Rechtsradikale

SonntagsZeitung

Neonazis: Rekrutierungen auf dem Fussballplatz

Verantwortliche von Sportklubs unternehmen aus Angst vor Repressalien nichts

Bern/Zürich – Simon V., YB-Fan, Arztsohn und Neonazi, schiesst Anfang Juli miteinem Sturmgewehr auf die Solterpolter-Unterkunft von Linksaktivisten im BernerMarzili-Quartier. Wenige Stunden nach dem Anschlag wird der 22-jährigeTöffmechaniker, der sich schlafen gelegt hat, im Vorort Ittigen im Haus seiner Elternverhaftet.

Obwohl er jetzt bei den Spielen seines Lieblingsklubs fehlt, dürfte er bestensunterrichtet sein über das, was im YB-Stadion Wankdorf läuft. Schliesslich hat SimonV. im Fankreis zahlreiche Neonazi-Kollegen. «Bei YB gibt es eine ganze Clique vonNeonazis», weiss ein langjähriger YB-Fan. Zehn bis zwanzig militante Neonazis, soschätzt er, «kommen regelmässig ins Wankdorf».

Der Berner Nationalliga-B-Klub ist, was die Grösse seiner Neonazi-Fanschar betrifft,im Schweizer Sport kein Einzelfall. Im Gegenteil. Ein Kenner der Szene weiss: «Fastalle grösseren Fussball- und Eishockeyvereine haben rund 30 Neo-nazis unter ihrenFans.»

Vor allem der FC Basel sowie die Eishockeyklubs ZSC und SC Bern erlebten imvergangenen Jahr einen starken Zulauf von Neonazis. Beim ZSC und dem SC Berntreffen sich laut verlässlichen Angaben regelmässig 70 bis 100 Neonazis pro Spiel.Doch auch andere Klubs werden immer mehr zum Treffpunkt rechtsradikalerGruppierungen.

«Die Neonazis haben realisiert, dass sie an grossen Sportveranstaltungenungehindert ihr rassistisches und antisemitisches Gedankengut verbreiten können,ohne dass etwas passiert», sagt Hans Stutz, Journalist und Beobachter derrechtsextremen Szene.

Das beweisen auch Recherchen der SonntagsZeitung: Laut offiziellen Angabenwurde an einem Sportanlass noch nie ein Fan auf Grund Verbreitung rassistischerSprüche (wie beispielsweise «Wir bauen einen Tunnel nach Auschwitz»),eindeutiger Gesten (wie des Hitlergrusses) oder wegen Aufhängens vonPropagandamaterial angeklagt.

Adolf Brack, Delegierter der Sicherheitskommission des SchweizerischenFussball-Verbands, Abteilung Nationalliga, und Sachbearbeiter Hooliganismus derStadtpolizei Zürich, erklärt das so: «Es ist uns unmöglich, gegen vereinzelteNeonazis vorzugehen, solange diese sich friedlich verhalten. Wir können ja nicht 10000 Leute überwachen.»

Ähnlich klingt es bei den Klubverantwortlichen: Viele scheuen sich vor Repressaliengegen Rechtsradikale. «Wir wollen schliesslich keinen Krieg mit den Neonazis»,sagt Marc Lüthi, Geschäftsführer des SC Bern.

Systematisch scheint man bei den Anwerbungen nicht vorzugehen

Diese Haltung könnte sich allerdings bald schon rächen. Denn Recherchen derSonntagsZeitung beweisen: Neonazis nutzen immer häufiger Sportveranstaltungen,um junge Sympathisanten anzuwerben. «Wir wissen, dass verschiedeneVereinigungen ihre Veranstaltungen direkt im Anschluss an einen grossen Fussball-oder Eishockeymatch organisieren, junge Sympathisanten an den Spielenansprechen und auffordern, an ihren Anlass mitzukommen», sagt ein Fachmann derPolizei.

Auch der Bundepolizist Roman S. bestätigt: «Wir gehen davon aus, dassSportanlässe für Neonazi-Verbindungen eine willkommene Gelegenheit sind, umNachwuchs zu animieren, bei ihnen mitzumachen.» Allerdings glaubt Roman S.,dass hinter dieser Rekrutierung kein System steht, «sondern alles zufällig passiert».

Annelies Friedli