgerwehr auf. Bern ist nicht gekippt. An der Antifa-«Demo» liegts, nicht zu kippen. Ginge am 1. März bös «die Party» ab, dürfte, müsste rasch Polizeistunde sein und dies wäre schade für das noble Anliegen (das übrigens Liberale wie Libertäre eint): Antifaschismus. Oder gehts um den Inhalt gar nicht so sehr? Sondern ums «Abgehen»? Falls dies so wäre, eine Frage bloss: Wem nützts?