Rechtsradikale

SonntagsZeitung

Ein Dorf wehrt sich

Sie wollen nichts mit den Neonazis zu tun haben. Darum gingen die Bürger vonMalters auf die Strasse

Malters – «Darf ich auch sprechen, Ruedi?», fragt der bärtige Mann im grünenLumber. Gemeindepräsident Ruedi Amrein schaut besorgt. «Nein Seppi», sagt er,«meine Meinung ist: eher nein.»

Die Lage ist ernst. Es ist Samstagnachmittag, und der Gemeindepräsident mussjetzt die rund 400 Leute begrüssen, die vor dem Gemeindehaus zur Kundgebung«Stopp dem Rechtsextremismus» erschienen sind, die er zusammen mit denOrtsparteien organisiert hat.

Amrein steigt die Treppe vor dem Gemeindehaus hoch, räuspert sich und kommtschon im zweiten Satz auf den Punkt: «Wir verurteilen das rechtsextremeGedankengut und fordern die rechtsradikale Gruppe auf, Malters zu verlassen», ruftder Gemeindepräsident ins Mikrofon. Hauptsache, sie sind aus Malters weg, dieSkinheads, die so viel schlechte Schlagzeilen über das Dorf und seine 6000Einwohner gebracht haben.

Schuld am Ganzen ist eigentlich Seppi Albisser, der ehemalige liberale Grossrat undörtliche Unternehmer, der so gerne als Redner auftreten würde. Albisser hat denSkinheads in seiner Liegenschaft im Industriegebiet einen Raum vermietet, wo siesich mit Gesinnungsgenossen treffen und Konzerte veranstalten können. Die Medienkamen dahinter, berichteten über Konzerte und Treffen – und in Malters war derTeufel los.

Ja, die Medien. Sogar die SVP, die noch vor wenigen Tagen in Leserbriefen gegendie Kundgebung wetterte, hat inzwischen dem Druck der Schlagzeilen nachgegebenund macht mit.

«Politisch-moralischer Alarmismus», nennt der Zürcher Soziologieprofessor KurtImhof die Medienberichterstattung der letzten Wochen über die «politisch völligmarginalisierten Neonazis» (vgl. Interview Seite 23). Die Politiker würdengewissermassen dazu gezwungen, auf diesen Alarmismus aufzuspringen, wenn siein den Medien präsent sein wollten.

In Malters hängen jetzt Plakate mit «Stopp dem Rechtsextremismus»
So geschliffen könnte das in Malters kaum einer sagen. «Für Schnellschüsse sindwir nicht zu haben», rechtfertigt stattdessen der SVP-Vertreter den anfänglichenWiderstand seiner Partei gegen die Kundgebung. «Vor einer Woche wärenmöglicherweise nur 100 Leute gekommen. Das hätte mickrig ausgesehen undwieder schlechte Schlagzeilen über Malters gebracht.» Im Übrigen hat er in seinereinmütigen Rede vor den 400 Anwesenden vor allem eine Botschaft: «Wir könnennicht akzeptieren, dass Häuser verschmiert werden.»

Die Medien waren es auch, aus denen Simon Meyer erfuhr, dass Malters denNeonazis als Treff dient. Vorher habe er nichts davon gewusst, sagt der gelernteSchmied, der heute am Computer arbeitet. Der Gemeindepräsident habe das mitden Skinheads unter dem Deckel halten wollen. Da fand Meyers Freundin Petra, dieebenfalls Meyer heisst und als Korrektorin arbeitet und daneben in LuzernGeschichte und Religionswissenschaften studiert: «Machen wir eine Demo.»

Bereits ein Woche zuvor hätte die Kundgebung der Meyers stattfinden sollen. DerGemeinderat hat sie verboten. Begründung: Man befürchte Konfrontationen. EineWoche später machen Gemeinderat und Parteien selbst eine. Jetzt sind Simon undPetra Meyer halt an die behördlich organisierte Demo gekommen. Auch wenn die«zu zaghaft» sei. Für ihren Einsatz hätten sie aus der Bevölkerung aber viel Loberhalten. Und eine Bombendrohung, unterzeichnet mit «Bin Laden Switzerland».Simon Meyer hat Anzeige erstattet.

Nach dem Verbot der ersten Demo wurde ans Gemeindehaus gesprayt, einHakenkreuz und die Worte «gut gem», was wohl «gut gemacht» bedeuten sollte.«Vielleicht war es ja auch gut, dass unsere Demo verboten wurde», sagt Meyer, «soist der Druck auf die Behörden gewachsen.» Jetzt hängen in Malters A3-Plakate, aufdenen steht: «Stopp dem Rechtsextremismus» und: «Auf einen Grossaufmarschhoffen: CVP, LP, SVP, SP, Der Gemeinderat Malters.»

Die Demo dauert nur kurz. Schliesslich findet nachher ein Dorffest statt. Am längstenspricht Gemeindepräsident Amrein. «Ihr wollt die Heimat schützen, dabei macht ihrsie kaputt», ruft er den Rechtsextremen zu. «Wacht auf aus euren schlechtenTräumen!» Oder wenigstens: «Zieht von Malters weg!» Von Bund und Kanton Luzernfordert der Dorfpolitiker fachlichen Sukkurs und finanzielle Unterstützung.

Die meisten Kundgebungsteilnehmer unterschreiben die Resolution
Als Amrein sagt: «Ich fordere den Vermieter Seppi Albisser auf, der rechtsradikalenGruppe den Raum zu kündigen», brandet das erste Mal Applaus auf. DenStimmbürgern erklärt Amrein zum Schluss: Ein Zeichen gegen denRechtsradikalismus könne im Übrigen setzen, wer am 24. September denEinbürgerungen zustimme.

Auf den Präsidenten folgen, richtig konkordant, alle vier Parteien mit ihren Rednern.Aufklärung in Schulen wird gefordert, mehr Wachsamkeit, Eltern sollten öfters mitden Kindern über die Gefahren des Extremismus sprechen.

Unter den Anwesenden junge und alte Leute, Familien mit Kindern. EinPunkmädchen pirscht sich ziemlich betrunken an eine TV-Reporterin heran: «Ich warim Fall in der Szene drin, ich weiss alles», lallt sie. Die Hakenkreuze auf ihrenStiefeln sind durchgestrichen. «Heute bin ich gegen rechts, weil, wenn alleAusländer raus müssen, wer macht dann für uns die Drecksarbeit?»

Am Rand der Kundgebung haben sich vier gedrungene, sehr kurzhaarige Männerversammelt, die düster auf das Gemeindehaus starren. Einer hat sich eine Armbrustauf den Oberarm tätowiert. «Haut ab!», raunzen sie die Fotografen an. «Wir sindkeine Skins.» Und die Schmierereien am Gemeindehaus, das seien die Linkengewesen. «Nicht wir.»

Amrein schliesst die Veranstaltung mit einem Dank an die Polizei, die uns «so tollunterstützt hat». Die Teilnehmer unterstützen den Dank mit Applaus und Johlen.«Jetzt beginnt Malters 2000, das Dorffest, ich wünsche einen schönen Tag», sagt derGemeindepräsident.

Die gemeindeeigenen Betriebe sind zur Feier des Tages von 14 bis 18 Uhr fürsPublikum geöffnet. Die meisten Kundgebungsteilnehmer nützen den Gang insGemeindehaus, um dort die Resolution zu unterschreiben. Darin fordern sie, «dasssich die Gesellschaft als Ganzes gegen den Rechtsextremismus zur Wehr setzt unddass der Liegenschaftsbesitzer das Mietverhältnis mit der rechtsextremenGruppierung auflöst».

Im Gemeindehaus gibts die «grossen Schützenfeste»
Später, im Restaurant Kloster, vor den Medien, erklärt der FDP-Ortsparteichef, dassdie Parteileitung nächstens Antrag auf Parteiausschluss gegen Albisser stellenwerde. Die Treicheln eines Alpabzugs, der draussen vorbeizieht, drohen ihn zuübertönen. Auch der Luzerner Polizeikommandant Jörg Stocker ist anwesend. Ererklärt, eine junge betrunkene Frau, die am Bahnhof eine Sachbeschädigung verübthabe, sei festgenommen worden. Vier Personen, die aus dem rechten Lagerstammen könnten, wurden kontrolliert und aufgrund des Polizeigesetzesangewiesen, den Ort zu verlassen, weil eine Eskalation hätte drohen können.

Kurz nach der Pressekonferenz muss die Polizei nochmals eingreifen. In einemklapprigen Bus mit Aargauer Schildern sind ein halbes Dutzend Autonomeerschienen, die den Kurzhaarigen, die mittlerweile vor der Eichhof-Flasche sitzen,«Nazi-Schweine» zurufen. Die Polizei kontrolliert die Autonomen und verweist auchsie des Dorfes. Polizisten eskortieren sie bis an die Kantonsgrenze. Bei denAutonomen habe man, so Stocker, eine Eisenstange und einen Pfeffersprayregistriert und «ein Messer eingezogen.»

Ab 14.30 kann das Dorffest beginnen. Die Vereine bieten Unterhaltung. DerWehrverein und die Schützengesellschaft veranstalten im GemeindesaalLuftgewehrschiessen, Sturmgewehr-90-Simulationen und «Videoaufzeichnungengrosser Eidgenössischer Schützenfeste».