SVP-Tagung im Zürcher Albisgüetli: Blocher heisst Rösti mit Zürcherwitz willkommen – da taucht AfD-Frau Alice Weidel auf

Tages-Anzeiger. Die Zürcher SVP feierte ihre beiden Ex-Bundesräte und den Neuen aus Bern. Doch plötzlich herrschte Aufregung.P


Die Erleichterung war gross. Endlich konnten sich SVP-Prominenz, Parteibasis und Gäste wieder sorgenlos am Albisgüetli bewegen. Vor zwei Jahren war die «Tagung» mit Reden des damaligen Bundespräsidenten Guy Parmelin und wie immer von Doyen Christoph Blocher online abgehalten worden – eine vergleichsweise trostlose Sache, wenn man in die freudigen Gesichter der am Freitag Anwesenden blickte.

Letztes Jahr hatte noch «2Gplus» gegolten. Während der Begriff damals, während der Pandemie, jeder und jedem gängig war, mutet er heuer so kryptisch an, wie er eigentlich auch ist. Zur Erinnerung: Man musste gegen Corona geimpft oder genesen sein oder aber getestet, falls die Impfung, Genesung oder Boosterimpfung länger als vier Monate alt war. Alles klar? Egal. Damals verzichteten etwa 70 SVP-Mitglieder oder -Fans auf den Besuch am Albisgüetli – obwohl infolge der 2Gplus-Regel die Indoor-Maskenlosigkeit gefeiert werden konnte. Nun sind also die alten Geister verscheucht, gut 1000 SVP-Fraue und -Manne plus Gäste und Medien haben sich für den Anlass im Schützenhaus am Fuss des Uetlibergs angemeldet.

Ein unbequemer Gast sorgte dann aber plötzlich für Aufregung: Die höchst umstrittene AfD-Politikerin Alice Weidel wurde an einem Tisch im Schützenhaus gesichtet. Der Zürcher SVP-Präsident Domenik Ledergerber stellte gegenüber dieser Zeitung sofort klar, dass die Deutsche nicht von der Partei eingeladen worden ist, sondern mit einem anderen Gast gekommen ist. Weidel hat einen starken Bezug zur Schweiz. Die Rechtsaussenpolitikerin lebte 2017/18 mit ihrer Lebenspartnerin in Biel. Das Paar zog mit den beiden Söhnen, die sie gemeinsam aufziehen, weg und landete 2019 in Einsiedeln. Ihren Hauptwohn- und Steuersitz hat Weidel gemäss eigener Aussage in Überlingen auf der deutschen Seite des Bodensees. Weidel war in eine Spendenaffäre mit Schweizer Zusammenhang verwickelt. Sie hatte für ihren Wahlkampf in den Bundestag Geld von einem schweizerisch-deutschen Immobilienunternehmer erhalten, der am Zürichberg wohnhaft war und auch die Zürcher SVP finanziell unterstützte, wie Recherchen von Tamedia ergaben. Spenden aus der Schweiz an eine deutsche Partei ist gemäss deutschem Recht illegal. Das Geld musste zurückgezahlt werden, die AfD musste eine Busse zahlen. Alice Weidel verliess das Albisgüetli fluchtartig, nachdem sie von Tele-Züri-Reporter Daniel Fernandez entdeckt worden war.

Dass Alain Berset die SVP-Einladung zur Gegenrede zu Blocher ausgeschlagen hat, wird der SP-Bundespräsident wohl kaum bereuen. Berset steht derzeit wie kein anderes Bundesratsmitglied im Fokus der Öffentlichkeit. Sein Intimus Peter Lauener soll während der Pandemie eine Art E-Mail-Standleitung mit Marc Walder, CEO von Ringier, das den «Blick» herausgibt, unterhalten und wichtige Bundesratsgeschäfte ausgeplaudert haben. SVP-Nationalrat Alfred Heer hat Berset deshalb kürzlich aufgefordert, zurückzutreten.

Dass der oder die stets eingeladene Bundespräsident(in) am SVP-Event fehlt, ist übrigens nicht so unüblich. Eine Zählung dieser Zeitung ergab, dass an 19 der 35 SVP-Albisgüetli-Tagungen kein Bundespräsidium da war. Einmal ersetzten «drei Bürger», wie es hiess, Otto Stich (SP). Das war 1993. Einmal, 2020, kam gar ein Gewerkschafter, nämlich Corrado Pardini, in die Höhle des Löwen, anstelle von Simonetta Sommaruga (SP).

Der Gast und Bundespräsidentenersatz war am Freitag der zweite Bundesrat, der aktuell im Fokus steht: Albert Rösti, frisch gekürter SVP-Bundesrat, der an seinem ersten internationalen Auftritt am WEF, das die Junge SVP übrigens als «Woke Economic Forum» boykottierten, vom deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck als «Kollege Röstli» bezeichnet worden ist.

Die grosse Frage lautet, ob sich die Redner zum Fall Berset äussern werden. Bundesratskollege Rösti kaum, Blocher ist da freier. Oder wird dieser «bloss» die Basis der SVP eintrommeln für die Zürcher Wahlen vom 12. Februar? Oder wie Ueli Maurer kürzlich an der Bad-Horn-Tagung über die SVP in der Sackgasse sprechen? Um 19.15 Uhr sprach Blocher. Nach dem Znacht, um 21.30 Uhr, war Rösti angesagt.

Zuvor war die Stimmung gelöst gewesen. Albert Rösti sagte dieser Zeitung, es sei die dritte Rede als Bundesrat, und ergänzte: «Die dritte offizielle, es gab noch x weitere.» Er werde sich in den ersten 100 Tagen zurückhalten, kündigte Rösti an. Und danach? «Wer weiss!»

Christoph Blocher hatte vor Jahresfrist gegenüber dieser Zeitung angedeutet, er habe einen Namen im Kopf für die Regierungsratswahl. Damals war noch nicht klar, wer neben Natalie Rickli für die SVP kandidieren soll. Es sollte sich herausstellen, dass der Neue auch der Alte ist: Ernst Stocker musste nochmals in die Hosen steigen. «Wen hatten Sie damals im Kopf», haben wir also am Freitag nachgefragt: «Ernst Stocker natürlich», antwortete Blocher. «Aha, also haben Sie wieder die Fäden gezogen?», entfuhr es dem Fragenden. «Es gibt noch andere findige Leute in der SVP», replizierte der Ex-Bundesrat.

Nationalrat Mauro Tuena hatte wie immer mehr als eine Handvoll Tombolalose gekauft. Ob der überzeugte Autofahrer den ersten Preis – ein E-Mountainbike im Wert von 8499 Franken – wirklich will? Tuenas Geschäftspartner Alfred Heer und Gregor Rutz kandidieren intern für den Ständerat. Frage an Tuena: Würde Heer nicht noch mehr bei der Arbeit fehlen, wenn er ins Stöckli gewählt würde? «Ich muss ohnehin ausrücken, wenn es irgendwo technische Probleme gibt», antwortete Tuena. «Am besten würden wir Rutz und Heer nach Bern schicken», meinte Magdalena Martullo-Blocher. «Dann wäre der Kanton Zürich einmal richtig vertreten», sagte sie mit einem breiten Grinsen. Aber Zürich sei ja nicht ihr Business, sagte die Graubündner SVP-Nationalrätin aus Meilen.

Erstmals als SVPler war der Ex-FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler da. «Ich hatte kein Problem, mich in der neuen Partei einzuleben», meldet der Kantonsratskandidat. Hat es böse Reaktionen aus dem Freisinn gegeben für den Überläufer? Nichts», sagt er. «Das stört mich auch nicht.»
Die halbe «Nebelspalter»-Redaktion hat Camille Lothe mitgebracht. Die 28-jährige Präsidentin der Stadtzürcher SVP und Wirtschaftsredaktorin beim früheren Satiremagazin war schon siebenmal am Albisgüetli. Um als junge Frau nicht allein zu sein, hat Lothe als persönlichen Gast die Präsidentin der Jungen SVP von Basel-Stadt, Demi Hablützel, eingeladen.

Erstmals dabei war Esther Guyer. Die grüne Kantonsratspräsidentin posierte mit SVP-Kantonsrat René Isler und sagte: «Von den Hübschesten darf man immer ein Foto machen.» Guyer wurde am Bundesratstisch zwischen SVP-Präsident Marco Chiesa und FDP-Regierungsratskandidat Peter Grünenfelder platziert. Doch zuerst müsse sie einen alten Schulkollegen begrüssen, sagt Guyer. Wen denn? «Ueli Maurer war mein Parallelklassengspänli in der Oberstufe Hinwil.»

Ex-Nationalrat Christoph Mörgeli hat einen Riesen-Plastiksack dabei. Das neue Parteiprogramm? «Ich bin als Bote der SVP Küsnacht unterwegs», erklärte der Stäfner, «habe mir Küsnacht also sozusagen kulturell angeeignet.» Im Sack hatte er übrigens einen eingerahmten Bundesbrief als Geschenk für Albert Rösti.

Es war übrigens Domenik Ledergerber, der Präsident der kantonalen SVP, der die Absage Alain Bersets kommentierte. «Eine positive Berichterstattung im ‹Blick› hätte er auf sicher gehabt», sagte Ledergerber unter Gelächter. «Aber im Ernst», fuhr er fort. Berset habe die Kollegialität gebrochen und den Bundesrat unter Druck gesetzt. Das sei unschweizerisch und eines Bundesrats unwürdig, kommentierte er. Zuvor hatte er alle Anwesenden begrüsst, wobei Ueli Maurer klar den grössten Applaus erhielt.

Blocher startete seine Rede mit einem Witz, nachdem er den Berner Albert Rösti «mindestens so willkommen» geheissen hatte wie Berset: Auf die Kritik eines schnellen Zürchers, die Berner seien so langsam, habe der Berner geantwortet: «Stimmt. Während wir noch überlegen, haben die Zürcher den Blödsinn schon gemacht.»

Ein Nachtrag noch zur Tombola-Auslosung: Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Die Mitte) gewann den 21. Hauptpreis, ein Wochenende in einem Hotel in Scuol im Wert von 800 Franken. Gespendet wurde der Aufenthalt übrigens von SVP-Nationalrat Bruno Walliser. Steiner und Walliser politisierten einst acht Jahre lang gleichzeitig im Kantonsrat.