Andreas Thiel beklagt sich über «Diskriminierung» und «Rufmord»

Der Bund. Der Satiriker moderiert eine Sendung auf Kontrafunk. Gegründet wurde das Internetradio von einem AfD-Mitglied. Einen Zusammenhang zwischen ihm und der rechten Szene gebe es nicht, sagt Thiel. 

Leitmedien würde er nicht mehr ernst nehmen. Zeit habe er eigentlich auch keine, sagt der Satiriker Andreas Thiel. Er befinde sich gerade in einer Filmproduktion. Aber Andreas Thiel will reden, um die jüngste Berichterstattung über ihn zu korrigieren. Zuletzt hörbar aufgebracht. Er spricht von «Verunglimpfungen», einmal gar von «Rufmord». 

In Aufregung ist Andreas Thiel wegen eines Artikels, der kürzlich im «SonntagsBlick» erschien: Darin hiess es, der Satiriker stelle seine Büros in Cham dem neuen Internetradio Kontrafunk als Geschäftssitz zur Verfügung. Kontrafunk habe – so der «SonntagsBlick» weiter – eine Nähe zu Verschwörungsideologien und zur deutschen Rechtspartei AfD.

Die AfD sei ihm so egal wie die Flamingos auf Galapagos

Dagegen wehrt sich Thiel: Er sieht sich als Opfer einer Rufmordkampagne. Einen Zusammenhang zwischen ihm und der rechten Szene gebe es nicht. Zu oft seien er und seine Kinder angefeindet worden, weil ihm eine Nähe zu Rechten unterstellt worden sei. Auftritte und andere Aufträge habe er deshalb verloren, sagt Thiel. Auch jetzt sei ihm Schaden entstanden durch die Weise, wie über sein Engagement bei Kontrafunk berichtet wurde.

Wenn schon, dann sei «er liberal im besten Sinne des Wortes». Für die Freiheit und für möglichst wenig Staat. Also eigentlich libertär. Die AfD sei ihm hingegen «egal», man könne ihn ebenso gut fragen, was er «von den Flamingos auf Galapagos halte», ergänzt Thiel schriftlich. Kurz nach dem ersten Anruf veröffentlicht Thiel ein 20-minütiges Youtube-Video, in dem er seinem Ärger über den «Blick»-Artikel Ausdruck gibt.

«Panikschleudern», «Dummheit und Charakterlosigkeit»

Was ist das Internetradio Kontrafunk – und warum hat Andreas Thiel damit so viel Ärger? Gegründet wurde das Radio vom 65-jährigen Journalisten Burkhard Müller-Ullrich, einem Schweizer Staatsbürger, der in seiner Berufslaufbahn für verschiedene Medien gearbeitet hat. Zuletzt moderierte er als freier Mitarbeiter eine Diskussionssendung beim SWR. 

Dann kam die Corona-Pandemie. Und Müller-Ullrich wandte sich mit scharfen Worten gegen den gebührenfinanzierten Rundfunk: Als «Panikschleudern in Sachen Corona» bezeichnete er Anfang 2021 die öffentlich-rechtlichen Medien in einem Interview mit der rechtskonservativen Wochenzeitung «Junge Freiheit», er klagte über die «Dummheit und Charakterlosigkeit» vieler Kollegen und glaubte eine «zunehmende Gleichgeschaltetheit» bei den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Radiosender in Deutschland auszumachen.

Kennen gelernt bei einer öffentlichen Hinrichtung?

Bereits während seiner letzten Jahre als freier Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks produzierte Müller-Ullrich einen Podcast für den Blog «Achse des Guten», der vom Publizisten Henryk M. Broder herausgegeben und dem Spektrum der politischen Rechten zugeordnet wird. Dort hat man ihn aber rausgeworfen, weil er – so Müller-Ullrich in einem weiteren Interview mit der «Jungen Freiheit» – «etwas zu tollkühn» war.

Im Juni gründete Müller-Ullrich mit Kontrafunk seinen eigenen Radiosender. Mit Geschäftssitz in Andreas Thiels Büro in Cham, wobei dieser lediglich eine Bürogemeinschaft pflege, «wo wir uns alle die Fixkosten teilen», wie der Satiriker auf Anfrage schreibt.

Wie der Kontakt zwischen Müller-Ullrich und Andreas Thiel zustande kam, wollen beide nicht sagen. Oder dann nur satirisch: Kennen gelernt hätten sie sich bei einer «öffentlichen Hinrichtung», bei der er und Müller-Ullrich hätten enthauptet werden sollen, schreibt Thiel. Dabei sei auch die Idee zu Kontrafunk aufgekommen, da Müller-Ullrich sich geweigert habe, «ohne Publikum hingerichtet zu werden».

Und im Ernst? Da gibt Andreas Thiel nur so viel preis, dass Müller-Ullrich mit der Radioidee auf ihn zukam, dass er Lust hatte, ein neues Medium auszuprobieren, dass er bei der Konzeption von Kontrafunk beteiligt war «und überdies auch noch ein Büro mit Sitzungszimmer und Sekretariat» hatte, das nun vom Internetradio genutzt werde. Finanziell sei er am Internetradio nicht beteiligt, sagt Thiel.

Thiel analysiert das Versmass einer Corona-Busse

Der Schweizer Satiriker war aber nicht nur bei der Konzeptionsphase dabei und – nach eigenen Angaben – Teil des Kontrafunk-Büros. Er moderiert für den Sender auch ein eigenes Format namens «Yoyogaga», das sprachphilosophische Betrachtungen bieten soll. In den bisherigen Folgen spricht sich Thiel darin wortreich für die Logik aus. Und gegen die «Empirie», die ihm zufolge nur die «statistische Erfassung von Sinneseindrücken» ist. 

In seiner Beschäftigung mit der Logik – wie auch sonst – wirkt vieles in Thiels «Yoyogaga» etwas neblig. Sicher ist nur, dass dabei kaum ein direkter Bezug zur Politik zu erkennen ist, sieht man von der ersten Folge ab, in der der Satiriker das Versmass einer Busse analysierte, die er erhalten habe, weil er – der in der Pandemie als Massnahmenkritiker auftrat – keine Maske trug.

Erfolgreich wohl in Deutschland

Mit seiner Politikabstinenz und als gebürtiger Schweizer ist Andreas Thiel auf Kontrafunk eine Ausnahme. Das Zielpublikum des Senders scheint vor allem in Deutschland zu leben, wenn es nach den thematischen Schwerpunkten der bisherigen Sendungen geht. In Deutschland hat Müller-Ullrich offensichtlich gute Kontakte zu stramm bürgerlichen Publizisten, die auf Kontrafunk weitgehend unwidersprochen zu Wort kommen. Und damit wird auch ein Publikum erreicht: Die Kontrafunk-Sendungen auf Youtube werden in der Regel 10’000-mal abgerufen, teils aber auch über 40’000-mal. Auch Andreas Thiels «Yoyogaga», das er auf Hochdeutsch einspricht, wurde auf der Google-Plattform teils über 20’000-mal angeklickt. 

Über die Aufrufzahlen auf weiteren Plattformen wie Spotify und der eigenen Website will Müller-Ullrich keine Angaben machen. Das sei ein «Geschäftsgeheimnis».

In der Schweiz, um Qualitätsauflagen zu umgehen?

Im «SonntagsBlick» wurde die Vermutung laut, Kontrafunk habe seinen Sitz in der Schweiz, um die in Deutschland geltenden Qualitätsauflagen zu umgehen. In einem Interview mit der «Jungen Freiheit» hat Müller-Ullrich Vermutungen in dieser Richtung aber dementiert: Zwar sei er «vor der deutschen Politik geflohen». Aber nicht wegen der Medienpolitik. Sondern weil sein damals 15-jähriger Sohn in Deutschland «wegen Corona» nicht mehr in die Schule gehen durfte.

Insgesamt 20 Redaktoren würden für Kontrafunk arbeiten, hiess es kürzlich noch in der «Jungen Freiheit». Für den Betrieb soll Müller-Ullrich insgesamt 36 Geldgeber gewonnen haben, die 1,2 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Im nächsten Jahr stehe eine Kapitalerhöhung von 1,5 Millionen Euro an. Zukünftig soll der Betrieb mit 12’000 Patenschaften finanziert werden.

Zurzeit seien die grössten Geldgeber ein Immobilieninvestor, ein IT-Unternehmer, ein Maschinenbauer, ein Fernsehstar, ein Rechtsanwalt, ein Kunsthändler sowie ein Chemiefabrikant, teilt Burkhard Müller-Ullrich auf Anfrage mit. Einige seiner Investoren würden aus der Schweiz stammen. Ob seine Grossinvestoren Schweizer sind, will er nicht sagen. Auch Namen will er keine nennen.

Müller-Ullrich seit 2017 AfD-Mitglied

Sind AfD-Mitglieder unter den Geldgebern? «Nicht, dass ich wüsste», schreibt Müller-Ullrich. Die Frage nach Geldern aus der AfD drängt sich auf, da der Kontrafunk-Gründer bereits seit September 2017 Mitglied der rechtspopulistischen Partei ist. Für die Gründung von Kontrafunk erhielt Müller-Ullrich auf Facebook Applaus von prominenten Parteimitgliedern wie Erika Steinbach und dem AfD-Scharfmacher Björn Höcke. 

Und daran stört sich Andreas Thiel: Er empfindet nur schon die Erwähnung der Facebook-Posts von Höcke und Steinbach als «diskriminierend». Wer die AfD nicht möge, solle dies schreiben, aber ihn aus dem Spiel lassen, schreibt Andreas Thiel. «Statistisch gesehen wird unser Radio garantiert von mehr Pfadfinderinnen, Rotariern, Sozialdemokraten, Bankern, Akademikerinnen und Eltern geschätzt als von AfD-Mitgliedern», meint der Satiriker. Die Erwähnung der AfD diene einzig dazu, «jemanden» – also ihn – «in eine politisch unliebsame Ecke zu drängen, und das ist Diffamierung».

Zweifel sind angebracht

Was die Höhe des Kapitals von Kontrafunk anbelangt, das nach Medienberichten bereits auf über eine Million Franken angewachsen sein soll, sind Zweifel angebracht: Im Handelsregister des Kantons Zug und auf dem Meldeformular des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom), das Müller-Ullrich vorletzte Woche einreichte, ist für Kontrafunk nur ein Aktienkapital von 100’000 Franken eingetragen. Die eine Hälfte davon stammt von Müller-Ullrich, die andere von seiner Frau Katja Lückert. 

Es würden lediglich 12 Personen für Kontrafunk arbeiten, heisst es weiter in den erwähnten Unterlagen. Und nicht 20, wie zuletzt noch in der «Jungen Freiheit» zu lesen war. 

Sein Personal fluktuiere «ständig», schreibt Müller-Ullrich, als wir ihn mit den Widersprüchen konfrontieren. Und zurzeit sei eine Kapitalerhöhung im Gange, die noch nicht abgeschlossen worden sei, deshalb habe er sie auch noch nicht im Handelsregister eintragen lassen. 

Wie hoch die Kapitalerhöhung ausfallen soll, will Müller-Ullrich nicht sagen. «Der heutige Stand ist: Meine Frau und ich haben das Unternehmen mit 100’000 Fr. gegründet», schreibt der Kontrafunk-Gründer.

Angesichts der Fluktuationen und vielen Unbekannten könnte der Eindruck entstehen, dass Kontrafunk – in finanzieller Hinsicht – ein Scheinriese ist, für den Andreas Thiel seine Arbeitskraft und seinen Namen zur Verfügung stellt, mit dem er sein Büro teilt – und mit dem er nun so viel Ärger hat.


Wer ist der Gründer von Kontrafunk?

Burkhard Müller-Ullrich, geboren 1956 in Frankfurt, war in seiner Berufslaufbahn für verschiedene Medien tätig, in den 1980er-Jahren etwa als Redaktor beim Schweizer Radio. Für den Blog «Achse des Guten» moderierte der Schweizer Staatsbürger den Podcast «Indubio».

Neben seinem Radio hat Müller-Ullrich einen Internetpranger an der Adresse von Kontrafunk in Cham gemeldet. Auf dieser Website werden Äusserungen von Prominenten gesammelt, die «mitgemacht» hätten beim «Corona-Unrecht». Also sich für die Impfung oder andere Massnahmen ausgesprochen haben.

Aufgelistet mit Zitat werden dort unter anderem der Chef der Schweizer Impfkampagne Christoph Berger, der Papst, Mike Müller, Hazel Brugger, Peach Weber sowie Politikerinnen und Chefredaktoren aus der Schweiz.

Die Corona-Massnahmen werden auf Müller-Ullrichs Pranger mit dem Faschismus verglichen. Wenn dieser wiederkehre, werde er nicht sagen: «‹Ich bin der Faschismus.› Nein, er wird sagen: ‹Ich rette euch vor einem Virus›», heisst es da. (atob)